Kandidat der Kontinuität gegen Kandidat der Revanche

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Überlegungen zum Bundespräsidenten-Match

Die Fußball-Weltmeisterschaft verdeckt, dass zurzeit noch ein anderes Match läuft. Es nennt sich Bundespräsidentenwahl, hat mit dem Leben von großen Teilen der Bevölkerung herzlich wenig zu tun. So tut diese gut daran, sich lieber den afrikanischen Spielfeldern zuzuwenden.

Allerdings ist die Aufstellung beim Berliner Match, das am 30. Juni in der Bundesversammlung entschieden wird, nicht ganz unwichtig für die Neuformierung der herrschenden Klassen in Deutschland.

Da steht mit Christian Wulff ein Kandidat zur Wahl, der für politische Kontinuität sorgen soll. Wirtschaftsfreundlich, in Maßen liberal, soll er das moderne Gesicht des deutschen Spätkapitalismus repräsentieren. Wulff wird von einem nicht aussichtslosen Kandidat der sozialen und politischen Revanche, dem ehemaligen Pastor undBerufsantikommunisten Joachim Gauck, herausgefordert.Gauck steht für eine Fortsetzung des Kalten Krieges gegen jegliche Systemalternative. Dabei geht es gerade nicht um den untergegangenen Nominalsozialismus sondern um soziale Aufbrüche in der Zukunft, die in Zeiten der Krisen nun nicht mehr ganz so utopisch sind. Dass der herrschende Block sich darauf einstellt, zeigte sich an der Rede von Gesine Schwan zum 17.Juni. Der Teil der herrschenden Fraktion, die Gauck nominierte, ist der Meinung, dass ein einfaches Weiter so, für das Wulff steht, in Zeiten der Krise nicht mehr ausreicht. Neuer gesellschaftlicher Kitt wird gebraucht. Dafür hält Pastor Gauck sein Ideologiegebräu aus Antikommunismus und deutschen Freiheitsmythos im Angebot. Deswegen findet er auch bei Teilen von FDP und Union Unterstützung. Dass sich auch manche sogenannte Intelektuelle, wie F.C. Delius, die einmal als links galten, zu Fürsprechern von Pro-Gauck-Initiativen machen, zeigt einmal mehr den gesellschaftlichen Rechtsruck in Zeiten der Krise des Ancien Regimes. Dass der Kandidat von Revanche von SPD und Grünen aufgestellt worden, kann aber nur überraschen, wer an die Fama von der Mehrheit links von FDP und Union glaubt. Die Ernennung von Gauck dementiert sie deutlich.


Eiertanz der Linken

Dass nun in vielen Medien von Frankfurter Rundschau bis zur taz der Linkspartei zur Wahl von Gauck geraten wird und darin gar ein Lackmustest für ihr Ankommen im Westen gesehen wird, ist nur konsequent. Denn sollte auch nur ein Teil der Linkspartei Gauck wählen, hätte sie tatsächlich den Beweis erbracht, dass man mit ihr oder zumindest einen relevanten, dann von den Medien gehätschelten Flügel, Staat machen kann. Dann hätte sie auch Chancen, in absehbarer Zeit am Katzentisch des herrschenden Blockes Platz nehmen zu können. Allein, dass innerhalb der Linken über eine Unterstützung für Gauck im zweiten oder dritten Wahlgang diskutiert wird, ist ein Hinweis, dass es führende Politiker gibt, die dazu bereit sind. Hinzu kommt, dass sie mit Luc Jochimsen eine sicher honorige Linksliberale aufgestellt haben, aber damit auch eine Kandidatur vermieden haben, die den herrschenden Block um Wulffund Gauck wirklich herausfordern würde.

Emmelyfor President

Dann hätten sie eine Kandidatin nominiert, die nicht aus dem Politikbetrieb kommt und die die offizielle Fama von Gerechtigkeit und Rechtsstaat mehr ins Wanken gebracht hat, als alle Parlamentarier zusammen. Die Berliner Kaiser’s-Kassiererin und Gewerkschafterin, die unter ihren Alias-Namen Emmely bekannt wurde. Sie wurde mit der Beschuldigung gekündigt, einen Flaschenbon in Höhe von 1,30 Euro falsch abgerechnet zu haben, ging an die Öffentlichkeit und wurde mit Unterstützung einer kleinen Gruppe von Aktivisten, zum Symbol für den Umgang mit Lohnabhängigen im Spätkapitalismus, aber mehr noch zum Beispiel, dass man sich auch unter diesen Verhältnissen wehren kann. Längst ist der Name Emmely ein Synonym für die Erwerbslosen, Lohnabhängigen, Schüler und Studierenden, die sich nicht alles gefallen lassen. Der Kampf von Emmely aus Berlin war erfolgreich. Am 10. Juni hat das Bundesarbeitsgericht auf die Kämpfe reagiert und ihre Kündigung zurückgenommen. Ab kommenden Montag wird sie wieder hinter einer Kasse in einer Kaiser’s-Filiale in Berlin sitzen. Ihre Kandidatur hätte den herrschenden Block herausgefordert, nicht weil sie Chancen gehabt hätte, sondern weil in das hermetische Präsidentenmatch reale gesellschaftliche Widersprüche eingedrungen wären. Aber soviel Courage kann wohl von der Linkspartei nicht erwarten.

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Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

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