Keine Tempelhofer Freiheit

Aufbruch Gefängnistheater Es wirft mit der Aufführung von Einar Schleefs Stück "Die Schauspieler" auf eine Hanger auch eine Blitzlicht auf das Gefängnis als tariffreier Niedriglohnsektor.

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Wer hat die Klobrille beschissen? Die Frage des Hausmeisters kündigte Ärger und Wut an. Doch die Gruppe der Gestrandeten, die irgendwo in einer Obdachlosenunterkunft leben könnten, kümmert sich nicht besonders um den wütenden Hausmeister. Schließlich war er mitten in ein Gelage mit ungewöhnlicher Besuch geplatzt. Eine Gruppe von Schauspieler*innen hatten sich mit Brot und Blumen angekündigt. Ein Besuch mit Hindernissen, wie sich schnell herausstellte. Zunächst fand sich bei den Armen keine Vase für die mitgebrachten Blumen. Wo sollen wir hier eine Vase hernehmen, fragte einer die zu diesem Zeitpunkt nochInteresse heuchelnde Besucher*innengruppe. Doch schließlich ließ man sich doch am Tischezum Picknick nieder. Am Anfang gab es Tee, bald wechselte man zum Rum. Es wurde lauter und die immer besonders akzentuierte Aussprache der beiden Wortführerinnen der Besucher*innengruppe changierte bald von geheuchelten Interesse am Leben der Armen, zu Zynismus zur Verachtung.Und bald artete der Besuch in allgemeiner Keilerei aus. Darum drehte sich zum großen Teil die Aufführung von Einar Schleefs wenig bekanntes Stück „Die Schauspieler“. Dieses Jahr wäre er 75 Jahre geworden, doch bereits 2001 erlag er einem Herzleiden. So gibt es Gründe, Schleef zu spielen. Dochnicht im Berliner Ensemble oder in der Volksbühne, sondern in einem Hangar des ehemaligen Tempelhofer Flughafens wird es von einer aus Ex-Gefangenen, Freigänger*innen und Schauspieler*innen gespielt.In den 180 Minuten, so lange dauert das Stück, wird niemand erkennen, wer die professionelle Schauspieler*innen sind und wersich diese Kunst erst hinter Gittern aneignen musste. Vor allem die Frauen sind in ihren Rollen großartig, sowohl auf Seiten der bürgerlichen Besucher*innen als auch unter den Darsteller*innen der Armen und Abgehängten.

Der Mythos vom Künstler, der zum "einfachen Volk" geht

Schleef ging es in dem Stück um den Begegnung von Künstler*innen mit dem „einfachen Volk“. Das Thema beschäftigt viele Künstler*innen und Pier Paolo Pasolini hat nicht nur auf der Bühne, sondern real für seine Stippvisiten ganz Unten mit den Leben gezahlt.Zumindest lautet die durchaus umstrittene offizielle Version, er sei von einen Strichjungen ermordet wurde. Zu Tode kommt im Schleefs Stück niemand, aber darunter wird in dem Stück alles geboten, Vergewaltigung inclusive. Als dann auch noch Kokain ins Spiel kommt, das verschwenderisch über den Tisch gestreut wird, droht die Aufführung in Klamauk unterzugehen. Es wird zum Glück kein Armen-Bashing vorgeführt, nach dem Motto, jetzt bekommen die naiven liberalen Künstler*innen mal gezeigt, wie es ganz Unten zu geht. Der Rum lockert auch bei den Arrivierten die Zunge und einige Frauen, aber auch ein jüngerer Mann geben zu, dass sie ihren Vorgesetzten auch sexuell zu Willen sein müssen, um Aufträge zu bekommen. Da gibt es Anklänge zur Meetoo-Debatte.

Nichts mit Tempelhofer Freiheit

In der letzten Szene gibt es noch einmal einen Ortswechsel und alle gehen in den großen Hangar zurück. Dort steht ein Mann weit oben auf einer Treppe im Lichtkegel mit einer Krone am Kopf.Nach wenigen Minuten steigt er nach unten und vereinigt sich mit anderen. Das große Tor des Hangars öffnet sich, und wir können einen Blick auf das nun dunkle Gelände des Tempelhofer Feldes werfen. An den Rändern sehen wir die Lichter von Neukölln. Nach wenigen Minuten schließt sich das Tor und die Schauspieler*innen bleiben draußen. Eine großartige Szene, die zeigt, was man auf dem Hangar noch alles machen kann. Die Phrase von der Tempelhofer Freiheit, so heißt auch die Firma, die die Grundstücke verwertet, sollte man aber stecken lassen. Im NS wurden auf dem Gelände im wilden KZ Columbiadamm Oppositionelle gefoltert. Später mussten auf dem Gelände Zwangsarbeiter*innen für die Rüstung schuften. Und auch aktuell diente das Gelände noch als Zwangsanstalt. In einer Ecke stehen noch die Stockbetten, die von Ende 2015 bis März 2019 als Schlafstätte für die Migrant*innen dienten, die in dieser Zeit dort in einer Notunterkunft leben mussten. Dort begann die Theateraufführung. In der ersten Szene sitzen dort verschiedene Mim*innen und erzählen aus ihren Leben und warum sie ins Gefängnis kamen. Ein studierter Jurist aus Georgien hofft, ,dass sein Vorstrafenregister gelöscht wird, damit er in seiner Heimat noch als Anwalt arbeiten kann. Eine Frau aus Portugal berichtet, warum sie ihre Heimat verlassen hatte und nach Deutschland kam, wo sie sich ein besseres Leben versprach, an das sie schon nicht mehr glaubt. Die erste und die letzte Szene hätte durchaus länger sein können und der Mittelteil, der vermaledeite Besuch, dafür etwas kürzer. Insgesamt aber waren die 180 Minuten schnell rum. Langweilig war es nicht.

Niedriglohnsektor Knast in den Fokus rücken

Zudem kann man das Stück jenseits des kulturtheoretischen Hintergrunds über den schwierigen Kontakt der Künstler*innen mit den einfachen Menschen viel Konkreter fassen. Die Bewohner*innen der Obdachlosensiedlung warfen ihren Besucher*innen zu fortgeschrittener Stunde vor, sie hätten sie ausgebeutet, für sich arbeiten lassen, ihr Leben als Stoff für ihre Kunst benutzt. Sie hätten die Bücher und Broschüren heften und falten müssen, in denen vermeintlich ihr Leben aufgeschrieben ist. Es treffen hier eben auch Menschen unterschiedlicher Klassen aufeinander, die auch unterschiedlich von Druck und Repression betroffen sind. Was wäre, wenn die Vertreter*innen der Firmen die Gefangenen besuchen würden, die als Billiglöhner*innen im Gefängnis ihre Produkte herstellen müssten? Könnten sich dann nicht Szenen wie sie hier gezeigt werden, abspielen? Die Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation (https://ggbo.de) hat seit ihrer Gründung den Niedriglohnsektor Knast immer wieder thematisiert. Das Theaterstück könnte im besten Fall diesen Protest ermutigen und weitertreiben und auch einer größeren Öffentlichkeit deutlich machen, dass die Gefängnisse bisher noch tariffreie Ultraniedriglohnsektoren sind. Und es könnte auch das Gerede von den getrennten Welten als Mythos kenntlich machen. Die Reichen lassen bei den Ärmsten produzieren, in den Niedroglohnsektoren in aller Welt, wozu auch die Knäste gehören. Der Film zeigt, was passiert kann, wenn dort nicht nur die Waren sondern auch die Menschen aufeinandertreffen.

Peter Nowak

Die nächsten Aufführungen:

https://www.gefaengnistheater.de/aktuelles-details/die-schauspieler.html

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Geschrieben von

Peter Nowak

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