Die falsche Botschaft

Gentrifizierung Warum ist es so schwer, die neue Mieter_innenbewegung im Film darzustellen?

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Die falsche Botschaft

Bild: ARD

„Warum ein solches Polizeiaufgebot, um eine Familie aus ihrer Wohnung zu vertreiben, damit der Eigentümer mehr Profit machen kann“? Diese kluge Frage stellt Ali Gülbol in dem Dokumentarfilm „Wem gehört die Stadt?“, der am Dienstagabend zu einem guten Sendetermin von der ARD ausgestrahlt wurde. Die Frage auf einen solchen Sendeplatz nicht nur zu stellen, sondern zumindest ansatzweise zu beantworten, das wäre ein Fortschritt gewesen. Doch die Macher_innen des Films Kristian Kähler und Andreas Wilcke haben keine Idee, und keine eigene Fragestellung. So mäandert ihr Dokufilm vor sich hin. Hier mal eine gute Frage von Ali Gülbol, dort einige kluge Bemerkungen des Stadtsoziologen Andrej Holm. Doch die Filmemacher verstehen es in ihrem Drang, einen möglichst ausgewogenen Film zu machen und nicht etwa als einseitig mieter_innenfreundlich zu gelten, noch die interessanten Zusammenhänge zu verunklaren. Da werden Interviews so aufgesplittet, dass kein zusammenhängender Gedanke mehr erkennbar ist. Zudem hat man oft den Eindruck, die Filmemacher trauen den Zuschauer_innen nicht zu, die einfachsten Zusammenhänge zu erkennen. Da muss Andrej Holm durch einen gentrifizierten Stadtteil gehen und angestrengt in die Umgebung blicken, und im O-Ton werden wir belehrt, dass Holm schon seit Jahren den Blick auf die Gentrifizierungsprozesse in den Kiezen wirft. Als hätte er das nicht durch seine sachkundigen Beiträge unter Beweis gestellt. Genau wie die Filmemacher immer wieder deutlich machen, dass sie keinen Durchblick haben, nicht über die Berliner Mieterbewegung und nicht über die Möglichkeiten, einen Film zu machen, der diese Bewegung ernst nimmt und ihr vielleicht sogar Mut macht.

Gegen das Diktat der Ausgewogenheit

Wie es anders gehen kann, haben Matthias Coers und Gertrude Schulte Westerberg in ihren Film „Mietrebellen“ gezeigt. Ohne einen Verleih, sorgt der Film schon seit mehr als 3 Monaten für oft ausverkaufte Kinos. Das Filmduo zieht sich nicht auf eine vermeintliche Neutralität zurück und verleugnet seinen Anspruch nicht, den Mietrebellen ein Forum zu geben. In "Mietrebellen" wird ein Interview von Ali Gülbol eben nicht so zerschnitten, dass es seine Aussagekraft verliert. In Mietrebellen wird vielmehr gezeigt, welche Bedeutung die Gülbols für die Herausbildung der neuesten Berliner Mieter_innenbewegungen haben. Sie sollten wie Tausende vor ihnen in Berlin zwangsgeräumt werden. Weil die Gülbols an die Öffentlichkeit gegangen sind und nicht still und heimlich die Wohnung geräumt haben, gaben sie wichtige Impulse für die Bewegung gegen Zwangsräumungen in Berlin und für viele andere Mieter_innen, die erkannten, dass nicht sie es sind, die schuld haben, wenn sie geräumt werden sollen, sondern ein kapitalistisches System, das über Leichen geht. Mietrebellen beginnt mit der Beerdigung von Rosemarie Fließ, einer 67jährigen Rentnerin, die im letzten Jahr zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung gestorben ist.

Kristian Kähler und Andreas Wilcke lassen ihren Film mit einer Szene enden, die nur ratlos zurücklegt und die ganze politische und filmische Unbedarftheit des Duos auf dem Punkt bringt. Ein junges Ehepaar wird vor Gericht gezeigt, wie sie gerade einen Prozess gegen einen Hausbesitzer verloren haben, der ihre Wohnung unter dem Label der energetischen Modernisierung teuer neu verwerten will. Der Anwalt erklärt den beiden, dass sie leider verloren haben. Vom Prozessgegner ist nichts zu sehen. Doch warum wurde diese Szene gewählt und warum damit auch noch als letzte Szene. Soll wirklich die Botschaft vermittelt werden, man kann gegen die Hausbesitzerlobby sowieso nichts machen? Ob gewollt oder nicht. Diese Botschaft vermittelt der Film – und deswegen konnte er vermutlich auch in der ARD ausgestrahlt werden.

Werbefilm für Berlin-Tourismus

Dass man mit affirmativen Filmchen durchaus auch in der Neuköllner Szenekultur punkten kann, zeigte der kleine Hype um Welcome Goodbye von Nana A. T. Rebhan, der schon for einigen Wochen Premiere hatte und viel beworben wurde. Die Filmemacherin will sich ihrem Anspruch nach in ihrem Dokumentarfilm der Debatte um die steigenden Tourismuszahlen in Berlin widmen. Wahrlich ein interessantes Thema, das auch in den mieten- und stadtpolitischen Gruppen in der letzten Zeit heftig diskutiert worden ist. So hatte die Gruppe andere zustände ermöglichen (aze) 2013 mit Plakaten und Veranstaltungen eine Debatte angeregt, wie auch manche Stadt-Aktivist_innen mit dem Tourist_innenbashing nicht nur regressive Politik befördert, sondern auch das Geschäft von Grünen und SPD besorgen, die schließlich für die teureren Mieten nicht ihre Politik, sondern „die Touristen“ verantwortlich machen. Doch davon findet sich im Film nichts. Statt dessen kommen einige Ex-Hausbesetzer_innen und Alternative zu Wort, die mit geschmäcklerischen Argumenten die steigenden Tourismuszahlen beklagen. Dass dann noch ein Schauspieler engagiert wurde, der einen Touristenführer Christian spielt, der sogenannte Kreative durch die Metropole Berlin lotst, macht Welcome Goodbye tauglich als Material für die Berliner Tourismuswerbung. Damit hat der Film aber endgültig jeden kritischen Anspruch hinter sich gelassen. Natürlich gibt es einige bedenkenswerte Sätze, unter Anderm vom kritischen Stadtforscher Johannes Novy. Unfreiwillig lehrreich sind die Monologe des Berliner Tourismuschefs Burkhard Kieker, der sich als kapitalistischer Ideologe enttarnt, der ganz offen sagt, dass die Einkommensschwachen eben in der Berliner Citynähe nicht mehr wohnen können. Da müsse Berlin noch von London, Paris und New York lernen. Ich kann mich noch erinnern, dass solche Thesen in den frühen 90er Jahren bereits von Hanno Klein geäußert wurden, der vom Spiegel als „ein übermütiger, autokratischer Referatsleiter aus der Bauverwaltung, der die innerstädtischen Privatinvestitionen lenkte“ beschrieben wurde. Klein kam 1991 durch einen Briefbombenanschlag ums Leben, der bis heute nicht aufgeklärt wurde.

Wenn Senioren aus Kostengründen ausgelagert werden

Am Schluss soll noch auf einen amüsanten Film hingewiesen, der bisher kaum in den Kinos gezeigt wurde. Der Berliner Filmemacher Daniel Abma widmet sich in “Holanda del Sol“ einer besonderen Art von Tourismus. Der Film zeigt holländische Senior_innen, die im Winter mehrere Monate im Badeort Benidorm verbringen. Abma gelingt es, die unterschiedlichen Rentner_innen vorzustellen. Eine Frau, die noch immer mit dem Fahrrad unterwegs ist und viel jünger aussieht, als sie ist. Andere sind auf den Rollstuhl und ständige Assistenz angewiesen. Auch das soziale Gefälle wird im Film deutlich. Es gibt Luxusherberge für die Reichen und einfache Zimmer in Wohnblocks für die Menschen mit weniger Geld. Abma hat hier ein Thema aufgegriffen, das angesichts von Armut im Alter und längeren Lebenszeiten durchaus noch an Aktualität gewinnen könnte und seine problematischen Seiten hat. Schon heute werden Senior_innen in Länder ausgelagert, in denen die Pflege kostengünstiger als in Deutschland ist. So könnte der Aufenthalt im sonnigen Süden vielleicht einmal auch gar nicht mehr so freiwillig sein.

Peter Nowak

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Peter Nowak

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