Im Zusammenhang mit dem Referendum in Frankreich wird auch im deutschsprachigen Raum immer heftiger über den Inhalt der EU-Verfassung gestritten. Friedensinitiativen und die globalisierungskritische Organisation attac hoffen auf ein Nein aus Frankreich. Sind die alle nur Helfershelfer von Nationalisten, wie es die grüne Europaabgeordnete Angelika Beer kürzlich in einem Debattenbeitrag für die Frankfurter Rundschau zugespitzt formulierte?
Wer die Argumente derjenigen Kritiker der EU-Verfassung kennen lernen will, die aus sozial- oder friedenspolitischen Gründen die EU-Verfassung ablehnen, ohne gegen ein Zusammenwachsen Europas zu sein, ist mit der Streitschrift Auf dem Weg zur Supermacht des österreichischen Friedensforschers Gerald Oberansmayr gut bedient. Nicht ohne manche polemische Zuspitzung und gelegentliche Vereinfachungen aber mit argumentativer Klarheit begründet er seine These, dass seit Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts die Militarisierung der EU rasante Fortschritte gemacht hat. Mit zahlreichen Tabellen belegt der Autor die EU-Aufrüstung auch graphisch.
Dabei sind die Quellen des Grazer Friedensforschers nicht Texte von Kritikern, sondern von Verantwortlichen der EU, die sich offen für eine militärisch starke EU ausgesprochen haben. So forderte der französische General Michel Fennebresque Anfang der neunziger Jahre, die EU solle "Waffenpotential vergleichbar den USA" aufbauen. Zehn Jahre später schwärmte der EU-"Außenminister" Javier Solana, dass sich die Militarisierung der EU "in Lichtgeschwindigkeit" vollzieht. Die ersten Anläufe einer eigenständigen EU-Militarisierung, die Oberansmayr kurz skizziert, waren im Zeitalter des Ost-West-Gegensatzes noch nicht von Erfolg gekrönt. Doch nach dem Ende der bipolaren Dichotomie haben sich die weltpolitischen Koordinaten zugunsten der EU verändert. Der Jugoslawienkrieg war nach Oberansmayr quasi der Gründungsakt des neuen Europa. Mittlerweile wurde eine EU-Eingreiftruppe gebildet, die in allen Teilen der Welt einsetzbar ist. Von Afrika über Afghanistan bis zum Kaukasus mischen EU-Militärs aktiv mit.
Ausführlich beschäftigt sich der Autor mit dem Verhältnis zwischen der EU und den USA. Während er auf vielen Gebieten weiterhin gemeinsame Interessen sieht, seien auch die Rivalitäten nicht zu übersehen, die Oberansmayr aus unterschiedlichen ökonomischen Interessen erklärt. Während die USA mit ihrer Aufrüstung gegen ihren drohenden wirtschaftlichen Abstieg kämpften, der sich in der Schwäche des Dollars und der hohen Verschuldung ausdrücke, wolle die EU ihren wirtschaftlichen Aufstieg mit der Militarisierung festigen.
Auch die vieldiskutierte EU-Verfassung hat Oberansmayr kritisch unter die Lupe genommen. Dort ist in Artikel I Absatz 40 beispielsweise festgeschrieben, dass sich alle Mitgliedsstaaten zur "schrittweisen Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten" verpflichten. Das neu eingerichtete "Europäische Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten" soll diese Verpflichtung kontrollieren. Deshalb tritt der Autor, wie viele Antikriegsinitiativen aus den unterschiedlichen europäischen Ländern, für eine Ablehnung der EU-Verfassung ein. Seinen Alternativentwurf eines abgerüsteten, sozialen Europa hat Oberansmayr leider nicht weiter ausgeführt. Doch eine bloße Ablehnung der Verfassung wird - das muss man dem Autor kritisch entgegenhalten - eine Militarisierung nicht aufhalten. Oberansmayr erinnert daran, dass die EU eben nicht nur den begrüßenswerte Wegfall von Grenzen zwischen den Ländern bedeutet, sondern auch die Formierung eines neuen Machtblocks mit einer stark bewachten Außengrenze.
Man dürfe sich weder an die EU noch die USA anlehnen, ist die Botschaft seines Buches an die außerparlamentarische Bewegung Europas. Dabei dürfte er sich im Grundsatz mit der Herausgeberin und den Autoren des im Konkret-Verlag erschienenen Sammelbandes Weltmacht Europa - Hauptstadt Berlin? einig sein. Die Herausgeberin Ilka Schröder war für die Grünen 1999 ins Europaparlament gewählt worden, hatte aber die Partei später verlassen. Bis 2004 hat sie sich als parteilose Abgeordnete in der Fraktion der Vereinigten Linken im Europaparlament als Kämpferin gegen einen neuen EU-Imperialismus einen Namen und selbst unter vielen Linken nicht unbedingt viele Freunde gemacht. Auch in dem Buch lautet ihr Befund: "Es ist also kein Geheimnis, dass die Europäische Union sich aufmacht, die USA als Weltmacht Nr.1 herauszufordern." Schröder betont, dass es nicht um eine militärische Konfrontation, sondern um ein wirtschaftliches Konkurrenzverhältnis geht. Dabei ist die Frage entscheidend, ob der Dollar oder der Euro zur Weltleitwährung wird, wie der italienisch-polnische Ökonom Giovanni Krowalczyk in seinem kenntnisreichen Aufsatz ausführt. Zu einer starken Währung gehört nun einmal auch ein einsatzfähiges militärisches Potenzial, dass sich die EU gerade schafft. Dazu liefert der Berliner Publizist Marcus Euskirchen einen gut recherchierten Hintergrundartikel. Sein Fazit könnte auch von Oberansmayr stammen: "Die Wahl zwischen einer von den USA allein diktierten und einer von der EU mitbeherrschten imperialistischen Weltordnung kann für die große Mehrheit der Menschen keine sinnvolle Alternative sein. Eine gemeinsam vom US- und EU-Imperialismus ausgebeutete Welt ist nicht besser als eine vom US-Imperialismus allein beherrschte."
Sven Engel widmet sich in seinem Beitrag der europäischen Einwanderungspolitik. Sein Fazit ist wenig ermutigend. "In wenigen Jahren wird die "Festung Europa" die staatlichen Gewaltverhältnisse organisiert und durchgesetzt haben, die nötig sind, damit die Europäische Union ihre Großmachtrolle in der Welt antreten kann." Anders als Oberansmayr scheinen die meisten Autoren des Sammelbandes dem Widerstand innerhalb der EU wenig Aufmerksamkeit zu schenken, zumindest wird er kaum erwähnt. Ilka Schröder betont ausdrücklich, dass sie keine Reformvorschläge macht, wenn sie die geringen Kompetenzen des EU-Parlaments in Betracht zieht.
Diese Abstinenz gegenüber konkreten Reformschritten liegt in den Biografien der Autoren begründet, die überwiegend dem akademischen Milieu angehören und zeitweise direkt von der Universität auf einen Posten im EU-Apparat gewechselt waren. Die bewegungsfernen Theoretiker auf der einen Seite, der langjährige Aktivist der außerparlamentarischen Bewegung Oberansmayr andererseits, bieten in ihren Büchern einen guten Überblick über die linke Europadebatte mit all ihren Schwächen und Verkürzungen im deutschsprachigen Raum. Eigene Konzepte werden bei Oberansmayr nur angerissen, bei Schröder ganz abgelehnt. Auch hier sind die Bücher ein gutes Spiegelbild der linken Europa-Debatte.
Gerald Oberansmayr: Auf dem Weg zur Supermacht - Die Militarisierung der Europäischen Union, Promedia, Wien 2004, 142 S., 9,90 EUR
Ilka Schröder (Hg.): Weltmacht Europa - Hauptstadt Berlin? Ein EU-Handbuch. Konkret. Hamburg 2005, 215 S., 15 EUR
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.