Künstlerische Landpartie in der Brandenburger Provinz

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Den kunstübersättigten Berlinern muss schon etwas mehr geboten werden, um sie in der Sommerhitze in die Ausstellungen zu locken.

Die Macher des Ausstellungsprojekts Rohkunstbau hat darin schon Erfahrung.Seit 1994 mieten die Festivalmacher alte Schlösser oder historische Gebäude in Brandenburg zur Zwischennutzung und bespielen sie mit meist interessanter Kunst. Den ganzen theoretischen Überbau, der da immer drüber gestülpt wird, kann aber muss man nicht zur Kenntnis nehmen, um sich die Bilder, Installationen und Videos anzusehen.Atlantis - versteckte Geschichten“ lautet dieses Jahr das Oberthema für die 10 Arbeiten von Künstlern aus aller Welt, die bis 12. September auf Schloss Marquardt bei Potsdam zu sehen sind.

Nach der nichtklimatisierten Regionalbahn ist es eine richtige Wohltat in die kühlen Räume des alten Schlosses einzutauchen. Im ersten Raum wird man zudem heiter vonPferden,Nymphen und einer Wasserquelle begrüßt. Die marokkanischeKünstlerin Wafae Ahalouch el Keriasti will damit ein Motiv von Platons Kritias visualisieren. Man kann das Kunstwerk auch ohne theoretischen Überbau einfach lustig finden. Das wird bei Mat Cloolishaws Videoinstallation Vanitas schon schwerer, wenn einem beim Betrachten eines alten Spiegels ein Totenkopf entgegenblickt.

Das Lachen vergeht einem spätestens beim Betrachten von Evader. Der israelische Künstler Ori Gesht zeichnet in dem Videoauf zwei Leinwänden den letztenFluchtweg von Walter Benjamin vor den Nazis nach. Wir sehen einen älteren Mann schwer atmend durch unwirtliches Gelände stapfen und dann sehen wir Bilder vom heutigen Tourismusort Port Beau, wo sich Walter Benjamin das Leben nahm.Mit dem Thema Flucht hat Gesht, dessen Eltern sich vor den Nazis in einem Wald in der Ukraine versteckten, auch in seinen früheren Arbeiten beschäftigt.

In eine ganz andere Atmosphäre führt uns Niklas Goldbach mit seinem Video Mandela. Er zeigt die routinierten Bewegungen des Personals im Berliner Luxushotel gleichen Namens. Selbst das aufgesetzte Lächeln wird auf Knopfdruck ein und wieder ausgeknipst, wenn sich die Personen unbeobachtet glauben. Man verlässt diese schöne neue Welt, um sich in einer von Stefan Roloff gestalteten dunklen Kapelle wiederzufinden. Doch die Kirchenfenster im gotischen Stil sind Videos, in denen Menschen aus verschiedenen Ländern Europas in ihrer Sprache kommunizieren.In zwei Räumen präsentiert die Turiner Künstlerin Elisa Sighicelli historische Motive in ihren berühmten Lichtkästen.Historische Schlachtenmotive verwendet auch Cathy de Monchaux, um auf ihre Ablehnung von Krieg und Gewalt auszudrücken.

Nach der Ausstellung ist ein Spaziergang im großen Park von Schloss Marquardt anzuraten. Nur wenige Minuten entfernt ist ein kleiner See. Auch Restaurants gibt es in der Nähe. Schließlich soll die Ausstellung auch dazu dienen, dass etwas Geld der Besucher in den kleinen Gemeinden bleibt.



Kunst und Alltag

Das war bei derAusstellung„Gel(i)ebtes Leben“ nicht anders . Am Ende des Rüdersdorfer Stadtteils Hennickendorf haben bis zum letzten Wochenende 19 Künstlerinnen des Vereins Endmoräne in der baufälligen Villa Thyssen ausgestellt.Es war nicht die große Weltkunst und auch der oft überstrapazierte theoretische Überbau fehlte. Gerade das machte die Ausstellung für mich sympathisch. So stellte Claudia Busching verschiedene Schüssel und andere Eimer in einem Raum aus, darunter Leihgaben von Freunden und Nachbarn. Renate Hampke präsentierte in ihrem Soap-Cabinet Seifen in allen Formen und Farben. Einige Exemplare hat sie von Reisen nach Afrika und den USA mitgebracht. Durch die Präsentation wird einen erst bewusst, dass Seifen im Zeitalter der Shampoos und Lotionen zu den verschwindenden Gegenständen gehören.In den Videos von Monika Funke Stern erzählen drei Frauen im Alter von 74, 84 und 89 über ihr Leben, zu der für sie die Arbeit als Mechanikerin, Waschküchenchefin, Chemielaborantin dazugehörte. Masko Ivo zeigte mit ihrer Arbeit auch die Schattenseiten. Viele Frauen in Rüdersdorf und Umgebung trugen schwere gesundheitliche Schäden davon.Dorothea Zimmer lässt in ihrem Frauenzimmer 100 Frauen, die in Brandenburg geboren wurden oder es aus unterschiedlichen Gründen dorthin verschlagen hat, über ihr Leben berichten. Es ist ein Pluspunkt der Ausstellung, dass sie Kunst mit dem Leben der Menschen in Verbindung bringt, die oft nicht viel damit anfangen können, weil sie nie damit in Kontakt kamen oder weil ihnen Kunst als bildungsbürgerliche Angelegenheit vorgestellt wurde. Auch der Raum war bemerkenswert. Nicht im sterilen Museum sondern in einer alten baufälligen Villa, wo selbst die Spinnweben oder die verrotteten Fensterrahmen noch Teil der Ausstellung wurden, waren die Arbeiten am richtigen Platz.


Peter Nowak


Die Ausstellung Rohkunstbau XVII ist bis 12. Septembergeöffnet Freitag14 - 19 Uhr, Samstag und Sonntag12 - 19 Uhr, weitere Infos: www.rohkunstbau.de/


Die Ausstellung „Gel(i)ebtes Leben ist am 11.7. zu Ende gegangen. Infos dazu und über weitere Ausstellungen gibt es unter www.endmoraene.de

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Geschrieben von

Peter Nowak

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