Kein gewerkschaftliches Wir ohne uns

Verdi-Migrationsausschuss Er traf sich am Wochenende in Berlin zur 3. Bundeskonferenz. Seine Tätigkeit ist auch in der antirassistischen Bewegung kaum bekannt

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"Es wurden Arbeiter gerufen, doch es kommen Menschen an", singt Ata Canani, der als Zwölfjähriger mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschland gekommen war. Er trat in den 1990er Jahren mit einer eigenen Band auf. Vor einigen Jahren wurde sein Song neben vielen anderen Liedern des migrantischen Proletariats in der BRDmit dem Sampler „Songs of Gastarbeiter“ wieder entdeckt. Hier wird auch an ein gern vergessenes Kapitals der westdeutschen Arbeiter*innengeschichte erinnert. Sie war nie nur deutsch und weiß. Dazu gehörten auch Kolleg*innen aus vielen europäischen und außereuropäischen Ländern, die euphemistisch Gastarbeiter genannt wurden. Viele dieser migrantischen Arbeiter*innen waren gewerkschaftlich organisiert und bei Streiks und Tarifauseinandersetzungen wesentlich kampfbereiter als ihrein Deutschland geborenen Kolleg*innen. So ist bekannt, dass die italienischen Arbeitsmigrant*innenKampftraditionen ins Wolfsburger VW-Werk importierten und derNS-Volksgemeinschaft, die dort damals noch dominant war, Paroli bieten konnte. Spanische Arbeitsmigrant*innen waren in den frühen. 1970er Jahren auch in der Chemibranche in gewerkschaftlichen Zusammenhängen aktiv, erinnert sich Wolfgang Hien, der in Gruppen aktiv war, die sich für Gesundheit am Arbeitsplatz einsetzen. Auch migrantische Frauen haben im Pierburg-Werk erfolgreiche Arbeitskämpfe geführt. An diese Tradition knüpft der3. Bundeskonferenz der Migrant*innen in ver.di, zu der sich am vergangenen Freitag und Samstag in der Berliner Verdi-Zentrale stattgefunden hat. Die zentrale Frage war dort, wie es gelingt, auch die gewerkschaftlichen Strukturen so zu verändern, dass deutlich wird, dass dort Arbeiter*innen aus unterschiedlichen Ländern organisiert sind, die in Deutschland ihre Arbeitskraft verkaufen. Denn weder auf der haupt- noch auf der ehrenamtlichen Ebene sind bei verdi wie in anderen DGB-Gewerkschaften die migrantischen Kolleg*innen so vertreten, wie es ihrer realen Mitgliedschaft entspricht. Auf Quoten wollen die migrantischen Kolleg*innen verzichten, erklärt Romin Khan, der im Verdi-Bundesvorstand für den Bereich Migration zuständig ist.

Absage an Standortlogik und Nationalstaaten

Die organisierten Migrant*inen fordernaber Teilhabe, wie in der Gesellschaft so auch bei Ver.di.„Kein Wir mehr ohne uns“, lautet die zentrale Losung der Kolleg*innen. Sie wollen damit ausdrücken, dass das gewerkschaftliche „Wir“ eben nicht mehr nur deutsche Kolleg*innen meinen kann. Auf diesen Aspekt ging auch Serhat Karakayali vom Berliner Institut für Migrations- und Integrationsforschung in seinemVortrag amSchluss der Konferenz ein. Dort plädierte er fürdie Formulierung eines gewerkschaftlichen „Wir“, das sich nicht an Standorten und Nationen sondern an den von Ausbeutung Betroffenen orientiert. Als positives Beispiel nannte Karakayali die Solidarität von Schwulen und Lesben aus London für den britischen BergarbeiterstreikMitte er 1980er Jahre. Auch nach ihrer Streikniederlage setzte sich die Minersgewerkschaft für Schwulen- und Lesbenrechte ein. Mit dem Film Pride wurde diese Form der Solidarität wieder entdeckt. Karakayali verschwieg aber auch die Schwierigkeiten nicht, die sich auftürmen, wenn man die Gewerkschaftskolleg*innen davon überzeugen will, dass Migrant*innen gleiche Rechte auch innerhalb der Gewerkschaft fordern. Im Gegensatz zu denen, die denStatus Quo verteidigen, müssen diejenigen, die Veränderungen fordern, kleine Schritte gehen und müssenviel Geduld aufbringen, erklärte Karakayali auf der Veranstaltung einem jugen Kollegen, der von Schwierigkeiten berichtete, Antirassismus zu einer Selbstverständlichkeit im Gewerkschaftsalltag zu mache. . Die 47 Delegierten und zahlreichen Gäste wollen diesen langen Atem auf jeden Fall aufbringen. Dabei stützen sie sich auf lokale Arbeitszusammenhänge wie Nuschin Rawanmehr, die in München lebt und neben dem Verdi-Migrationsausschuss auch noch in weiteren Organisationen aktiv ist, die sich für gleiche Rechte für alle in Deutschland lebenden Menschen einsetzt. "Es ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, aber bei uns wird die Teilhalbe praktiziert", erklärt die engagierte Gewerkschaftlerin. Das Wahlrecht für alle in Deutschland lebenden Menschen gehört zum Forderungskatalog von Verdi und wurde auf der Konferenz noch mal ausdrücklich bestätigt.Natürlich gab es Beschlüsse gegen die neue und die alte Rechte. Aber auch die Resolution für eine radikale Arbeitszeitverkürzung, der sich in der Parole „30 Stunden sind genug“ ausdrückt, hat eine klar antifaschistische Komponente.Hier wird den rechten Forderungen nach „Arbeitsplätzen zuerst für Deutsche“ Paroli geboten. Der verdi-Migrationsausschuss hat auch klar seine Solidarität mit der Seenotrettung erklärt. Nur wenige Hundert Meter vom Tagungsgebäude startete am Samstagnachmittag eine Demonstration von mehreren Tausend Menschen, die sich gegen die Angriffe auf die Seenotrettung wandten und fürden Schutz von Geflüchteten einsetzten.Es wäre wünschenswert, wenn auch die migrantischen Aktivitäten in den Gewerkschaften als Teil des Kampfes gegen den Rassismus begriffen würden. Vor einigen Jahren sind einige Geflüchtete aus Afrika in Hamburg demonstrativ bei Verdi eingetreten und haben damit auch innerhalb des Gewerkschaftsapparats für Diskussionen gesorgt. Damals war das Thema Gewerkschaften und Antirassismus für einigeZeit auch in der antirassistischen Bewegung aktuell. Doch dergewerkschaftliche Alltagskampf von Migrant*innen, der meistens wenig Schlagzeilen macht, könnte dazu beitragen, dass Antirassismus Teil einer Klassenpolitik auf der Höhe der Zeit wird.

Peter Nowak

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Peter Nowak

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