Hommage an die vergessenen Befreier

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Das Theaterstück "Die vergessenen Befreier" ist politisches Theater vom Feinsten



„Ich liebe Frankreich und habe für seine Freiheit gekämpft. Doch Frankreich liebt mich nicht und kehrt mir den Rücken“.Es sind bittere Worte, die der alte Afrikaner spricht. Er gehöre zu den Tausenden, die auf europäischen Schlachtfeldern im 2. Weltkrieg gegen die Nazitruppen kämpften. Er hatte Glück und überlebte. Eine späte Ehrung bekommt er in dem französischen HipHop-Musical „Die vergessenen Befreier“, das am 20. September einmalig im Berliner Festspielhaus mit deutschen Untertiteln aufgeführt wurde. Die Veranstaltung beendete das diesjährige Internationale Literaturfestival in Berlin.Es steht im Zusammenhang mit der Ausstellung „Die Dritte Welt im zweiten Weltkrieg“, die noch bis zum 30.September in den Uferhallen in Berlin-Wedding zu sehen ist.

Die Aufführung war ein einmaliges kulturpolitisches Ereignis. Es wurde gezeigt, wie die französische Armee afrikanische Soldaten sowohl im ersten als auch im zweiten Weltkrieg als Kanonenfutter einsetze. „Wir wollten nach Hause – sie wollten Ruhm“; heißt es über die französischen Generäle, die Tausende auf den Schlachtfeldern verheizten, nur damit ihr Namen im Geschichtsbuch steht. Die Namen der afrikanischen Soldaten finden sich oft nicht einmal auf den Kriegsgräbern. Es werden Blumen für den unbekannten Soldaten niedergelegt. Doch für die gefallenen afrikanischen Soldaten interessiert sich niemand. Nachdem sie demobilisiert worden waren, kehrten sie in ihre Länder zurück und lebten in der gleichen Unterdrückung wie zuvor.

Nach 1918 wuchs der Unmut in der afrikanischen Bevölkerung. Doch über 20 Jahre später sollte sich die Geschichte wiederholen. Der französische Staat brauchte wieder afrikanische Soldaten auf den europäischen Schlachtfeldern. Schließlich hatte der 2. Weltkrieg begonnen. Viele Afrikaner waren aus tiefster Überzeugung bereit, gegen den Nazismus zu kämpfen. Sie waren der Überzeugung, dass dann wenn die Nazis niedergerungen sind, auch bei ihnen ein freiheitlicheres Leben beginnen müsse. Andere wurden von der Straße weg verschleppt und auf Schiffen nach Europa gebracht, wo sie in den Krieg ziehen sollten.


Afrikanischer Widerstandskämpfer

Eine besondere Ehrung erfährt der afrikanische afrikanischen Résistance-Führers Hady Bah, der aus deutscher Gefangenschaft entkam, in den Vogesen Widerstand leistete und 1943 von der Gestapo exekutiert wurde, weil er seine Mitkämpfer nicht verriet. Bah gehörte der MOI an, den Mains d'Ouvres Immigrés oder eingewanderten Arbeitskräften. Sie kamen aus europäischen, asiatischen oder afrikanischen Ländern. Die meisten von ihnen hatten kommunistischen Hintergrund. Sie standen im Kampf gegen die NS-Besatzung an vorderster Front.

In die Theateraufführung eingearbeitet istder eindrucksvolle knapp 10minütige Film „Der Freund aus den Kolonien“ des algerische RegisseursRachid Bouchra. Er zeigt wie die afrikanischen Soldaten auf Seiten der Franzosen gegen das NS-Regime kämpfen. Sie starben auf den Schlachtfeldern, kamen in Gefangenenschaft und wurden als Afrikanischer von denNazis und ihren Helfershelfern besonderer Grausamkeit ausgesetzt. Als der Krieg zu Ende wurden sie aus der Armee entlassen, der Sold wurde ihnen verweigert und als sie dagegen rebellierten wurde von französischen Offizieren auf sie geschossen. Denn fanden sich genug Rassisten und heimliche Bewunderer von Hitler und seinen französischen Helfer Petain.

Während überall in Europa die Freunde über die Niederlage des NS-Regimes groß waren, starben 3000 algerische Soldaten im Kugelhagel der französischen Armee. Der Dank der Armee für ihren Einsatz im Kampf gegen die Nazis waren Kugel undfür die Überlebenden Gefangenschaft und Terror. Der 8. Mai 1945 hat sich in Algerien und vielen nordafrikanischen Ländern nicht als Tag des Sieges über das NS -Regime sondern als Tag des Massakers ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. An diesem Tag wurde dieGrundlage gelegt für den algerischen Unabhängigkeitskampf. Das Musical ist politische Kultur im besten Sinne. Auch die Bezüge zur Gegenwart fehlen nicht. In der letzten Szene unterhalten sich fünf afrikanische Straßenkehrer über eine europäische Zivilisation, die den Großteil der Bevölkerung auf der Welt nur Terror und Unterdrückung bringt. Während des Stückes verteilten Schauspieler Flyer an das Publikum, in denen zum Widerstand gegen die Entrechtung von Flüchtlingen in Europa aufgerufen wird. „Die Menschenrechte gelten in Europa nicht für alle. Besonders Migranten, Flüchtlingen und so genannten „Illegalen“ werden sie vorenthalten“, heißt es in dem Aufruf. Auf der Rückseite ist ein Aufruf französischer Widerstandskämpfer vom 1. März 2004 abgedruckt, in dem es heißt: „Wer die Welt verändern will, muss Widerstand leisten. Wer Widerstand leistet, verändert die Welt“.

Das Hiphop-Musical leistet etwas, was die Ausstellung „Die 3.Welt und der 2. Weltkrieg“nicht leisten kann und will. Den vergessenen Befreiern ein Gesicht und ihren Nachfahren die Möglichkeit zu geben, sich ihrer zu erinnern. Hier liegt auch der Grund für eine Kontroverse für Kurt Rössel, der der die Ausstellung konzipiert hat und der Leiterin der Werkstatt der Kulturen Philippa Ebéné. Während Letztere eine Ehrung der vergessenen Befreier im Sinne hatte, wollte Rössel eine umfassende wissenschaftliche Ausstellung erstellen, in der auch an die Nazi-Kollorabateure in der 3. Welt erinnert wird. Im Ergebnis der unschönen Kampagne wurde die Ausstellung an einem anderen Ort gezeigt und die Verstimmung zwischen beiden Seiten hat sich noch nicht gelegt. Rössel betonte noch einmal, dass der Grund für die Verstimmung bei der anderen Seite liegt. Die Ausstellung könne nur komplett oder gar nicht gebucht werden, meinte er, als wäre es ein Setzbaukasten und kein politisches Projekt. Rössel lässt in der Auseinandersetzung jegliche Sensibilität für die Besonderheiten der Auseinandersetzung.

In den 90er Jahren gab es eine ähnliche Diskussion, anlässlichder Herausgabe der deutschsprachigen Ausgabe der MalcolmX-Biographie im Bremer Atlantik-Verlag. Stein des Anstoßes war damals das Vorwort des Hamburger Publizisten Günther Jacob, der sich dort kritisch mit der politischen Biographie von Malcolm auseinandersetzte. Der Übersetzer Yonas Endaras kritisierte nicht den Inhalt, aber die Tatsache, dass die Leser bevor sie überhaupt eine Zeile der Biographie gelesen haben, schon mit einer Wertung konfrontiert sind. Es gab dann den Kompromiss, den Text als Nachwort zu drucken. Die Beteiligten haben die Auseinandersetzung im Nachhinein als fruchtbare Diskussion gewertet.


Unterdrückungsverhältnisse nicht gegeneinander ausspielen

Es wäre zu hoffen, dass die Kontroverse um die Ausstellungauch in eine fruchtbare Debatte mündet. Zumal sich mit dem Neurechten Clemens Henni auch schon Leute zur Wort gemeldet haben, die eine Beschäftigung mit den vergessenen Befreiern als antiwestlich, antiamerikanisch und antisemitisch diffamiert hat. Die Ausstellung beschäftigte sich nicht mit der Shoah und sei arabophil, so Heni in seinem im Internet zirkulierendenPamphlet. Wie Heni versuchen auch andere Wissenschaftler, den Kolonialismus schön zu reden und die westliche Zivilisation reinzuwaschen. In Zeiten der Krise des Kapitalismus werden Wissenschaftler wie Heni gebraucht, die als käufliche Tuis die salbungsvollen Phrasen liefern, mitdenen die nächsten Kriege und Massaker begründet werden.

In einer solchen Auseinandersetzung der starken Worte finden die nachdenklichen Töne oft wenig Gehör. So erklärt eine Sprecherin derAntonio-Amadeus-Stiftung, die sich seit vielen Jahren sowohl gegen Rassismus wie auch gegenAntisemitismus engagiert:„In Deutschland hat es bis heute keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Thema Kolonialismus gegeben.“ Wenn mit der Ausstellung und dem Musical eine solche Diskussion angestoßen wurde, bei der die beiden Unterdrückungsverhältnisse nicht gegeneinander ausgespielt werden, wäre viel gewonnen.




Die vergessenen Befreier, eine Hommage an die Kolonialsoldaten.

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Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

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