Der Verrat von Potsdam kann der Linkspartei teuer zu stehen kommen
„Der Vertrag ist das Schlimmste, was ich mir je hätte vorstellen können. Es geht so weit, dass ich und einige andere ihre Zugehörigkeit zu dieser Partei überprüfen“. Das schrieb das Mitglied des erweiterten Landesvorstands der Linkspartei Brandenburg Sven Kindervater, nach dem er den Koalitionsvertrag seiner Partei mit der SPD gelesen hat. So wie Kindervater denken viele in der Partei. Langjährige Parteimitglieder können gar nicht glauben, was sie hier lesen. Wenn sich bestätigten sollte, dass die Linke diesem Vertrag zustimmt“, werden wir ein großes Problem bekommen“, meinte ein langjähriges Parteimitglied aus Potsdam gegenüber dem Verfasser.
Die Reaktionen sind verständlich. Denn die Brandenburger Linke hat ihr gesamtes Parteiprogramm entsorgt, nur damit sie mitregieren kann. So billig wie die Brandenburger Linke hat sich wohl noch kaum eine Partei verkauft, diese Meinung ist auch bei vielen Wählern zu hören. Die Linke verpflichtet sich für den Eintritt in eine Landesregierung, den EU-Vertrag von Lissabon zu unterstützten. Dabei hat die Partei bisher dieses in Buchstaben gegossene Scheitern der EU immer abgelehnt. Die Linke bekennt sich nun auch zur Elitenforschung und unterstützt einen massiven Personalabbau im öffentlichen Dienst. Damit dieser Kahlschlag möglichst ohne Proteste über die Bühne geht, hat die SPD sich überhaupt für eine Regierung mit der Linken entschieden. Und die führenden Politiker haben nichts Besseres zu tun, als sich zu freuen, dass sie nun mithelfen können, die Erwerbslosen, die Lohnabhängigen, die Studierenden für die Interessen des Standortes Brandenburg nach unten zu drücken.
Der Tagebau wird nicht gestoppt, wie es die Linke bisher immer gefordert hat und auch die CCS-Technologie wird jetzt weiter erforscht. In Schleswig-Holstein hatte eine große Koalition noch Abstand genommen, CO2 im Boden zu lagern, weil sie keinen neuen Protestherd in ihrem Lande haben wollte. Doch die Linke ist zu allen bereit. Wer wird jetzt noch glauben, dass die Partei konsequente Oppositionspolitik betreibt, wenn sie sich zum Nulltarif verkauft? Der Verrat von Potsdam ist kein lokales Ereignis, das die übrige Partei nichts angeht. Die konsequenten Antikapitalisten in der Partei werden sich früher oder später überlegen müssen, ob sie wie bei den Grünen und der SPD zum Feigenblatt verkommen wollen oder ob sie rechtzeitig eine konsequent linke Partei gründen, die jegliches Mitregieren ablehnt und die Wahlerfolge dazu nutzt, ihre Mitglieder und Wähler zu organisieren und auf den Bruch mit dem System vorzubereiten. Dafür gibt es im Nachbarland Frankreich mit der neuen antikapitalistischen Partei (NPA)ein Vorbild. Noch in dieser Legislaturperiode könnte sie in Deutschland Nachfolger gefunden haben.
Peter Nowak
Kommentare 7
Danke für den interessanten Beitrag. Aus dem fernen Hessen, in das ich jüngst aus Berlin gezogen bin, bekommt man eben nicht alles aus der Mark mit.
Hat "Die Linke" damit ihre Ideale verraten? Ist die Linkspartei noch links? Kann "Die Linke" mehr als Opposition?
Das sind die Fragen, die sich mir dazu stellen. Ich denke eben immer noch in Kategorien der Wahlkampfarena: Pro und Kontra. Apropos: Wie wäre es mit einer entsprechenden Frage in der Politikarena, Peter Nowak?
>> www.freitag.de/arena/fragen
ich denke, hier hilft vor allem eine differeziertere betrachtung, denn einen supergau namens koalitionsvertrag kann ich nicht erkennen. Problematisch sind die punkte zur weiteren braunkohlenverstromung, der allerdings auch das vorhaben der koalition gegenübersteht, gesetzliche regelungen zu vorrang und ausbau erneuerbarer energien zu schaffen (zeile 860 ff. koalitionsvertrag) und das einschwenken auf den lissabon-vertrag, den die vorgängerregierung im bundesrat aber ja bereits gebilligt hatte (zeile 2062 ff.).
Positive signale sehe ich unter anderem in der schaffung sozialversicherungspflichtiger jobs im gemeinwohlorientiertem bereich (zeile 1078) und im schaffen gesetzlicher voraussetzungen dafür, daß "öffentliche Aufträge nur dann vergeben werden können, wenn über dem Mindestlohn liegende Tarifbindung oder zumindest die Zahlung von Mindestlöhnen vorausgesetzt ist. Wir werden uns auf Bundesebene für einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn einsetzen." (zeile 1069ff.) Die koalition insistiert auf gute arbeitsbedingungen und faire entlohnung. Wichtig ist ihr auch die stärkung der kommunalen handlungsspielräume (zeile 1349) und die qualität öffentlicher dienstleistungen, was einem rapiden arbeitsplatzabbau im öffentlichen sektor entgegensteht. Von einer "elitenforschung" ist im vertrag nicht die rede, nicht einmal von der bundesweiten exzellenz-initiative, und das wort "exzellent" kommt nur in dem passus vor, wo konstatiert wird, daß brandenburg über eine reihe exzellenter staatlicher Fachhochschuleinrichtungen verfüge (zeile 388-518). Positiv empfinde ich z.b. die aussage, daß die universitäten, hochschulen und forschungseinrichtungen stärker als bisher untereinander und mit unternehmen kooperirieren sollen. Was meinen Sie überhaupt mit "elitenforschung"?
Für interessenten: der koalitionsvertrag ist hier einsehbar: www.dielinke-brandenburg.de/fileadmin/Koalition/Koalitionsvertrag.pdf
"[E]ine konsequent linke Partei [...] die jegliches Mitregieren ablehnt" wurde aber nicht von 29,5% der Brandenburger gewählt. Koalition ist immer Kompromiss und wenn der Partner (SPD) eine strategisch derart günstige Ausgangsposition hat, wird der Kompromiss auch weh tun.
Der Vergleich mit dem französischen Nouveau Parti Anticapitaliste ist schwierig. Die sensationellen Ergebnisse von über 5% ergeben sich nicht aus dem Programm oder der Partei, sondern dem charismatischen Vorsitzenden Olivier Besancenot, der aktuell zugleich die einzige Persönlichkeit der gesamten französischen Linken ist. Ansonsten würde der NPA "konsequent [...] jegliches Mitregieren" dadurch ablehnen, dass er prozentual nicht annähernd in die notwendigen Sphären vordringen könnte...
Was mit Elitenforschung gemeint sein soll, frage ich mich auch. An sich wäre es doch eine gute Sache, diese zu fördern, denn es ist doch gut zu wissen, wie sich die Eliten unserer Gesellschaft rekrutieren, was sie denken, was die Gesellschaft über sie denkt etc.pp. Ein wichtiges Forschungsfeld.
Es sei denn, man erwartet, dass in Kürze die klassenlose Gesellschaft ausgerufen werden wird. Dann erübrigt sich das natürlich. Wäre also zum Fenster hinausgeworfenes Geld.
Davon abgesehen, kann man natürlich immer eine neue Partei gründen, wenn die eigene in die Regierung eintritt und Kompromisse eingehen muss. Irgendwelche Leute wird es jedenfalls immer geben, die meinen, die Kompromisse gingen zu weit. Im vorliegenden Fall kann ich das nicht erkennen.
Diese ewigen Realo-Fundi-Debatten sind ohnehin der größte Hemmschuh der Linken. Die Rechten, die sowieso nur regieren wollen, schert so etwas nicht. Es ist ja schön, Prinzipien zu haben, nur sollte man nicht versuchen, sie an der Realität zu messen? Geht es nicht eben darum: die Realität zu verändern?
Ok, damit habe ich mich als Realo geoutet. Und dennoch verachte ich "Realos" vom Schlage eines Jockel Fischer. Denn es kann kein Vorbild sein, sämtliche Prinzipien über Bord zu werfen. Eine Zustimmung zum Lissabon-Vertrag, den die Linke ohnehin nicht verhindern kann, gehört für mich allerdings nicht dazu.
Wer jetzt schon wieder die Gründung einer neuen Partei fordert, den kann ich nicht ernstnehmen. Vielleicht wäre es am besten, wenn all die linken Sektierer - gerade im Westen - , die der Linken beigetreten sind, weil ihre Splitterparteien zu Recht erfolglos waren, wieder neue Splitterparteien gründen würden oder in ihre alten zurückgingen.
Man muss sich eben entscheiden: will man nur mosern über die schlimmen Zustände oder will man sie verändern. Will man mitregieren, solange die Linke nicht in der Mehrheit ist, oder will man warten, bis die absolute Mehrheit erreicht ist.
Letztlich führt das alles auf die Grundfrage zurück: Realität oder Wolkenkuckucksheim?
Die Vorstellung, dass die Anpassung von Parteien, wenn sie mitregieren, nur an persönlichen Fehlern von Fischer und Co. liegen und nicht in strukturellen Problemen, ist falsch. Das hat Johannes Agnoli in seinem Buch "Transformation der Demokratie" deutlich gemacht.
Deswegen ist das Mitregieren insgesamt zu hinterfragen. Eine Partei, die mit einem oppositionellen Programm in den Wahlkampf zieht und es dann vergisst, verliert auch ihre Unterstützung.
@Peter Nowak
Dem stimme ich voll zu. Nur finde ich, kann man das nicht so schwarz-weiß sehen. Die Frage ist, wo man die Grenze zieht. Gerade bei Landesregierungen mit ihren begrenzen Kompetenzen und finanziellen Spielräumen muss wohl jede Ex-Oppositions-Partei eine Menge Abstriche machen.
Dass die Anpassung von Parteien nicht nur an Personen liegt, ist klar. Bei den Grünen wird sicher auch dazu beigetragen haben, dass sie von Anfang an ein ziemlich heterogener Haufen waren. Es scheint auch ein Gesetz zu geben, dass meistens solche Blender wie Fischer in Spitzenpositionen gelangen.
Elitenforschung? Sie fragen, was ich damit meine und ich möchte mich aus einen Brief des Landesverbandes NRW der Linken an die Brandenburger Linkspartei zitieren:
.... Mit dem Koalitionsvertragsentwurf wird das überholte und unsoziale Studienkontenmodell in Brandenburg Einzug finden. Wir wissen in NRW, wohin dieses Modell führt. Es führt zu Auslese und zu vermehrten Studienabbrüchen. Dieses Modell ist kein Erfolg, sondern ein Fehler! (…)