Kein Respekt für den Reichstag

Sturm auf den Reichstag Rechtsoffene Demonstrant*innen nein danke, Aber rote und schwarze Fahnen dort würden mich freuen, vielleicht an einen 13. Januar zum Gedenken an die Opfer des 13.1.1920

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Keine Frage, die Rechten, die am Samstag mit ihren Fahnen auf die Reichstagstreppe stürmten, sollten ein Anlass für antifaschistisches Engagement sein. Doch wird mich nichts dazu verleiten, jetzt über den Angriff auf die demokratische Ordnung zu greinen, wie es von Politiker*innen und Medien gemacht wird. Der Reichstag, jetzt Bundestag ist der Ort, an dem Hartz IV-Gesetze, die faktische Abschaffung des Asylrechts und auch schon einige Kriege beschlossen wurden. Das ist der Ort, wo die kapitalistische Ordnung exekutiert wird. Wir sollten mittlerweile wissen, dass es etwas Schlimmeres als die bürgerliche Demokratie gibt, die diversen Faschismen zeugen davon. Doch das heißt nicht, dass wir uns nun hinter die bürgerliche Demokratie stellen sollten und den Reichstag einen sakrosanten Status zubilligen.

Alle sollen gehen

Es ist übriges durchaus nicht das erste Mal, dass nach einer Massendemonstration Protestierende zum Foto-Shooting die Reichstagstreppe eroberten. Ich erinnere mich noch an eine Großdemonstration gegen die Aufkündigung des rotgrünen AKW-Kompromisses, die bereits mehr als 10 Jahre her ist. Es waren viele Menschen dort, und am Ende wehten ganz viele Anti-AKW-Symbole auf der Reichstagstreppe. Die CDU und FDP, die damals die Bundesregierung stellten und den AKW-Ausstieg noch weiter verzögern wollten, moserten. Aber dann war es schnell wieder ruhig. Schließlich ist ja auch nicht viel passiert. Die AKW-Gegner*innen machten ihre Fotos und gingen dann wieder. Das war auch am vergangenen Samstag nicht anders. Die Rechten wollten ihre vollmündige Ankündigung eines Sturms auf Berlin symbolisch nachahmen. Trotzdem ist es gut, gegen die rechte Symbolik vorzugehen. Doch ich bekenne, ich hätte nichts dagegen, wenn eine linke Demonstration mit roten, rot-schwarzen und schwarzen Fahnen die Treppe des Reichstages erklimmt und es nicht beim Foto-Shooting belässt. Die alte libertäre Parole "Alle sollen gehen" könnte das Motto sein. Besonders freuen würde mich, wenn eine solch linkes Reichtstag-Goin an einen 13 Januar stattfinden könnte, im Gedenken an die wahrscheinlich über 40 Toten als Folge eines Blutbads, das Sicherheitspolizei und Freikoprs am 13. Januar 1920 an Arbeiter*innen verübten, die für ein Rätesystem in den Betrieben demonstrierten. Sie wandten sich gegen einen Gesetzentwurf, der vom Rätesystem nur die Betriebsräte, wie wir sie kennen, übrig lassen wollte. Das Blutbad wurde schnell vergessen und auch 100 Jahre später erinnerte lediglich eine Initiative linker Gewerkschafter*innen daran. Nur die Bannmeile, die die Gebäude der Herrschaft, zu denen der Reichstag gehört, schützen soll, erinnert noch an das Massaker vom 20.Januar 1920, weil es im Anschluss beschlossen wurde. Wenn jetzt von einen Angriff auf die Demokratie gesprochen wird, weil Rechte eine Reichstagstreppe enterten, sollte zumindest an den 13. Januar 1920 erinnert werden. Viele der damals erschossenen Arbeiter*innen sind bis heute unbekannt. Keiner der Schützen wurde juristisch zur Verantwortung gezogen.

Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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