Masken und Individualität

Elliot Kreyenberg Der Berliner Fotograf hat mit einer Ausstellung eine Waldbesetzung dokumentiert. Sehenswert, auch wenn man keine Sympathie für den deutschen (Misch)wald hegt

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Masken gehören seit fast 15 Monaten zum Lebensalltag im pandemischen Zeitalter. Wer sie nicht trägt, wird sanktioniert von der Gesellschaft und auch den repressiven Staatsapparaten. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass es eine Zeit gab, wo angemeldete Demonstrationen von der Polizei zerschlagen wurden, weil Teilnehmer*innen eine Maske trugen. Vor allem die autonome Linke wurde schon vor mehr als 30 Jahren auch von Politiker*innen der GRÜNEN und den Medien sowieso als Hasskappenfraktion diffamiert. Wer die Fotos von Elliot Kreyenberg im Kunstraum Ur-Art in Berlin-Neukölln betrachtet, wird wieder daran erinnert. Der Student der Ostkreuzkreuzschule für Fotographie hat Protestaktionen im Dannenröder Forst in Nordhessen dokumentiert. Dort wollten Klimaaktivist*innen verhindern, dass ein Waldstück wegen des Autobahnbaus verschwinden soll. Für mediale Publicity sorgte die Aktion, weil das ausführende Organ der Rodung auf Landesebene ein Minister mit dem Parteibuch der GRÜNEN war. Der Partei wird von Manchen schon seit ihrer Gründung umweltpolitische Kompetenz oder zumindest eine Liebe zum deutschen Wald nachgesagt. Das Missverständnis haben die Besetzer*innen im Dannenröder Forst partiell beseitigt. Es gab im letzten Herbst nach der Räumung des Waldstücks wütende Erklärungen an die GRÜNEN und auch manche Aktionen bei deren Parteibüros. Einige schriftliche Zeugnisse davon kann man an der Wand des Kunstraum Ur-Art nachlesen. Doch der Betrachter*innen sollten sich den Fotos widmen, die einen besonderen Eindruck hinterlassen, den ich zunächst schwer in Worte fassen konnte, bis mir der Titel der Exposition einfällt. „Endzeit“ ist der Begriff, den ich suchte. Denn man hat den Eindruck, hier würden die letzten Menschen einer Welt abgelichtet, die für sie nicht mehr wohnlich ist. -alle tragen sie Masken, ihre Gesichter sind kaum zu erkennen. Auf einen Foto scheint die Behausung der Aktivistin mit den großen Baum zu verschmelzen, als hätte sie in einer Höhle Zuflucht gesucht. Auf einen anderen Foto sieht man ein großes Nest in einem Baum, das allerdings nicht ein Vogel gebaut hat. Hier hat sich eine Besetzer*in eingerichtet.

Menschen scheinen mit der Natur zu verschmelzen

Ich erinnere mich an das Statement einer Aktivist*in aus dem Hambacher Forst in NRW, einer Waldbesetzung, die seit Jahren für Schlagzeilen sorgt. Nach ihrer Verhaftung durch die Polizei erklärte sie in einer im Internet zirkulierenden Erklärung, dass es für sie ein besonderes Privileg gewesen sei, auf einen jahrhundertealten Baum gelebt und übernachtet zu haben. Wer meine Texte kennt, weiß, dass mir eine solche Naturmystik fremd ist und ich durchaus keine besondere Liebe für den deutschen (Misch)Wald hege. Diese Kritik an Ökoromantismus und apokalyptischen Denken entwertet nicht das Engagement der Klimaaktivist*innen, die sich gegen das Kapitalizön, die vom Kapitalismus verursachte Zerstörung von Mensch und Umwelt, wehren.

Diese Menschen hat Kreyenberg mit der Exposition sichtbar gemacht. Er versteht sich nicht als neutraler Fotograf, eine Vorstellung, die ins Reich der bürgerlichen Ideologieproduktion gehört, aber durchaus wirkmächtig ist. Seine Sympathie mit den Klimaaktivist*innen kann man nicht nur den kurzen Texten in der Ausstellung entnehmen sondern an den Fotos erkennen. Trotz ihrer Maskierung behalten die Aktivist*innen ihre Individualität. Das sind manchmal nur Details, wie eine farbige Decke, mit der sich die Person in der Baumhöhle schützt oder die Art, wie eine vollvermummte Person ihren Arm auf den Kopf schützt. Einmal sieht man eine Gruppe von Aktivist*innen auf einer Waldlichtung, vielleicht bei einem Plenum. Auch die Behausungen der Aktivist*innen haben ihre Individualität, wie auf einen Foto zu sehen ist. Die Polizist*innen, die in einen Foto gezeigt werden, kommen nur als Gruppe ins Bild, so, wie sie den Besetzer*innen auch gegenübertreten.

Freiraum oder Endzeit der Zivilisation?

Die Exposition wirft viele Fragen auf. Ist es wirklich ein Freiraum, den die Besetzer*innen vor den Zugriff der Bagger verteidigen, wie es in der Ausstellungsankündigung nahegelegt wird? Oder ist es eher ein romantischer Rückzug aus der Zivilisation in die Natur? Adorno datierte den Beginn der Zivilisation, als der Mensch das Feuer und damit die Natur zu beherrschen lernte und so nicht mehr den Unbilden und der Grausamkeit dieser Natur ausgesetzt war. Die Menschen, die Kreyenberg dokumentier hingegen setzen sich dieser Natur bewußt aus. Man hat gar den Eindruck, sie wollen mit ihr verschmelzen und sich in Höhlen und Nester einrichten. Haben sie die Vorstellung verloren, dass die Menschen die Erde vernünftig einrichten können, was nur mit Zivilisation und Technik möglich wäre, die aber nicht im kapitalistischen Takt laufen dürfte? Bleibt nur noch der Rückzug in die Natur, wenn man sich eher vorstellen kann, dass die Menschheit untergeht als dass der Kapitalismus überwunden werden kann? Bliebe dann nur noch Endzeit?

Peter Nowak

Die Ausstellung Endzeit ist heute noch im Rahmen des Kunstfestivasl 48 h Neukölln bis 20 Uhr im Kunstraum Ur-Art in der Pflügerstraße 52 zu sehen. Danach kann sie auf Anfrage (https://art-spaces-nk.de/de/node/7772) besucht werden.

Ein Lesetip:

Gruppe Nevermore:
Mein Freund der Untergang - Elemente und Ursprünge des apokalyptischen Bewusstseins der Klimabewegung - eine Textsammlung

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Geschrieben von

Peter Nowak

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