Lebender Robin Hood

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Der Film Lucio hat den Anspruch, auf lockere und humorvolle Bewegung das Leben des Maurers und Sozialrebells Lucio Urtubia zu erzählen.

Normalerweise sind die Heldengeschichten von Robin Hood und seinen Epigonen langweilig und kitschig. Und die realen Figuren, die hinter den Robin Hoods stehen solln, sind in der Regel auch lange tot. Aber Lucio Urtubia lebt und wird am 21. Oktober um 17.30 Uhr im Berliner Lichtblickkino anwesend sein, wenn der von den baskischen Künstlern Jose Mari Goenaga und Aitor Arregi Film Lucio erstmals in Berlin gezeigt wird. Er behandelt das abenteuerliche Leben eines Mannes, der in armen Verhältnissen im franquistischen Spanien geboren wurde. Weil der schwerkranke Vaternicht genug Geld für seine Behandlung hatte, verübte Lucio seinen ersten Bankraub. Damit begann seine jahrzehntelange Karriere als Sozialrebell undGeldfälscher. Gleichzeitig übte er immer seinen Maurerberuf aus, was Lucio stolz erwähnte. „Anarchist, Bankräuber, Fälscher, aber vor allem Maurer“, heißt es in der Werbung.

Tagsüber ging Urtubia seiner Lohnarbeit nach, nach Feierabend begann sein sozialrevolutionäres Engagement. Dabei politisierte er sich . Nach einem kurzen Gastspiel bei den Kommunisten wird Urtubia Anarchist. Ausschlaggebend für ihn bleibt aber das Gefühl und nicht die Theorie. Das zu machen, was man will und sich weder von einem Polizisten, einem Chef oder seiner Frau was vorschreiben zu lassen, beschreibt einer von Urtubias Kumpel seinen Anarchismus.

Im Film werden viele historische Ereignisse angesprochen, an denen Urtubia beteiligt war. In Paris kam er bald mit den spanischen und baskischen Exilgruppen in Kontakt und beteiligte sich am antifranquistischen Widerstand. Auch die 68ern konnte er ganz praktisch unterstützen. In den 70er Jahren, in der Spätphase des Francoregimes, als das Ancien Regime noch mal blutig gegen die Opposition vorgegangen ist und einen jungen Anarchisten mit der Garotte ermordet hat,soll Urtubia sogar an der Entführung eines spanischen Bankiers beteiligt gewesen sein. Hundertprozentig nachweisen kann man ihm die Tat nicht.

Che sagt nein

Da hatte Urtubia schon eine neue Tätigkeit entdeckt, die er immer mehr ausbaute. Es ging um das Fälschen von Dokumenten und Geldscheinen. Guerillagruppen in aller Welt sollen sich an seinen Produkten bedient haben. Selbst mit kubanischen Regierungsmitgliedern standen die Sozialrebellen in den frühen 60er Jahren in Kontakt. Die kubanische Revolution war damals noch jung und hatte Unterstützer in aller Welt und bei den unterschiedlichen Linken.Als der Che in seiner Funktionals Finanzminister nach Paris kam, traf er sichauch mit Lucios Gruppe. Die machte ihm das Angebot, massenhaft gefälschteDollarblüten in die Weltökonomie zu pumpen und so einen Kollaps des Kapitalismus auszulösen. Der Che hörte sich die Vorschläge ruhig an und ließ einige Wochen später ausrichten, dass er an dem Deal kein Interesse habe, weil man auf diese Weise nicht den Kapitalismus bezwingen kann. Da hatte der Che recht, aber die Gefühlsanarchisten sind seitdem auf ihn schlecht zu sprechen und lassen im Film ihrer Antipathie freien Lauf. Dabei waren sie damals so stolz, dass der Che Zeit für sie hatte.

Mitterand hilft

Ein Kapitel bleibt im Film sehr rätselhaft. Wie konnte es Lucio immer wieder gelingen, sich der staatlichen Verfolgung zu entziehen? Hatte er nur Glück? Oder wurde der Idealist Urtubia, von dem auch seine Gegner und Verfolger im Film sagen, er habe sich nie persönlich bereichert, zum Spielball politischer Interessen unterschiedlicher Staaten? Besonders viele Fragen wirft die Intervention führender Politiker der Mitterand-Regierung zugunsten von Lucio auf. Da waren ihm führende Banken wegen der Geldfälscherei auf der Spur und er war auch schon im Gefängnis. Es sah schlecht für ihn aus und da schalteten sich führende französische Politiker ein und zwangen die Bank, ihren Wunsch auf Bestrafung aufzugeben .Dafür überreicht Lucio die Geräte, die er und seine Kumpels zum Geldfälschen benutzten.„Auch ein Arbeiter kann einflussreiche Freunde haben“, kommentiere Lucio den Deal. Ein Arbeiter schon, aber auch ein Anarchist? Hier hätte man sich etwas kritischere Nachfragen des Filmteams gewünscht. Aber man kann den Protagonisten auch selber fragen. Denn Urtubia lebt und das ist auch gut so. Denn jetzt kann er nicht nur nach dem Film Rede und Antwort stehen und vielleicht auch beantworten, wie viel Realität und viel Fiktion in dem Streifen enthalten sind. Der Film wird jetzt in Berlin gezeigt, weil im „Verlag Assoziation A“ Urtubias Biographie unter dem Titel „Baustelle Revolution“ erschien, die der Anarchist auf einer Lesereise vorstellt.


Peter Nowak.

Jose Mari Goenaga, Aitor Arregi, Lucio, 93 Minuten, der Film wird am 21.10. um 17.30 Uhr in Anwesenheit von Urtubia im Lichtblickkino in der Kastanienallee 77 gezeigt. Weitere Vorführungen: 23.10, 24.10, 25.10. und 27.10. jeweils 18.30 Uhr,

www.lichtblick-kino.org/lichtblick-programm.htm

am 22.10.2010 stellt Urtubia um 20 Uhr im Versammlungsraum des Berliner Mehringhofs in der Gneisenaustr. 2 seine Autobiographie „Baustelle Revolution“ vor.

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Geschrieben von

Peter Nowak

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