Jung, reflektiert und linksradikal

Caroline Pitzen Die Regisseurin des Films "FREIZEIT oder: das gegenteil von nichtstun", der im Rahmen der Woche der Kritik Premiere hatte, zeigt linke Jugendliche im Spätkapitalismus

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Szene aus dem Film „Freizeit oder:  das Gegenteil von Nichtstun“
Szene aus dem Film „Freizeit oder:  das Gegenteil von Nichtstun“

Foto: OKNO und Markus Koob

Der junge Ronald Schernikau, knapp 20 Jahre, hat gerade sein erstes bekanntes Buch „Kleinstadtnovelle“ herausgebracht und wird 1980 zum Interview ins Fernsehen eingeladen. Das war vor über 40 Jahren für den Literaten der Durchbruch. Im Anschluss sehen wir einen jungen Mann, der im Jahr 2018 Fotos auswählt, mit denen er Wand seines Zimmers dekoriert. So beginnt der Film „FREIZEIT oder: das gegenteil von nichtstun“ der Regisseurin Caroline Pitzen. Knapp 70 Minuten wird eine Gruppe politisch aktiver junger Menschen gezeigt, geschlechtergerecht, zwei männlich und drei weiblich gelesene Personen. Sie stehen alle kurz vor dem Abitur und am Duktus ihrer Gespräche ist erkennenbar, dass sie einen bürgerlich-mittelständischen Hintergrund haben. Das ist eine Feststellung und keine Kritik. Wir sehen die jungen Menschen beim Malen eines antifaschistischen Transparents, das in der nächsten Szene schon am Lautsprecherwagen einer linken Demonstration zu sehen ist. Dann sitzen die zwei jungen Männer im Grünen und diskutierten einen polizeikritischen Leitartikel von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung (SZ). Auffällig ist, wie sich die beiden jungen Radikalen über die kritischen Worte in der SZ freuen. Sie überlegen, wie toll es doch wäre, wenn der Text als Leitartikel abgedruckt würde. Doch einer der jungen Männer macht den Einwand, dann könnte er wohl nicht so radikal formuliert werden. Es fällt auf, wie reflektiert die jungen Leute sind. Dass wird in den zahlreichen Gesprächen, die die Gruppenmitglieder untereinander führen, sehr deutlich. In einer Szene geht es um die Vorbereitung von Aktionen gegen Gentrifizierung, in einer anderen diskutieren die zwei Frauen über ihre alltäglichen sexistischen Erfahrungen.

Selbst beim Kiffen politisch korrekt

Wir sehen die Jugendlichen auch in der Freizeit immer total reflektiert. Selbst beim Kiffen hört man kein böses Wort bei ihnen. Das wäre vor Jahrzehnten in der Punkbewegung noch undenkbar gewesen. Da kommt einen beim Zuschauen sofort die Überlegung: Es ist ein Film, der eben das Leben der jungen Leute zum Thema hat, und da achten sie wahrscheinlich total auf die Außenwirkung. Oder handelt es sich tatsächlich um eine Gruppe junger Menschen, für die ein solcher reflektierter Umgang untereinander ganz selbstverständlich ist? Nur einmal bekommen wir mit, dass das Leben der jungen Menschen nicht so easy ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Da unterhalten sich zwei über die Leistungsanforderungen, denen sie ausgesetzt sind „Ich pass mich ja auch die ganze Zeit in der Schule an, um nicht an irgendwelche Ecken zu stoßen, um den Abschluss zu haben“, sagt der junge Mann emotional sichtlich bewegt. Gleich darauf wechselt das Gespräch wieder in die allgemeinere Ebene.

Wer verändert die Welt?

Besonders beeindruckend fand ich, wie sih die jungen Leute im Film mit linker Kultur befassen. So liest einer von ihnen aus einen Artikel über Klassen und Klassenkampf vor, den Theobald Tiger alias Kurt Tucholsky 1930 in der Weltbühne geschrieben. Auch hier sieht man, wie es die junge Leute bewegt und sie sich fragen, was der Text mit ihnen zu tun hat. In der letzten Einstellung schauen sich die Jugendlichen die berühmte letzte Szene des Films „Kuhle Wampe“ von Bert Brecht an. Dort sieht man eine Gruppe junger Kommunist*innen in einem Zugabteil darüber sinnieren, wer die Welt verändern wird. Die Szene endet mit dem Satz: „Die werden die Welt verändern, denen sie nicht gefällt.“ Auch hier sieht man wieder, wie die Dialoge die jungen Leute bewegt. Für sie sind es keine historischen Fragen. Ihnen gefällt die Welt nicht, das wird im Film klar. Doch haben sie ein Interesse, die Welt zu verändern, das über die moralische Empörung hinausgeht? Wenn einer der Protagonisten sagt, dass alle Menschen es verdient hat, in einer Wohnung zu leben, in der sie genug Platz und Sicherheit haben“, dann geht es nicht mehr nur um die Frage, wem die Welt nicht gefällt, sondern wer ein Interesse daran hat, sie zu verändern. Dass die Antworten da oft weit auseinandergehen ist bekannt und hat vor mehr als 50 Jahren im Zuge der 68er Bewegung viele junge Linke von der moralischen Empörung zur Beschäftigung mit dem Kommunismus gebracht. Ihnen hat der Schriftsteller Uwe Timm in seinem Roman Rot im wahrsten Sinne des Wortes eine literarische Totenrede gewidmet. Eine zentrale Figur des Romans heißt Aschenbrenner, der in der 68er Bewegung zum Kommunisten wurde. An einer Stelle des Romans wird aus Notizen zitiert, die sich der junge Aschenbrenner als linker Aktivist zu Fragen des Wohnraums gemacht hat.

„Im Zentrum von München, am Englischen Garten stehen Bankgebäude, Versicherungen, Bayerische Hypotheken Bank, Allianz, Münchner Rückversicherung, seht Euch die Gebäude an, am Abend, nachts, an Feiertagen, leer und tot stehen sie da. Statt dass dort Familien mit Kindern wohnen, wohnt dort das Kapital. Und die Leute finden es auch noch vernünftig, weil es ja die teuersten Grundstücke sind. Es ist das Unvernünftigste. Das muss umgewertet werden.“

Uwe Timm, Rot, Kiepenheuer & Witsch

Aschenbrenner stellte sich also in der Nachfolge von 1968 die gleichen Fragen, die sich die jungen Leute 2018 im Film gestellt haben. Und er bemerkt, den Unterschied zwischen denen, denen die Welt nicht gefällt und denen, die ein Interesse daran haben, sie zu verändern.Man kann nur wünschen, dass diese grundsympathischen jungen Linken aus dem Film, die ebenso wie die Figuren im Roman von Uwe Timm die Ecken, Kanten und Wände des bürgerlichen Staates zu spüren bekommen werden, das Ziel, die Welt zu verändern, nicht nur aus moralischen Gründen verfolgen, sondern auch weil die große Mehrheit ihrer Bewohner*innen daran ein Interesse haben müsste.

Gern würde man einen Film sehen, der die gleichen Personen nach 5, nach 10, 15 oder 20 Jahren noch einmal befragt. was aus den Utopien und Hoffnugnen ihrer Jugend geworden ist. Da gibt es mit der Langzeitdokumentation "Die Kinder von Golzow" ein gutes Vorbild.

Peter Nowak

FREIZEIT oder: das gegenteil von nichtstun ist im Rahmen der Meisterschüler*innenklasse von Thomas Aslan an der UDK entstanden.

Er hatte im Rahmen der Woche der Kritik Premiere. Weitere Infos und vielleicht auch Screening-Termine finden sich hier:

https://www.udk-berlin.de/startseite/news/freizeit-oder-das-gegenteil-von-nichtstun/

Ein Film von Caroline Pitzen
von und mit Jasper Penz, Juno Groth, Lilly Marie Dressel, Maxim
Hartig, Mila Wischnewski

Bildgestaltung - Markus Koob
Ton - Philipp Fröhlich, SHEN Sum-Sum
Tongestaltung - Christian Obermaier, Jochen Jezussek
Produktion - OKNO

Am 8. Juni um 21.45 Uhr wird der Film im Rahmen der Woche der Kritik (http://wochederkritik.de/de_DE/for-future-reference/) im Freiluftkino Hasenheide gezeigt. Ticket können hier (https://www.freiluftkino-hasenheide.de/filme/woche-der-kritik-21899/) bestellt werden.

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Geschrieben von

Peter Nowak

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