Free Hugs von der Ministerpräsidentin

Jacinda Ardern Die zurückgetretene Ministerpräsidentin von Neuseeland ist so populär, weil sie eine neue Form des Regierens im Kapitalismus perfekt verkörperte und damit den Widerstand dagegen erschwerte

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Eigentlich dürften wenige Menschen wissen, wer in Ländern des globalen Südens an der Regierung ist. Doch die kürzlich zurückgetretene Ministerpräsidentin Jacinda Ardern ist zumindest in linksliberalen Kreisen extrem populär. Dabei wird aber in der Regel kein Beispiel genannt, wie sie die Zumutungen des Kapitalismus für die Bevölkerung Neuseelands zumindest verringerte. Auch große Initiativen gegen Rassismus sind nicht von ihr überliefert. Während der Corona-Pandemie war Ardern Vertreterin einer Null-Covid-Politik, für sie gerade in China international kritisiert wurde. Es gab in Zeiten der Pandemie Berichte von Menschen aus Neuseeland, die entweder die Insel nicht verlassen konnten oder nicht zurückkommen durften und gezwungermaßen im Ausland verbleiben mussten. Dass war durchaus mit massiven Einschränkungen für die Betroffenen verbunden. Doch dafür bekommt Ardern nur Lob. Denn sie ist das Gesicht eines modernen Kapitalismus. Sie hat Neuseeland regiert wie eine Produktverkäuferin. Auch sie zeichnet sich ja vornehmlich dadurch aus, dass sie sich voll und ganz in den Dienst der Produktwerbung stellen muss, nicht nur ihre Arbeitskraft auch noch ihre Anteilnahme, modern als Empathie bezeichnet, muss sie dafür geben. Auch Ardern wird besonders positiv angerechnet, sie sei besonders empathisch gewesen. Als Beispiel wird genannt, dass sie nach einen Anschlag von Faschisten die Opfer umarmte. Nun ist das sicher positiver, als wenn sie, wie die Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds, aber auch des rassistischen Amoklaufs von Hanau, von den Staatsapparaten in Deutschland selber wie Schuldige und Täter*innen behandelt werden. Doch was bei diesen Lob der ach so empathischen Ministerpräsidentin ganz unterschlagen wird: Der rassistische Terror, der sich in den Anschlägen ausdrückt, geschieht nirgends im luftleeren Raum. In Deutschland gibt es die historischen Kontinuität, auf die nicht oft genug hingewiesen werden kann. Aber auch in Neuseeland hat der rassistische Terror der Gegenwart eine Geschichte, die im Kolonialismus liegt: es war die europäische Eroberung der Insel. Welche Interessen die Kolonisatoren verfolgen wird in den Aufzeichnungen des europäischen Neuseeland-Eroberers James Cook deutlich:

„Reich an fruchtbarem Land, auf welchem europäische Pflanzenkulturen bestens gedeihen würden, zeichnete er ein überaus positives Bild, in dem er auch von den Māori keine Gefahr ausgehen sah“

Die Maori waren die Indigenen Neuseelands, für ihre Kolonisierung waren auch die zahlreichen christlichen Missionare zuständig, denen es vor allem um die „Seele“ der Menschen geht. Wenn sie den Glauben der Kolonialmacht angenommen haben, war ihre Widerstandskraft gebrochen, so die Überlegung. Ohne diese Geschichte der europäischen Eroberung und Kolonisierung ist auch die rassistische Gegenwart Neuseelands nicht zu erklären, die in faschistischen Terroranschlägen mündet. Dieser rassistische Kolonialkapitalismus ist das eigentliche Problem. Das Ziel einer linken Mobilisierung würde genau hier liegen. Daran hat Arden und ihre Labourpartei natürlich kein Interesse.

Moderne Form kapitalistischer Herrschaft

Sie wird dann dafür gefeiert, dass sie, wenn sie schon die Verhältnisse nicht verändern kann, die zu Rassismus und auch diesen faschistischen Terroranschlägen führen, zumindest Free Hugs und tröstende Worte an die Opfer freigiebig verteilt. Damit gehört sie eine Exponentin der modernen Variante kapitalistischer Herrschaftsformen. Bei den ganzen Lob auf Arderns Free-Hugs-Politik wird dann eben nicht mehr erwähnt, dass es auch eine Methode ist, an den grundlegenden Verhältnissen nichts ändern zu wollen. Dafür ist der Widerstand diese Art des Regierens schwieriger als gegen klassische Konservative. Wehe aber die Opfer rechter Gewalt wollen keine Free Hugs von der Herrschaft und setzen auf antifaschistische Selbstorganisierung und nehmen den neuseeländischen Kolonialkapitalismus ins Visier. Dann ist es mit der Toleranz und Liberalität des progressiven Neoliberalismus schnell vorbei. Lieber eine Person (männlich, weiblich, divers), die Kapitalismus, Rassismus, Patriarchat und Kolonialismus im Wortsinn radikal, - an die Wurzeln gehend - bekämpft und dafür keine Free Hugs an die Opfer verteilt.

Peter Nowak





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