Interaktive Wunschwelten

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Noch bis zum 28.März wird im theaterdiscounter ein interaktives Theaterstück der besonderen Art geboten

Die langen Flure mit den vielen verschlossenen Zimmern verströmen das Ambitiente einer verlassenen Schule. Doch dann wird ein Raum, so groß wie eine Turnhalle, aufgeschlossen und der Besucher tritt im wahrsten Sinne des Wortes in eine Wunschwelt.

Überall sind kleine Flächen abgesteckt, auf denen sich die unterschiedlichen Gegenstände befinden. Auf einem Fernsehschirm ist eine Tänzerin zu sehen, eine alte Singer-Nähmaschine steht hier, ein antiker Schaukelstuhl dort und ganz groß auf einer Leinwand der Mitschnitt von der ersten Mondlandung. Doch erst wenn man das kleine Täfelchen dazu liest, wird man stutzig. Auf dem Loop soll eine sowjetische Mondlandung zu sehen sein, heißt es dort. Doch die gab es bekanntlich nie. Damit kommen wir hinter dem Sinn der Inszenierung. Hinter jedem der in dem Raum platzierten Gegenstände stehen Geschichten von Menschen in der Möglichkeitsform.


„Wir haben bei Freunden, Nachbarn und Bekannten angefangen und danach gezielt Personen angesprochen, weil wir Menschen aus mit Ost- und Westbiographien und alter Altersstufen ansprechen wollten, “ meinte Julia Schleipfer“. Sie gehört zu den vier SchauspielerInnen, die eine Art eingebettetes Büro in der Aufführung haben. Sie sitzen an Laptops oder an Musikinstrumenten, schreiben, sprechen oder singen Texte, die sich um die Frage der Möglichkeiten auf philosophischer und praktischer Grundlage befassen. Sie laden auch immer wieder das Publikum zum Nachfragen und Mitdiskutieren ein. Die Mimen gehören zum Theaterdiscounter Berlin, der das interaktive Theaterstück in einem zwischengenutzten ehemaligen Bürohaus in Berlin-Mitte noch bis zum Wochenende aufführt. Die Vorführungen sind eine neue, für manche sicher auch ungewohnte Art von Theater. Der Zuschauer kann auf Stühlen der Bürogemeinschaft beim Arbeiten zusehen. Er kann auch an einer Hörstation die Geschichte einer Kunststudentin verfolgen, die detailliert berichtet, wie sie mangels einer gesicherten Berufsperspektive ein Medizinstudium begonnen hat. Oder er kann beim Betrachten eines ganz gewöhnlichen Schlüsselbunds ins Grübeln kommen. Der soll eine durchaus nicht so ungewöhnliche Story bebildern. Ein Laborant und Familienvater aus Süddeutschland tritt am Abend nur mal aus dem schuldenfreien Reihenhaus, um Zigaretten zu holen und verschwindet spurlos. Er nimmt weder Geld, Kreditkarten noch seinen Schlüsselbund mit. ZweiJahre später meldet er sich per Email aus einem argentinischen Bergdorf, wo er wieder in seinem alten Beruf arbeitet. Die Kinder haben mittlerweile einen jährlichen Kontakt aufgebaut. Ist gerade dies die eine Geschichte, die aus dem Rahmen fällt, weil sie sich tatsächlich zugetragen hat?

Oder ist es die ausführlich beschriebene Afrikatrip mit dem eigenen Auto, den zwei junge Studenten Anfang der 70er Jahre gemacht haben wollen. Selbst eine lädierte Afrikakarte und Ausschnitte eines vergilbten Reisetagebuchs finden sich an der Wand.

Realität oder Fiktion?

Diese Frage bleibt auch nach 90 Minuten offen. Dann ist das interaktive Theaterstück zu Ende, die SchauspielerInnen lassen einen letzen Song verklingen und die Besucher verlassen den Raum mit einer Menge von Eindrücken, Gedanken über den Unterschied zwischen Realität und Möglichkeiten und dem Wunsch, solche interaktiven Theateraufführungen mögen häufiger angeboten werden.

Peter Nowak


Noch bis zum 28.März wird die interaktive Aufführung täglich zwischen 20 und 21.30 Uhr im theaterdiscounter in der Klosterstraße 44 in Berlin-Mitte aufgeführt. Kartenvorstellungen gibt es unter 030-28093062 oder virtuell unter tickets@theaterdiscounter.de

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Geschrieben von

Peter Nowak

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