"Konkret" und die linke Kritik(un)fähigkeit

Corona-Debatte Der folgende Text ist ein Vorabdruck des kürzlich im Verlag AG SPKA Buch erschienen Buch "Corona und linke Kritik(un)fähigkeit"

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Vor allem von den Befürworter:innen von scharfen Lockdown-Maßnahmen gegen Corona wird immer wieder gerne angeführt, dass vor allem alte Menschen besonders gefährdet sind. Es sei daher ein Akt der Solidarität, dass sich jüngere Menschen selber einschränken bzw. sich den staatlichen Maßnahmen fügen. Dass hört sich erst einmal schön an. Nur wird meistens Vielmehr dient der Vorwurf, „die Alten“ zu vernachlässigen, oft als moralische Keule, um andere Positionen zu diskreditieren, statt sich argumentativ damit auseinandersetzen. Dieser Vorwurf soll hier an einen Textbeispiel aus der Monatszeitschrift Konkret exemplarisch begründet werden. Ich habe die Zeitschrift als ein Forum für durchaus auch polemisch geführte innerlinke Debatten wahrgenommen. Dazu gehört es dann, dass man sich über manche Text ärgern mag. Aber dann kann man ja eine Replik verfassen. Der langjährige Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza hat vor Jahren einem Kritiker seiner Kolumne beschieden, wenn er es schafft, seine Replik auf die Länge einer Seite zu begrenzen, würde er ihm gerne diesen Platz in der nächsten Konkret-Ausgabe einräumen.

Wie ich angeblich „das Sterben der Alten bagatellisiere“

Aber in Zeiten von Corona ist es mit der linken Kritikfähigkeit auch bei einem Magazin, das sich Verdienste um Kritik an den deutschen Zuständen erwor- ben hat, nicht besonders gut bestellt, wie ich erfahren musste. Da schrieb der langjährige Konkret-Mitarbeiter Thomas Ebermann eine längere Abhandlung über „Die Linke in der Pandemie“, die auf dem Titelblatt der Konkret 4/21 mit der Überschriftzeile „Zwischen Null und Zero“ versehen wurde. Für das Freie Sender Kombinat (fsk) hat Ebermann den Text noch mal eingesprochen. Eigentlich hörte sich eine solche Überschrift vielversprechendan. Schließlich hatte die Kampagne ZeroCovid für heftige Diskussionen in Teilen der Linken gesorgt. An ihr übte Ebermann manche treffende Kritik, die er mit Argumenten unterfütterte. Doch in der kurzen Passage, in der er sich mit sehr unterschiedlichen Kritiker:innen der staatlichen Corona- Maßnahmen auseinandersetzt, sucht man vergeblich nach Argumenten.

Hier die Passage, die ein Beispiel für linke Kritikunfähigkeit ist, im Wortlaut:

„Ich will nicht durch polemische Grobheiten vergessen machen, dass in der öffentlichen Debatte Zero Covid die Stimme ist, der ich am relativ nächsten stehe. In der ‚linken‘ Debatte gilt meine Verachtung, die die Gefährlichkeit des Virus systematisch leugnen, den ‚Nachdenkseiten‘ im Schulterschluss mit Ken Jebsen, den Hannes Hofbauers, Knut Mellenthins, die gemeinsam mit Nazis im ‚Demokratischen Widerstand‘ ihren Dreck verbreiten, den Clemens Henis und Peter Nowaks, die das Sterben der Alten bagatellisieren“.

Der ganze Duktus der Passage klingt wie ein Nachhall des autoritären K-Gruppen-Sounds der 1970er Jahre. Dort wurde Ebermann politisch sozialisiert, bevor er zum grünen Superspreader wurde. Ebermann gab 1984 gemeinsam mit seinen Freund und Genossen Rainer Trampert im Konkret- Verlag das Buch „Die Zukunft der Grünen – ein realistisches Konzept für eine radikale Partei“ heraus, in dem er Linke von der Ökopartei überzeugen wollte. Trampert und Ebermann verließen die GRÜNEN vor mehr als 30 Jahren. In dem zitierten Absatz seines Konkret-Beitrag watscht Ebermann völlig unterschiedliche Autoren in wenigen Sätzen mit der nicht weiter begründeten Behauptung ab, sie würden die Gefährlichkeit des Virus syste- matisch leugnen. Ich bin in diese Aufzählung mit hineingeraten, weil ich gemeinsam mit Gerald Grüneklee und Clemens Heni im Mai 2020 das Buch „Corona und die Demokratie. Eine linke Kritik“ herausgeben habe. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt haben wir davor gewarnt, dass die Rechten das Protestvakuum füllen werden, wenn die linke Bewegung keine wahrnehmba- re Opposition zur autoritären Staatlichkeit formuliert. Sehr gründlich kann Ebermann das Buch nicht gelesen haben. Sonst wäre ihm aufgefallen, dass das Buch von drei Autoren herausgegeben wurde. Gerald Grüneklee wird einfach vergessen. Dabei hat er sich in dem Buch mit den Problemen alter Menschen in der Corona-Krise befasst.

Leiden die alten Menschen mehr unter Corona oder den Maßnahmen?

Grüneklee beschreibt, wie alte Menschen an der Einsamkeit litten, weil sie ab März 2020 nicht mehr von Freund:innen und Verwandten besucht werden konnten. Als Besuche mit Masken und Schutzanzügen wieder möglich waren, erkannten viele alte Menschen ihre Besucher:innen oft nicht mehr. Besuche mit Trennscheiben erinnerten viele Senior:innen an Gefängnisse. Sie fragten, was sie verbrochen hatten, dass sie eingesperrt wurden und ihre Vertrauten nicht mehr umarmen und berühren konnten. Die Umstellung der Besuche auf Online-Formate war für die meisten Senior:innen keine Alternative. Es gab während des ersten Lockdowns zahlreiche Berichte von Angehörigen, deren alte Verwandte in Heimen starben, ohne dass sie sich noch mal verab- schieden konnten. In unseren Buch wird an mehreren Stellen auf ihr Schick- sal eingegangen. Es werden alte Menschen zitiert, die sich dagegen verwah- ren, dass in ihren letzten Lebensjahren staatliche Organe entscheiden sollen, ob sie nach Draußen gehen und Besuch empfangen dürfen. Diese Berichte vom Leiden von Senior:innen an den Bedingungen der Corona-Maßnahmen fällt bei denen unter dem Tisch, die den Staat vorwerfen, den Lockdown nicht rigoros genug durchgesetzt zu haben. Auch hier sei noch einmal ein Konkret-Kommentator zitiert. So macht Tim Wolff in Konkret 4/2021 einen Rundumschlag gegen alle, die unter Corona nicht alles dicht machen wollten und kommt dann natürlich auch mit einem Halbsatz auf die Senior:innen zu sprechen. Die komplexe Debatte um Schulöffnungen wird von Wolff mit dieser gänzlich argumentationsfreien Behauptung gecancelt: „Dann doch lieber die für den Markt unwichtig gewordenen Alten, die man sonst so gern zu vertreten behauptet, verrecken lassen, bevor man sich ernsthaft mit den Ängsten und Nöten des Nachwuchses beschäftigen muss.“ Ganz abgesehen davon, dass Wolff hier Generationen gegeneinander ausspielt, was er vorher in der Kolumne noch kritisiert hat, bleibt der Autor jeden Beweis für die Behauptung schuldig, dass der Staat pauschal „Alte verrecken lässt“. Die Prioritäten bei den Impfungen sprechen dagegen.

In Würde altern ist eine Klassenfrage

Besonders verwunderlich ist, wenn Autor:innen auch in linken Medien plötzlich nur noch Generationen und keine Klassen mehr kennen. Denn natürlich gibt es „die Alten“ genau so wenig wie „die Jugendlichen“. Ein würdiges Leben im Alter ist in einer kapitalistischen Gesellschaft generell und im Deutschland nach 15 Jahren Hartz-IV-Regime im Besonderen eine Klassenfrage. Es gibt wohlhabende Senior:innen, die in großen Häusern mit Probleme, sich zu isolieren, haben sie doch auch Geld, um Bedienstete oft schlecht zu bezahlen, die alles für sie erledigen. Es gab schon zu Beginn der Pandemie Erklärungen von diesen wohlhabenden Senior:innen, dass sie sich freiwillig zurückziehen und junge Menschen aufforderten, für sie kei- ne Einschränkungen einzugehen. Doch viele alte Menschen leben in kleinen Wohnungen und beziehen geringe Renten. Ihre Zahl wird in den nächsten Jahren noch steigen, weil das Hartz-IV-Regime den Niedriglohnsektor in Deutschland verstärkt hat. Wer Jahrzehnte zu den Geringverdiener:innen gehörte, landet im Alter in Armutsrenten. Diese Menschen konnten sich oft nicht zurückziehen, sondern mussten auch in Zeiten von Corona nicht nur selber einkaufen, sondern oft noch mit Minijobs ihre kargen Renten aufbes- sern. Diese Senior:innen standen auch in Zeiten von Corona an den Super- marktkassen, trugen Zeitungen aus oder stapelten Waren in die Regale der Warenhausketten. Diese Menschen sind im Kapitalismus generell besonders gefährdet, unter Corona aber noch einmal besonders. Mittlerweile sagen auch Befürworter:innen von Corona-Maßnahmen, dass der Lockdown alte Menschen nicht schützt.

Solidarität statt Instrumentalisierung

Das sollten auch Thomas Ebermann, Tim Wolff et al. bedenken, die mit den so schutzbedürftigen oder neudeutsch vulnerablen Alten argumentieren, wenn sie für besonders harte Corona-Maßnahmen eintreten, die nun mal nur vom Staat ausgehen können. Solidarität mit den Senior:innen, würde bedeuten, sich gegen den Niedriglohnsektor zu engagieren, der für Armuts- renten verantwortlich ist. Das bedeutet, sich dafür einzusetzen, dass alle Menschen auch im Alter unabhängig vom Einkommen ein Leben führen können, wie sie es wollen. Wer so etwas fordert, muss aber den Kapitalismus in Frage stellen. Wenn aber Linke ohne jegliche Begründung das Schicksal der Alten heranziehen, um harte Corona-Maßnahmen zu fordern, ist das ein Beispiel der Instrumentalisierung für innerlinke Grabenkämpfe. Konkret hat sich übrigens geweigert, auf Ebermanns Falschbehauptung zu unserem Buch eine Replik von drei Zeilen abzudrucken. Linke Kritik(un)fähigkeit un- ter Corona bei einem Magazin, dessen Markenzeichen einmal innerlinker Streit gewesen ist.

Peter Nowak

Hanloser, Nowak, Seeck (Hg): Corona und linke Kritik(un)fähigkeit, ISBN 9783945959596, 19 Euro, 240 Seiten

Peter Nowak stellt das Buch am 6.11.21 im Rahmen der Linken Buchmesse in Nürnberg um 13 Uhr vor

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Peter Nowak

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