Hier wurde niemand angedeutscht

Nurkan Erpulat Der Regisseur von "Die lächeriche Finsternis" im Gorki-Theater eine neue Pespektive.

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„Die neuen Deutschen“ lautet das Buch von Marina und Herfried Münkler, das zurzeit hochgelobt wird. Beschreibt es doch, wie eine politisch korrekt Migration im deutschen Interesse ausgehen soll. Während gerade wieder mal Deutschland mit Pegida und rassistischen Übergriffen ganz zu sich selber kommt, sind die Münklers für die Wiedergutwerdung Deutschlands (Eike Geisel) zuständig. Das sind aber nur zwei Seiten derselben Medaille. Mögen sich die Münklers und ihre Fans und die Pegida-Deutschen auch mal zoffen, beide stehen sie ganz fest auf den Schwarz-rot-goldenen Boden und sie werden ihn gemeinsam gegen alle Störer_innen der deutschen Herrlichkeit zu verteidigen wissen. Wer sich mit die Realität einer Gesellschaft vertraut machen will, die nicht mehr von den autochthonen Deutschen bestimmt ist, sollte einfach mal eine Vorführung im Gorki-Theater in Berlin-Mitte besuchen. Er könnte dort beispielsweise eine Vorführung des „Die lächerliche Finsternis“ besuchen. Das Stück bezieht sich auf Joseph Conrad weltberühmten Roman „Reise ins Herz der Finsternis“, das 1899 geschrieben den europäischen Kolonialismus in Afrika zur Grundlage hatte. 1979 hat Francis Coppola die „Reise ins Herz der Finsternis“ in dem Film Apokalypse Now nach Vietnam verlegt. Lotz adaptiert in seinen Stück Conrad und Coppola und verlegt die Reise ins Herz der Finsternis nach Afghanistan. Allerdings ist der Name mehr ein Lückenfüller als ein konkreter Ort. Soll man sich doch den Hindukusch im Stück auch mal als Fluss denken, wie den Kongo bei Conrad.

Das Stück thematisiert den modernen Kolonialismus, der mit Natooperationen und der Jagd auf Piraten einhergeht. Zu Beginn geht es um einen heute schon weitgehend vergessenen Prozess gegen somalische Piraten in Hamburg.. In der ersten Szene erzählt ein der Piraterie angeklagter Fischer von einem Leben in Armut, und jeden Tag hatten sie die Schiffe der Großmächte vor Augen, die die Meere rund um Somalia leerfischen. Die Netze der autochthonen Fischer bleiben leer und war Piraterie eine Möglichkeit an Geld zu kommen.

In der längeren Szene suchen zwei Bundeswehrsoldatem einen Kameraden, der mittlerweile auf eigene Rechnung arbeitet und verrückt sein soll. Deutschlands Rolle in der Nato ist das Thema, war mein erster Gedanke. Der Piratenprozess kann so auch als ein Stück deutschen Kolonialismus gelesen werden.

Es wurde über Erdogan geredet

Doch als im Anschluss an das Stück eine mitternächtliche Gesprächsrunde zusammenkam, wurde über die Frage diskutiert, ob die Türkei schon faschistisch oder nur faschistoid sei. Spätestens seit dem Putsch und dem Gegenputsch ist Nurkan Erpulat überzeugt, dass es sich bei der Türkei um eine faschistische Gesellschaft handelt. Er ist der Regisseur der Aufführung im Gorki-Theater und hat so dem Stück noch einmal eine neue Perspektive gegeben. Erpulat und die vier türkischen Schauspieler_innen, die alle in der alternativen Theater- und Kulturszene kommen, reden von Zensur und Selbstzensur in ihrer Arbeit. In dem Stück kommen das E- und das A-Wort nicht vor, erklären sie. Sonst hätte es in der Türkei gar nicht laufen können. Unter den Anwesenden war klar, dass es hier um Erdogan und Atatürk geht, die Mythen der alten und neuen Türkei. Allein, dass in der Diskussion, die bis weit nach Mitternacht andauerte, so konsequent die Perspektive der aus der Türkei stammenden alternativen Kulturszene auf das Stück durchgehalten wurde, zeigt, dass es längst Räume in Deutschland gibt, , in denen nicht mehr die Perspektive der Autochthonen im Mittelpunkt stehen. Dazu braucht man nicht in Münklerscher Diktion von den neuen Deutschen reden. Viel interessanter ist es, eine solche Vorstellung zu besuchen und danach auch das Nachgespräch nicht zu verpassen und einfach mal zuzuhören. „Deutsch mich nicht an“, war vor einiger Jahren eine ironische aber durchaus ernst gemeinte Aufforderung an die Autochthonen, sich da einmal zurückzuhalten. Zumindest im Gorki-Theater wurde die Aufforderung umgesetzt. Die wenigen Autochthonen, haben niemand angedeutscht.

Peter Nowak

http://www.gorki.de/de/gueluenc-karanlik-die-laecherliche-finsternis

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Geschrieben von

Peter Nowak

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