„Und wenn wir nicht am Leben sind / dann sterben wir noch heute. / Die Liebe stirbt, du lebst, mein Kind / die Mädchen werden Bräute. / Ach, wenn ihr mich gestorben habt / lebt ihr mich weiter heute. / Gemeinsam wird 1 Land begrabt / und einsam sind die Leute.«
Lyrik von Thomas Brasch konnte man in den letzten Tagen im Hebbel am Ufer hören. Viele melancholische, oft auch traurige Zeilen des Künstlers, der weder in der DDR noch in der BRD glücklich werden konnte, der sich auch nach seiner Ausreise aus der DDR nicht von Antikommunist*innen vereinnahmen lassen wollte. „Die Söhne sterben vor den Vätern“ – dieser Titel des wohl bekanntesten Buches von Thomas Brasch war auch ein Ausdruck großer Traurigkeit und des Willens, sich davon nicht unterkriegen zu lassen. Das war der Eindruck, den ich von den Liederabend im HAU mitnehmen konnte. Der Andrang war groß, auch die Treppen wurden zu Sitzplätzen. Für das Interesse dürfte auch beigetragen haben, dass mit Andreas Spechtl, Tarwater und Dirk von Lowtzow bekannte Diskurspopper an der musikalischen Gestaltung der Abende beteiligt waren. Die Generation Diskurspopp war dann auch in der Mehrzahl und traf auf manche Älteren, die noch Zeitgenoss*innen von Thomas Brasch gewesen sein könnten. Doch das Interesse speiste sich auch aus dem Bedürfnis, über die DDR anders als in den Kategorien von Tätern und Opfern zu reden.
Kein DDR-Opfer
Thomas Brasch hätte sich dagegen verwahrt, zum DDR-Opfer gemacht zu werden. Das konnte man auch an dem Abend erfahren, wen man sich die Zeit nahm, sich das Video „11 Minuten mit Thomas Brasch“ anzusehen, das im Foyer zu sehen war. Dort werden kurze Auszüge aus der Rede von Brasch bei der Verleihung des bayerischen Filmpreises gezeigt. Dort dankte Brasch an erster Stelle der Filmhochschule der DDR für seine Ausbildung und wiederholte den Satz noch einmal akzentuiert gegen anschwellende Buhrufe. Nicht im Video zu sehen war die Reaktion des bayerischen Ministerpräsidenten F.J. Strauß, der rechts von der heutigen AFD-Mehrheit stand. Er behielt auch bei der Rede Brasch nur notdürftig die Contenance und stammelte etwas von bajuwarischer Liberalität. „Der Faschismus ist gemessen an der Weltgeschichte gerade einmal einer Sekunde vorbei“, erklärte Brasch in einer anderen Filmsequenz und wies bereits in den 1980er Jahr die Versuche zurück, einen Schlussstrich unter die deutsche Gewaltgeschichte zu ziehen. BRD und DDR waren für ihn deutsche Nachgeburten. Dabeiwies er immer wieder darauf hin, dass die BRD von „entnazten Nazis (B.B.) aufgebaut wurden, die DDR hingegen von antifaschistischen Widerstandskämpfer*innen wie Erich Honecker und Emigrant*innen wie seinen Vater, den Juden und Kommunisten Horst Brasch.
Als er in der DDR Funktionär wurde, legte er eine Härte an den Tag, die sich auch aus den unausgesprochenen Wissen speiste, dass ein großer Teiljener „Deutschen, die jetzt Bürger*innen der DDR geworden waren, noch bis zur letzten Minute Juden und Kommunisten jagten. Diese Härte geboren aus den Konzentrations- und Vernichtungslagerführte dazu, dass jede Kritik als Abweichung und Verrat gebrandmarkt wurde. Thomas Brasch bekam diese Härte selber zur spüren, als er als junger Linker die Realität der DDR mit den hehren sozialistischen Ansprüchen verglichen hatte. Als er gegen die Niederschlagung der Prager Reformbewegung 1968 aktiv wurde, sorgte sein eigener Vater dafür, dass er ins Gefängnis kam.Doch Brasch wurde nicht zum Totalitarismustheoretiker, er verglich nicht rot und braun. Er handelte nach der Devise, dass die Dummheit der Kommunist*innen kein Argument gegen den Kommunismus ist. Und Brasch ging noch weiter,er gedachte den Alten mit der Nachsicht, um die Bert Brecht in dem Gedicht „An die Nachgeborenen“ gebeten hatte. Er wusste, dass zur Flut, in der sie untergegangen sind, nicht nur der Nationalsozialismus sondern auch die stalinistische Konterrevolution gehörte.
Es ist sicher kein Zufall, dass die Regisseurin des Brasch-Abends Masha Kurella, die sich als Künstlerin Masha Qrella nennt,mit Alfred Kurella einen wichtigen Exponenten der DDR zum Großvater hatte. Auch er war imExil in verschiedenen Ländern, kämpfte gegen den Nationalsozialismus und musste erleben, wie sein Bruder und Parteigenosse im Stalinismus hingerichtet wurde. Es ist erfreulich, dass die Kinder und Enkel dieser Generation des Aufbaus nun Interesse haben, diese Geschichten zu erzählen. Und es ist erfreulich, dass sie auch von jüngeren Menschen, die sich nicht mehr als "Ossis" oder Wessis" einordnen, gehört werden. Der Abend für und mit Thomas Brasch war dafür ein gutes Beispiel. Die Vorlage lieferte der mittlerweile verfilmte Familienroman „Die Braschs“ von der Überlebenden Marion Brasch. Der Abend setzte Maßstäbe, wie eine deutsch-deutsche Geschichte ohne Weinerlichkeit, Larmoyanz und Opfermythen funktionieren kann.
Peter Nowak
Masha Qrella Woanders mit Texten von Thomas Brasch, Hebbel am Ufer
Kommentare 16
++ Als er in der DDR Funktionär wurde, legte er eine Härte an den Tag, die sich auch aus den unausgesprochenen Wissen speiste, dass ein großer Teiljener „Deutschen, die jetzt Bürger*innen der DDR geworden waren, noch bis zur letzten Minute Juden und Kommunisten jagten. ++
Wenn das mal so einfach wäre. Die "Schuld" nun wieder an die Menschen zurück zu geben, das ist ehrlich ziemlich fies.
Hart sind die geworden durch die Atmosphäre der Denunziation und Lebensgefahr im Exil. Hedda Zinner hat in ihrer Biographie vorsichtig darauf verwiesen, dass Kurella seinen eigenen Bruder denunziert hätte. Das hat es in großer Zahl gegeben. Kurella war verschrien als absoluter Dogmatiker. https://www.tagesspiegel.de/kultur/literatur/alfred-kurella-portraet-eines-doppelzuenglers/12087114.html
S c h a d e , ich konnte mir die Vorstellungen nicht ansehen. Die Gedichte von Thomas Brasch haben mich bereits als Jugendliche berührt, angefangen mit ´Bleiben will ich wo ich nie gewesen bin´, bis später dann der Band ´Wer durch mein Leben will, muss durch mein Zimmer´. Da war er bereits erkrankt als er die Gedichte schrieb.
Von Masha Qrella kenne ich nur als vertonten Brasch-Song das Stück ´Geister´ & es klingt richtig gut. Leider gibt es (noch?) keine CD aber zu hören hier bei radio eins ab 17:10
Es geht hier aber nicht um die Väter sondern in beiden Fällen um deren Kinder. Aus einem Nebensatz bauschen Sie ein anderes Thema auf. Das ist sehr bedauelich da dieser Blog Aufmerksamkeit für eine junge, interessante Künstlerin & einen fast vergessenen Dichter wecken wollte.
Hallo Magda, aber es geht gerade darum, von der Vorstellung der "Schuld" wegzukommen. Menschen handeln unter konkreten gesellschaftlichen Umständen. Brasch und Kurella waren in doppelten Sinne Überlebende, als Juden und Kommunisten. Natürlich hat das ihr Handeln geprägt wie die stalinistische Konterrvolution. Peter Weiss, der sich in seinen Monumentalwerk "Ästhetik des Widerstands" ganz klar gegen den Stalinismus positioniert, sein Held ist der parteilose Sozialist Hodann, lässt aber auch denen, Gerechtigkeit wiederfahren, die an die stalinistische Dogmatik glaubten. Aber daneben spielt natürlich auch die deutsche Geschichte eine wichtige Rolle. Natürlich wussten die "Kommunist*innen, mit wem sie es da tun haben und dass sie liebend gerne ein anderes Volk" gewählt hätten (B.B.). Heiner Müller hat in "Wolokolamskauer Chaussee" übrigens den Zusammenhang zwischen deutscher Gesichte und der Härte der Kommunist*innen gut dargestellt.
WIE BITTE? In dem Beitrag ist von den Vätern aber ziemlich umfangreich die Rede. Dazu kommt noch, dass Thomas Brasch auch kein fast vergessener Dichter ist. Gerade gab es diesen höchst spannenden Film über die Brasch-Familie, der auf dem Buch der Schwester Marion Brasch beruht.
Und - eines wird da auch deutlich. Die Verformungen der Personen haben - neben der eigenen charakterlichen Verfassung - durchaus auch mit dem System zu tun, in dem sich das alles abspielt.
Nebenher fällt mir ein, dass es durchaus Linke gibt, die in dieser teils verschämten und teils abwehrenden Haltung zu den entsetzlichen Verwerfungen der Stalinzeit - und nicht nur in der Zeit, als Stalin lebte, einen Grund sehen, sich zurück zu ziehen. Mir hängt das ziemlich zum Halse raus. Es gibt für alles eine theoretische Begründung, aber keine Fähigkeit zu trauern, sondern Rechthaberei. Mich haben vor allem Linke vertrieben mit iher elenden Selbstgerechtigkeit.
Über Alfred Kurella will ich sowieso irgendwann mal was machen. Es ist jetzt gerade so eine spannende zweite Welle der Aufarbeitung.
Wenn ich Ihnen da noch was empfehlen darf? https://www.freitag.de/autoren/magda/blick-aus-der-zukunft-auf-vergangene-hoffnung
Also lieber Peter Nowak. Ihr Verweis auf Brechts-Volk-Anmerkung ist ein bisschen schief, denn die ist in einem ganz anderen Zusammenhang gefallen. Wenn Sie Unmenschlichkeit, Denunziantentum und stalinistische Säuberungen jetzt auch noch ordentlich einordnen, ist das alles für Sie o.k.
Aber, lesen Sie mal nicht nur dieÄsthetik des Widerstandes, lesen Sie mal - endlich - die Erinnerungen von Menschen, die in Stalins Lager überleben mussten. Ich sagte es schon zu mymind. Da ist nichts zu ordnen.
Also lieber Peter Nowak. Ihr Verweis auf Brechts-Volk-Anmerkung ist ein bisschen schief, denn die ist in einem ganz anderen Zusammenhang gefallen. Wenn Sie Unmenschlichkeit, Denunziantentum und stalinistische Säuberungen jetzt auch noch ordentlich einordnen, ist das alles für Sie o.k.
Aber, lesen Sie mal nicht nur dieÄsthetik des Widerstandes, lesen Sie mal - endlich - die Erinnerungen von Menschen, die in Stalins Lager überleben mussten. Ich sagte es schon zu mymind. Da ist nichts zu ordnen.
die stalinistische Konterrevolution
Ja, ist ja gut. Stalinismus war konterrevolutionär, IS ist unislamisch, Nazitum nicht deutsch, und die Inquisition unkatholisch.
Alles ist eigentlich gut.
Jetzt gut?
:-)))))))))))
Hallo Magda, da gibt es ja keine Differenz zur Ablehnung der stalinistischen Konterrevolution. Ich habe da nur betont, wie die Kommunistinnen und Kommunisten ihrer Zeit damit konfrontiert waren. Bei Peter Weiss kann man ja lesen über das Entsetzen über den Terror und warum viele doch nicht glauben wollten, dass in der Sowjetunion ein terroristisches System herrschte. Viele waren Täter und Oper im Stalinismus. Und viele haben nach 1945 trotzallem am Aufbau der DDR mitgearbeitet. Da ist im Film "Und der Zukunft zugewandt" der jüdische Kommunist Silberstein, der die Frauen nach dem Gulag "betreut", kurz erklärt, dass das kein Kommunismus war, was sie erlitten haben und sie dann verpfichtet, nichts über ihre Erlebnisse zu sagen. Da ist der Buchenwaldhäftling, der der Gulag-Überlebenden ins Gesicht schreit , nicht sie sondern er war in einem Lager. Da sind Brüche, die wir Nachgeborenen erst einmal anerkennen müssen ohne zu (ver)urteilen. Dass ist zumindest men Ansatz als grundsätzlicher Kritiker des staatssozialistischen Modells.
Peter Nowak
Hallo Magda, da gibt es ja keine Differenz zur Ablehnung der stalinistischen Konterrevolution. Ich habe da nur betont, wie die Kommunistinnen und Kommunisten ihrer Zeit damit konfrontiert waren. Bei Peter Weiss kann man ja lesen über das Entsetzen über den Terror und warum viele doch nicht glauben wollten, dass in der Sowjetunion ein terroristisches System herrschte. Viele waren Täter und Oper im Stalinismus. Und viele haben nach 1945 trotzallem am Aufbau der DDR mitgearbeitet. Da ist im Film "Und der Zukunft zugewandt" der jüdische Kommunist Silberstein, der die Frauen nach dem Gulag "betreut", kurz erklärt, dass das kein Kommunismus war, was sie erlitten haben und sie dann verpfichtet, nichts über ihre Erlebnisse zu sagen. Da ist der Buchenwaldhäftling, der der Gulag-Überlebenden ins Gesicht schreit , nicht sie sondern er war in einem Lager. Da sind Brüche, die wir Nachgeborenen erst einmal anerkennen müssen ohne zu (ver)urteilen. Dass ist zumindest men Ansatz als grundsätzlicher Kritiker des staatssozialistischen Modells.
Peter Nowak
Hallo Magda,
ich wollte auch nicht den Eindruck erwecken, dass Thomas Brasch ein fast vergessener Schriftsteller ist. Der verfilmte Roman von Marion Brasch war ja auch die Grundlage des beschriebenen Stückes.
Peter Nowak
++ Hallo Magda, da gibt es ja keine Differenz zur Ablehnung der stalinistischen Konterrevolution. Ich habe da nur betont, wie die Kommunistinnen und Kommunisten ihrer Zeit damit konfrontiert waren. ++
Irgendwie habe ich manchmal das Gefühl, das wird so eine Art Kafka-Dialog hier. Sie verstehen nix, garnix. Aber sei's drum. Sie haben bestimmt ein gutes Herz.
So unterschiedlich können Wahrnehmungen eines Textes sein. Meine war, dass Peter Nowak mit diesem Blog auf die von Masha Qrella vertonten Gedichte von Thomas Brasch aufmerksam machen wollte. Die Erwähnung des Vaters bzw. Großvaters der Beiden habe ich nicht als Hauptthema dieses Blogs aufgefasst, sondern ggf. als aus einer Erfahrung heraus verbindendes Element zwischen Dichter & Musikerin. Wobei die Brasch-Gedichte auch ohne diese, nicht nur für MusikerInnen, inspirierend wirken können. Manchmal wird durchaus zu viel in die Intention hineininterpretiert.
Sicher ist der familiäre Hintergrund als auch das System, in dem jemand sozialisiert wird | wurde prägend _ nicht nur für Künstler. Doch darüber hinaus gibt es Melancholie & Weltschmerz als Wesensart eines Menschen, was Folge von vorgenanntem sein aber auch unabhängig davon bestehen kann. Oder auch parallel dazu, was eine der schwierigsten Situation darstellt, in dieser Welt zu ihrem | seinem I C H zu gelangen.
>> Mich haben vor allem Linke vertrieben mit iher elenden Selbstgerechtigkeit.<<
Selbstgerechtigkeit ist nun wahrlich kein alleinstehendes Phänomen der Linken. Gerade die politisch orientierte Mitte als auch der rechte Rand davon praktizieren diese vollkommen bis zur Doppelmoral, deren Verlogenheit bis zum sonstwohin stinkt. Das ist MM nach mindestens so scheußlich wie die verbohrte leninistische & später stalinistische Ideologie, samt aller Duldung wie Verübung von Verbrechen seitens der Überlebenden nach WK I & II, deren Rohheit ggf. auch ein Traumata beinhaltet. Der Unterschied ist freilich, dass heutzutage von ´unserem System´ _ ohne derartige Trauma-Erfahrung _ vorwiegend Verbrechen an Menschen in anderen Ländern ausgeübt werden, die dann kaum Jemand erfährt, geschweige denn urteilt oder richtet.
>> Sie verstehen nix, garnix. <<
It takes 2 2 Tango.
@Peter Nowak & @mymind:
Meine(n) Dank und -Wertschätzung für's Blog und die Kommentare.
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