Matinee für vergessene Dichterin

Inge Müller Ein Abend in der Theaterkappelle sollte für eine kritische Auseinandersetzung mit einer deutschen Trümmerfrauenliteratur genutzt werden.

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Für feministische Literaturkritiker_innen könnte Leben und Tod der Inge Müller ein Beleg für ihre These sein, dass Schriftstellerinnen oft im Schatten ihrer Männer stehen, von ihnen ausgenutzt werden und dann aus der Geschichte verschwinden. Mag der große Rummel um ihren Mann Heiner Müller zurzeit etwas verebbt sein, so ist er doch heute wesentlich bekannter als Inge Müller.

Dabei war Inge Schwenker bereits eine in Maßen bekannte Schriftstellerin, als sie im Herbst 1953 das damals noch völlig unbekannte Mitglied des Arbeitskreises Junger Autoren Heiner Müller kennenlernte. Der hatte später zahlreiche der Gemeinschaftsarbeiten unter eigenen Namen herausgegeben, ohne die Frau auch nur zu erwähnen.

In der Theaterkapelle in Berlin-Friedrichshain gab es in den letzten Tagen die Gelegenheit, einen Teil der Poesie von Inge Müller kennenzulernen. Das Künstlerinnenduo Anna von Rohden und Anna Ortmann bot ein kurzweiliges 90minütiges Program, das aus den Gedichten von Inge Müller zusammengestellt war. Der Titel des Abends „Wenn ich schon sterben muss“ orientiert sich an dem gleichnamigen Gedichtband, der 20 Jahre nach ihren Freitod 1986 in der DDR veröffentlicht worden war.

Deutsche Trümmerfrauenliteratur

in Großteil der Poesie Inge Müllers kreist um Leid, Krieg und Tod. „Kein Feuer, kein Gott, wir selber legen uns in Grab“ lautet ein Gedicht. „Hast Du die Toten in Stein gesehen?“ Hier werden die biographischen Bezüge einer Luftwaffenhelferin deutlich, die des Ende des NS in Berlin erlebte. Ihre Eltern starben in den letzten Kriegswochen bei den alliierten Luftangriffen. Sie selbst wurde nach drei Tagen aus den Trümmern gerettet. Wenn einige Historiker_innen in Deutschland Literatur über die letzten Monate des zweiten Weltkriegs, die alltägliche Zerstörung und den alltäglichen Tod vermissen, so würden sie bei Inge Müller findig. Ähnlich wie Wolfgang Borchardt, der mit seinen Roman „Draußen vor der Tür“ berühmt wurde und der eneration der deutschen Frontsoldaten seine Stimmte gibt, könnte Müllers Poesie eine Literatur der deutschen Trümmerfrauen genannt werden. Borchardt wie Müller gehören zu den Schriftsteller_innen schreiben über Krieg, Zerstörung und Tod und bei beiden geht es ausschließlich um deutsches Leid. Damit sind sie nah am Alltagsbewusstseins vieler Deutscher im ersten Nachkriegsjahrzehnt, wo das das eigene Schicksal betrauert und mit keinem Wort die eigene Mitttäter_innenschaft im NS erwäht wird. So gibt es auch bei den in der Theaterkapelle vorgetrangenen Gedichten Inge Müller keine deutschen Verbrechen. Verfolgte Nazigegner_innen, gehetzte Jüdinnen und Juden kommen bei der ehemaligen Luftwaffenhelferin genau so wenig vor, wie beim ehemaligen Kriegsteilnehmer Borchardt . So wird gerne beschwiegen, dass die meisten Trümmerfrauen der späten vierziger Jahre vorher genau so fleißig mit davor gesorgt haben, dass die deutsche Mordmaschinerie so lange wie möglich am Laufen blieb. Borchardt hatte anders als Müller eine große Fangemeinde in Deutschland. Dass könnte auch liegen, dass in der BRD eine solche deutsche (Mit)leidkultur eher gefördert wurde als in der DDR, wo Emigrant_innen in der Kultur eine viel größere Rolle spielten. Hier bestünden sicher für viele offene Fragen. Dazu gehört, wie sich beim späteren SED-Mitglied Inge Müller die Auseinandersetzung mit ihrer Rolle ausgestaltete.

Theaterkapelle muss bleiben

Eine Wiederentdeckung der Poesie von Inge Müller sollte eine solche historischen Einordnung und kritische Auseinandersetzung gerade mit einschließen und eben nicht dabei stehen bleiben, Müller als Opfer ihres omnipräsenten Mannes zu glorifizieren. Die Aufführung fand in der Theaterkapelle in Berlin-Friedrichshain statt, die wie viele kleine Kultureinrichtungen von sozialen Kahlschlag eines Berliner Senats bedroht ist, die „im Gleichschritt mit Gentrifizierung und Hartz IV“ marschiert, wie es in einer Erklärung des Teams der Theaterkapelle heißt, die an der Eingangstafel zu lesen . Es ist erfreulich, dass man sich so deutlich artikulierr und nicht an den Versuchen beteiligen, die Opfer der Sozialkürzungen gegenseitig auszuspielen. Die Forderung „Theaterkapelle muss bleiben“ soll hier ausdrücklich unterstützt werden. Nicht zuletzt damit solche Veranstaltungen wie der Inge-Müller-Abend und die kritische Auseinandersetzung mit ihren Werk möglich ist

.

Zum durchaus interessanten Programm der Theaterkapelle in der Boxhagener Straße 99 in Berlin-Friedrichshain geht es hier:

http://www.theaterkapelle.de/

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Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

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