Kein Mensch ist asozial

Aktion Arbeitsscheu Reich Gleich zwei Gedenkveranstaltungen erinnerten an die Verfolgung von als asozial stigmatisierten Menschen vor 80 Jahren

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Zwischen den Lofts und kleinen Bungalows an der Berliner Rummelsbucht steht ein Gedenkort an Verfolgung und Terror. Dort stand das Berliner Arbeitshaus Rummelsburg, das in der NS-Zeit eine Stätte des Schreckens für Menschen wurde, die als asozial stigmatisiert wurden. Gleich zwei Gedenkveranstaltungen erinnerten in den letzten Tagen an diese lange Zeit vergessenen NS-Opfer. Anlass war die 80te Wiederkehr der Aktion Arbeitsscheu Reich. Im April und Juni 1938 wurden im gesamten damaligen „Reichsgebiet“ mehr als 10.000 Menschen von der Gestapo und der Kriminalpolizei als sogenannte „Asoziale“ verhaftet. Unter ihnen waren Obdachlose, Prostituierte, Sinti und Roma sowie jüdische BürgerInnen. Schon im Dezember 1937 wurde die Aktion vom Reichsinnenministerium mit dem „Grundlegenden Erlass über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“ vorbereitet. Die „Juni-Aktion“ fand zwischen dem 13. und 18. Juni 1938 statt. Einer der Sammelorte für die von Gestapo und Polizei verschleppten Menschen war das Arbeitshaus Rummelsburg. Am Montagabend hatte das Lichtenberger Bezirksamt dort zu einer Gedenkveranstaltung eingeladen.


„Von diesem Ort wurden von den Nationalsozialisten Hunderte in Konzentrationslager transportiert, wo sie einen schwarzen Winkel tragen mussten, der sie in der Gefangenenhierarchie auf die unterste Stufe stellte. Eine spätere Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus blieb ihnen in Ost- und Westdeutschland verwehrt“, erklärte der Historiker Thomas Irmer, der seit Jahren zur Verfolgung von als asozial stigmatisierten Menschen forscht auf der Gedenkveranstaltung. Der Lichtenberger Bürgermeister Michael Grunst (Die Linke) und die Vorsitzende der Berliner Tafel e. V. Sabine Werth schlugen in ihren Redebeiträgen den Bogen zur Gegenwart und warnten vor der Stigmatisierung von einkommensarmen Menschen. Bereits am 13. Juni hatten der Arbeitskreis Marginalisierte gestern und heute (AK Marginalisierte) und die Initiative extramural e.V. an die Opfer der Aktion Arbeitsscheu Reich erinnert. Die beiden Organisationen setzen sich seit Jahren dafür ein, dass die als sozial Stigmatisierten Menschen posthum Anerkennung erhalten. Oft seien sie in beiden deutschen Staaten auch nach 1945 weiter stigmatisiert wurden, erklärt Anne Allex vom AK Marginalisierte. Der Historiker Manfred Bremberger befasst sich mit der noch offenen Frage, welche Rolle die Pfleger im Arbeitshaus Rummelsburg spielten. Waren sie Teil der staatlichen Verfolgungsmaschinerie oder haben sie sich für die Insassen des Arbeitshauses eingesetzt? Anne Allex erinnerte daran, dass im Rahmen der Aktion Reich auch im von der deutschen Wehrmacht besetzten Österreich zahlreiche Menschen verschleppt wurden. Hier ist weiterer Forschungsbedarf nötig. Zufrieden zeigt sich Anne Allex im Gespräch, dass es in diesem Jahr gleich zwei Gedenkveranstaltungen für die Opfer der Aktion Arbeitsscheu Reich gab, an die lange Zeit niemand erinnern wollte.

Peter Nowak

Gedenkveranstaltung der AK Marginalsierte und der Initiative extramural e.V.

http://extramural.de/index.php/archive/8-archive/2-fuer-einen-wuerdigen-gedenkort

Pressemitteilung zur Gedenkveranstaltung des Bezirksamts Lichtenberg:

https://www.berlin.de/ba-lichtenberg/aktuelles/pressemitteilungen/2018/pressemitteilung.712696.php

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Geschrieben von

Peter Nowak

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