Der wahre Pulse of Europe

Arbeitskämpfe in Italien Wir brauchen keine Erlaubnis und "Wir kämpfen weiter" lautet derTitel von zwei Filmen, die Arbeitskämpfe in Itaiien in den 1970er Jahren und heute dolumentieren.

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Im August 1969 konnte man in einem Artikel der Wochenzeitung »Die Zeit« lesen: »Nach langen Jahren paradiesischen Arbeitsfriedens brach bei Italiens größtem Automobilkonzern, Fiat in Turin, der Krieg aus. Die ›Chinesen‹, so nennt die italienische Presse die Aufrühre_innen, hatten im Frühjahr den Krieg angezettelt. Im Grunde ist es eine Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Kommunismus chinesischer Prägung.«

Der Autor beschrieb damit den Beginn eines Jahrzehnts der Arbeitskämpfe im norditialienischen FIAT-Werk. Die Auseinandersetzung wurde von den Linken in Westeuropa mit großer Sympathie verfolgt. Ging es doch bei den FIAT-Kämpfen nicht nur um mehr Lohn, sondern auch um die Mitsprache der Arbeiter im Betrieb und ihr Recht, Versammlungen abzuhalten.

»Wir wussten, dass uns keine Gewerkschaft und keine Partei rettet, sondern dass die Arbeiter selber für ihre Rechte kämpfen müssen«, beschreibt Pietro Perroti die damalige Stimmung bei FIAT. Am Dienstag kam der ehemalige Arbeiter zur Deutschlandpremiere des Films »Wir brauchen keine Erlaubnis« nach Berlin.

Perroti ist Protagonist des Films. Als junger Arbeiter zog er nach Turin, um bei FIAT zu arbeiten und politisch aktiv zu werden. Er kaufte sich eine kleine Kamera, die er in die Fabrik schmuggelte, um dort den Arbeitsalltag in Bild und Ton festzuhalten. Dieses wichtige Zeugnis der Arbeitermilitanz, an der sich Zehntausende über Jahre beteiligten, ist nun mit Untertiteln auch in Deutschland zu sehen.

Viele der FIAT-Beschäftigten kamen damals wie Perroti aus Sizilien und gerieten mit den Normen des rigiden Fabrikregimes in Konflikt. »Immer wieder wurden Kollegen beim Verlassen der Fabrik von Aufsehern kontrolliert, nur, weil die Haare zu lang schienen. Überall waren Zäune wie im Gefängnis«, erinnert sich Perroti. Das von ihm kreierte Symbol - ein von starken Arbeiterfäusten auseinander gedrückter Zaun - war häufig zu sehen. Perroti dokumentierte den Aufschwung der Bewegung, als die Bosse in die Defensive gerieten und Zugeständnisse machen mussten.

Deutlich wird aber auch die politische Vielfalt der Kämpfenden, die nicht konfliktfrei blieb. Während Unterstützer_innen der Kommunistischen Partei, die sich schon damals sehr staatstragend gab, ihren Vorsitzenden bei einer Rede zujubelten, setzten viele linke Gruppen auf die Selbstorganisation. Auch eine Fabrikguerilla, die militante Aktionen durchführte, hatte in der Fabrik Unterstützer.

Ende der 1970er Jahre schlugen Staat und Konzernleitung zurück. Während die Justiz zunehmend auch gewerkschaftliche Kämpfe verfolgte, wollte das FIAT-Management mit Massenentlassungen die Ordnung im Betrieb wieder herstellen. Höhepunkt war ein von ihnen gesponserter Marsch der »Schweigenden Mehrheit«. Mit italienischer Flagge vorneweg demonstrierten sie für das Ende der Arbeitskämpfe. Hier zeichnete sich die historische Niederlage der Turiner Arbeiteraktivst_innen ab. »Ich habe diesen Film gemacht, damit die Arbeiter, die die Kämpfe führten, nicht vergessen werden«, erklärte Perroti

„Wir kämpfen weiter“

Der Film hat jedoch nicht allein historischen Wert. Im Logistiksektor in Norditalien werden auch aktuelle Kämpfe von beiden Seiten mit großer Härte geführt. Das zeigen die aktuell sich zuspitzenden Arbeitskämpfe im italienischen Logistiksektor, in der Fleischindustrie und bei Discounter wie H &M. In den Medine ist darüber wenig zu erfahren. Es sind die Kolleg_innen von labournet.tv, die dafür sorgen, dass die Arbeitskämpfe bekannt werden. Vor zwei Jahren hat Bärbel Schönafinger mit dem Film „Die Angst wegschmeißen“ (http://de.labournet.tv/die-angst-wegschmeissen-trailer )das Schweigen um die von der Basisgewerkschaft SI Cobas unterstützten Arbeitskämpfe im norditalienischen Logistiksektor gebrochen wurden. Jetzt informiert wiederum labornet.tv über die aktuelle Entwicklung an der norditalienischen Streikfront. „Wir kämpfen weiter“, lautet der programmatische Titel eines Films, der am 22.5. um 19 Uhr im Berliner Kino Moviemento in Berlin Premiere hat. Danach werden Kolleg_innen von H& M und der Basisgewerkschaft SI Cobas über die Arbeitskämpfe berichten. Dabei wird auch die versuchte Kriminalisierung des Gewerkschafters Aldo Milani eingegangen. Er wurde am 27. Januar verhaftet, war eine Nacht im Gefängnis und darf seine Stadt nicht verlassen. Viele Medien verbreiteten die Version der Polizei dass zwei Gewerkschafter des SI Cobas den Kapitalisten Levoni erpresst hätten. Sie hätten Geld gefordert, damit die Streiks aufhören. Dabei hat Milani immer wieder betont, dass er mit der Erpressung nichts zutun hat und ihm eine Falle gestellt wurde. Doch dieses Konstrukt ist gar nicht so lächerlich, wie es sich anhört. Es gibt im wirtschaftsliberalen Diskurs schon lange das Konstrukt von kämpferischen Gewerkschaften als Mafia, weil sie mit ihren Aktionen die Bosse unter Druck setzen, damit sie beispielsweise höhere Löhne zahlen. Daher wäre eine Solidarität über Landesgrenzen hinweg mit den Arbeiter_inne in Italien der wahre Pulse of Europa, ein Begrif der aktuell für liberale Pro-EU-Demos gekapert wurde.

Ab 23.5. ist der Film dann auf labournet.tv online.

http://de.labournet.tv/wir-kaempfen-weiter

Peter Nowak

Veranstaltungshinweis:

"Wir brauchen keine Erlaubnis" wird am 24..5. um 18.30 Uhr im Berliner Lichtblickkino gezeigt.

http://berlin.carpediem.cd/events/3502246-wir-brauchen-keine-erlaubnis-at-lichtblick-kino-berlin/

Streiks in Italien - update 2017 wird am 22.5. um 19 Uhr im Kino Moviemento in Berlin gezeigt. im Anschluss gibt es eine Diskussion mit Beschäftigten von H&M und einem Basisgewerkschaftler von SI Cobas.

http://de.labournet.tv/

Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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