Mit Manipulation deutsche Le Pen stürzen?

machina eX Das Künstler_innenkollektiv stellt in einem interaktiven Theaterstück das Publikum vor die Entscheidung.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Der Countdown läuft. Nervös läuft die Frau auf und ab und schreit in kurzen Abständen: „Noch drei Minuten und erst 16 % Prozent der Daten geladen. Wenn ihr euch nicht beeilt, wird die Frau verhaftet“. Die aufgeregte Frau richtet sich an ein knappes Dutzend Menschen, die sich an den vielen Rechnern zu schaffen machen, die sich in den Raum befinden. An einen muss der Rammspeicher erweitert, dort muss ein Tor-Programm deaktiviert werden. An diesem Abend waren genügend Menschen anwesend, die sich mit den Tücken des Computers auskennen und 30 Sekunden vor dem Ende ist das Programm geladen. Die junge Frau wird nicht verhaftet. Die Szene spielte sich an den letzten Abenden öfter in der zweiten Etage des Berliner HAU 3 ab. Die Menschen an den Rechnern waren Theaterbesucher_innen, die mit ihrem Handeln in das Theatergeschehen eingreifen. Eingeladen hat das Berliner Medientheaterkollektiv machina eX zu einem interaktiven Game-Theater. Die Story hat etwas von einem Politthriller und am Ende müssen sich die Zuschauer_innen noch der höchst moralischen Frage stellen, ob es in Ordnung ist, mit einer Manipulation den Weg in eine rechte Herrschaft zu verhindern.

Eine PR-Agentur steht im Mittelpunkt des Thrillers, der in Deutschland im Jahr 2021 spielt. Beate Peters ist Bundeskanzlerin, die von den Plakaten wie eine Mischung aus Marie Le Pen und Frauke Petry rüberkommt. Es ist eine Figur aus dem rechten Lager, die die Wahlen gewinnen konnte, weil die Linke uneinig war, erfahren wir beiläufig. Nun hat Peters eine Volksabstimmung ausgerufen, was 2021 wohl möglich scheint. Es geht um den Austritt Deutschlands aus der EU. Wir sehen mehrere hochdramatische Nachrichtensendungen, die auf die Abstimmung vorbereiten. Höhepunkt ist eine Ansprache von Bundeskanzlerin Peters, die mit nationalistischem Pathos erklärt, dass sich Deutschland nichts mehr vorschreiben lassen werde und daher die EU verlassen müsse. Sollte sich bei der Abstimmung eine Mehrheit für den Verbleib in der EU entscheiden, werde sie zurücktreten und auswandern. Diese Ankündigung soll die Stimmung noch mehr für die EU-Gegner beeinflussen. Alle Umfragen sagen ihnen einen klaren Sieg voraus. Doch ein junger Mitarbeiter eines Startup-Unternehmens gibt sich unaufgeregt. Es besteht weder für Deutschland noch die EU eine Gefahr, den Austritt werde es nicht geben Dass er so sicher ist, versteht man bald. Er gehört zu einer Gruppe, die ein Internet-Hack plant, um die Abstimmung für die EU-Befürworter_innen zu manipulieren und so die nationalistische Kanzlerin loszuwerden. Wie es in einem Thriller so ist, verläuft nicht alles nach Plan. Ein in den Plan eingeweihter Computerspezialist wird mit seinem Auto in die Luft gesprengt. Plötzlich erfährt eine junge Mitarbeiterin gegen ihren Willen von den Manipulationsplänen. Für sie wird die Situation noch dadurch dramatisiert, dass ihr Lebensabschnittpartner, mit dem sie nicht nur das Büro sondern auch den Loft teilt, in die Manipulation eingeweiht ist. Nun können die Zuschauer_innen zweimal in den Lauf des Theaterstücks eingreifen. Die oben beschrieben erste Gelegenheit bestand vor allem aus technischer Unterstützung beim Laden einer Datei.

Mit Manipulation gegen rechts?

Die zweite Gelegenheit aber wird zum politischen und moralischen Problem. Soll die Frau ihr Wissen über die geplante Manipulation geheim halten, vielleicht sogar die Aktion unterstützen, um den Le Pen-Verschnitt Beate Peters auf diese Weise los zu werden? Oder soll sie die Pläne bekannt und damit vielleicht einer neuen rechten Herrschaft auf Dauer den Weg ebnen? Die Zeit ist knapp. Trotzdem entbrennt unter der Gruppe der Zuschauer_innen eine kurze Debatte über politische Moral. Die rechte Kanzlerin hatte wohl keine Sympathie in der Runde. Doch heiligt der Zweck die Mittel? Was ist, wenn die Manipulation anderweitig bekannt wird? Wird das Peters nicht noch mehr nutzen? Und außerdem sind ja die Umfragen, die eine Mehrheit für den EU-Austritt vorhersagen, so sicher auch nicht. Am Ende wird es knapp. 7 Teilnehmer_innen votieren für die Veröffentlichung der Manipulation, allerdings erst nach Ende der Abstimmung, weil ja sonst die Rechten in letzter Minute noch Rückenwind bekommen würden. 6 sind dagegen. Für sie hat die Chance, das deutsche Le Pen loszuwerden, Priorität. Dann geht es schnell. Zunächst meldet das Fernsehen die große Überraschung. Eine knappe Mehrheit hat sich für ein Verbleiben in der EU ausgesprochen. Doch bevor der angekündigte Rücktritt Peters verkündet wird, kommt die Sondermeldung über die Manipulation. Das Stück endet mit einer pathosgeladenen Rede Peters, in der sie der Frau, die an die Öffentlichkeit gegangen ist, als große deutsche Patriotin würdigte und mit den Nazispruch schloss, dass Deutschland ewig leben werde. Da kamen wohl einigen derjenigen, die dafür votierten, die Manipulation öffentlich zu machen, Zweifel, ob es eine politisch kluge Entscheidung war. Zum Glück war es nur ein Spiel, habe auch ich gedacht, der mit einem ganz besonderen Grund um Zünglein an der Waage in diesen Theaterspiel wurde. Ich will mich nicht vor die Alternative EU versuch Deutsch-Nationalismus stellen lassen. Schließlich stimme ich auch im realen Leben nicht für das vermeintlich kleinere Übel. Trotzdem bin ich mir nicht sicher, ob ich die Position durchhalte, wenn eine Beate Peters wirklich in Berlin regiert. Andererseits war ein Detail in der Aufführung nicht so recht stimmig. Die Nachrichten wurden von einer Frau moderiert, die in keiner Weise den Imaginationen von der blonden Deutschen entspricht. Ein Lob hat machina eX sich auf jeden Fall verdient. Nach etwas Schleppenden Beginn, wurde es ein Abend mit viel Spannung, der am Ende sogar mit einen politstrategischen Dilemma endet. Da waren fast alle froh, dass es nur Theater war, vorerst zumindest.

Link zum Theaterstück mit Daten zu weiteren Aufführungen: :

http://machinaex.de/project/lessons-of-leaking/

Peter Nowak

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden