„Die Liebe stirbt, du lebst, mein Kind“

Bühne Masha Qrella, die Enkelin des Kommunisten Alfred Kurella, hat im Hebel am Ufer mit „Woanders“ eine deutsch-deutsche Geschichte mit Musik erzählt

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„Und wenn wir nicht am Leben sind / dann sterben wir noch heute. / Die Liebe stirbt, du lebst, mein Kind / die Mädchen werden Bräute. / Ach, wenn ihr mich gestorben habt / lebt ihr mich weiter heute. / Gemeinsam wird 1 Land begrabt / und einsam sind die Leute.«

Lyrik von Thomas Brasch konnte man in den letzten Tagen im Hebbel am Ufer hören. Viele melancholische, oft auch traurige Zeilen des Künstlers, der weder in der DDR noch in der BRD glücklich werden konnte, der sich auch nach seiner Ausreise aus der DDR nicht von Antikommunist*innen vereinnahmen lassen wollte. „Die Söhne sterben vor den Vätern“ – dieser Titel des wohl bekanntesten Buches von Thomas Brasch war auch ein Ausdruck großer Traurigkeit und des Willens, sich davon nicht unterkriegen zu lassen. Das war der Eindruck, den ich von den Liederabend im HAU mitnehmen konnte. Der Andrang war groß, auch die Treppen wurden zu Sitzplätzen. Für das Interesse dürfte auch beigetragen haben, dass mit Andreas Spechtl, Tarwater und Dirk von Lowtzow bekannte Diskurspopper an der musikalischen Gestaltung der Abende beteiligt waren. Die Generation Diskurspopp war dann auch in der Mehrzahl und traf auf manche Älteren, die noch Zeitgenoss*innen von Thomas Brasch gewesen sein könnten. Doch das Interesse speiste sich auch aus dem Bedürfnis, über die DDR anders als in den Kategorien von Tätern und Opfern zu reden.

Kein DDR-Opfer

Thomas Brasch hätte sich dagegen verwahrt, zum DDR-Opfer gemacht zu werden. Das konnte man auch an dem Abend erfahren, wen man sich die Zeit nahm, sich das Video „11 Minuten mit Thomas Brasch“ anzusehen, das im Foyer zu sehen war. Dort werden kurze Auszüge aus der Rede von Brasch bei der Verleihung des bayerischen Filmpreises gezeigt. Dort dankte Brasch an erster Stelle der Filmhochschule der DDR für seine Ausbildung und wiederholte den Satz noch einmal akzentuiert gegen anschwellende Buhrufe. Nicht im Video zu sehen war die Reaktion des bayerischen Ministerpräsidenten F.J. Strauß, der rechts von der heutigen AFD-Mehrheit stand. Er behielt auch bei der Rede Brasch nur notdürftig die Contenance und stammelte etwas von bajuwarischer Liberalität. „Der Faschismus ist gemessen an der Weltgeschichte gerade einmal einer Sekunde vorbei“, erklärte Brasch in einer anderen Filmsequenz und wies bereits in den 1980er Jahr die Versuche zurück, einen Schlussstrich unter die deutsche Gewaltgeschichte zu ziehen. BRD und DDR waren für ihn deutsche Nachgeburten. Dabeiwies er immer wieder darauf hin, dass die BRD von „entnazten Nazis (B.B.) aufgebaut wurden, die DDR hingegen von antifaschistischen Widerstandskämpfer*innen wie Erich Honecker und Emigrant*innen wie seinen Vater, den Juden und Kommunisten Horst Brasch.

Als er in der DDR Funktionär wurde, legte er eine Härte an den Tag, die sich auch aus den unausgesprochenen Wissen speiste, dass ein großer Teiljener „Deutschen, die jetzt Bürger*innen der DDR geworden waren, noch bis zur letzten Minute Juden und Kommunisten jagten. Diese Härte geboren aus den Konzentrations- und Vernichtungslagerführte dazu, dass jede Kritik als Abweichung und Verrat gebrandmarkt wurde. Thomas Brasch bekam diese Härte selber zur spüren, als er als junger Linker die Realität der DDR mit den hehren sozialistischen Ansprüchen verglichen hatte. Als er gegen die Niederschlagung der Prager Reformbewegung 1968 aktiv wurde, sorgte sein eigener Vater dafür, dass er ins Gefängnis kam.Doch Brasch wurde nicht zum Totalitarismustheoretiker, er verglich nicht rot und braun. Er handelte nach der Devise, dass die Dummheit der Kommunist*innen kein Argument gegen den Kommunismus ist. Und Brasch ging noch weiter,er gedachte den Alten mit der Nachsicht, um die Bert Brecht in dem Gedicht „An die Nachgeborenen“ gebeten hatte. Er wusste, dass zur Flut, in der sie untergegangen sind, nicht nur der Nationalsozialismus sondern auch die stalinistische Konterrevolution gehörte.

Es ist sicher kein Zufall, dass die Regisseurin des Brasch-Abends Masha Kurella, die sich als Künstlerin Masha Qrella nennt,mit Alfred Kurella einen wichtigen Exponenten der DDR zum Großvater hatte. Auch er war imExil in verschiedenen Ländern, kämpfte gegen den Nationalsozialismus und musste erleben, wie sein Bruder und Parteigenosse im Stalinismus hingerichtet wurde. Es ist erfreulich, dass die Kinder und Enkel dieser Generation des Aufbaus nun Interesse haben, diese Geschichten zu erzählen. Und es ist erfreulich, dass sie auch von jüngeren Menschen, die sich nicht mehr als "Ossis" oder Wessis" einordnen, gehört werden. Der Abend für und mit Thomas Brasch war dafür ein gutes Beispiel. Die Vorlage lieferte der mittlerweile verfilmte Familienroman „Die Braschs“ von der Überlebenden Marion Brasch. Der Abend setzte Maßstäbe, wie eine deutsch-deutsche Geschichte ohne Weinerlichkeit, Larmoyanz und Opfermythen funktionieren kann.

Peter Nowak

Masha Qrella Woanders mit Texten von Thomas Brasch, Hebbel am Ufer

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Geschrieben von

Peter Nowak

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