Momente großer Traurigkeit

Isild Le Besco Das Berliner Filmhaus Arsenal zeigt noch bis zum 31.Oktober Filme der in Deutschland bisher wenig bekannten Regisseurin und Künstlerin.

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Drei Kinder im Alter von sieben, acht und neun Jahren, die allein in einer Wohnung leben. Ein solches Sujet in einem Film ist meist der Stoff für ein Stück Sozialromantik mit viel Moral garniert. Doch der Film Demi-tarif liefert eine ganz andere Sichtweise. Das Regiedebüt der französischen Künstlerin Isild Le Besco zeigt über 80 Minuten den Alltag dieser drei Kinder aus deren Perspektive. Der Junge, der übrigens von Le Bescos Sohn gespielt wird, und die beiden Mädchen werden mit ihren alltäglichen Überlebensstrategien, aber auch mit ihren Spaß am Leben vorgestellt. Die Off-Stimme agiert als die Komplizin der Kinder. Sie werden eben nicht als Sozialfälle behandelt, sondern ihr Alltag wird bis in die privatesten Bereiche ausgeleuchtet. Sogar die Toilette wird dabei nicht ausgespart. Es gibt lustige Szenen, wo die drei Kinder ganz versunken in ihre Spiele sind. Fast schon wie eine perfekte Wohngemeinschaft wirkt das Trio beim gemeinsamen Spaghetti-Essen. Jedes WG-Mitglied trägt dazu bei, was es am besten kann. Einer kocht das Essen, die andere bereitet das Dessert zu und die dritte sorgt für den Abwasch.

Keine Sozialarbeiterromantik und kein Kinderkommunismus

Doch auch wenn dem Film auch jede Sozialarbeiterperspektive fehlt und er gerade dadurch so sehenswert ist, wird das Leben des Trios keineswegs als eine Art Kinderzimmerkommunismus beschrieben. Die im Film nicht anwesenden Eltern kümmern sich mehr oder weniger regelmäßig um eine Art Grundversorgung bei den Nahrungsmitteln. Doch oft ist der Mangel nicht übersehbar und das Trio geht auf Betteltour, wobei es nicht erfolglos ist. Kleine Kinder, die um einen Euro für einige Süßigkeiten anfragen, sind schließlich selten erfolglos. Sie können sich die Kinder auf das Helfer_innensyndrom verlassen. Auch ein entdeckter Ladendiebstahl geht wegen des geringen Alters glimpflich aus. Nebenher müssen die drei auch noch zur Schule gehen, was sie aber wie viele Altersgenoss_innen als Zeitverschwendung empfinden. Viel lieber würden sie morgens ausschlafen. Das bringt natürlich Probleme mit einer Lehrerin, die sie wegen ständiger Unpünktlich, schmutziger Kleidung und Läusen zur Rede stellen und mit den Eltern sprechen will. Das in Konversion versierte Trio kann aber dieses Begehren mit plausiblen Argumenten abbügeln. Der Film endet mit der von den Eltern gesponserten Sommerferien. Es bleibt offen, ob sie danach wieder in die Kinderkommune zurückkehren.

Kein Zwang fröhlich zu sein

Ob die Kinder im Film darunter leiden, bleibt unklar. Einerseits wird gezeigt, wie sie selbstbewusst ihren Alltag meistern, auch Spaß daran haben und bei Hindernissen und Schwierigkeiten fast immer einen Ausweg finden. Andererseits gibt es nur eine kurze Szene, wo die drei mit anderen Gleichaltrigen zusammensitzen. Sonst sind sie von Gleichaltigen ziemlich abgekapselt. In den Gesichtszügen des Jungen vor allem zeigen doch immer wieder Momente großer Traurigkeit und Verlassenheit. Momente großer Traurigkeit zeigen sich nicht nur in den Gesichtszügen, sondern in der ganzen Körperhaltung von Frederique, der Hauptfigur in dem Film Pas Douce, die Unsanfte von Jeanne Waltz. Die junge Frau wird in den Film von Isild Le Besco gespielt. Am Beginn sieht man sie mit einem Rennrad mit verkniffener Miene durch die Landschaft zu ihrer Arbeit als Krankenschwester im Hospital kurven. Schnell wird klar, dass die junge Frau große Probleme hat, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Auch in der persönlichen Beziehung läuft es nicht rund. Immer wieder mal kommt ihr Hass auf den Vater zum Ausbruch. Es wird deutlich, dass etwas Grundlegendes zwischen ihnen steht, dass aber nicht benannt wird. Gerade als sich die junge Frau mit ihrem Jagdgewehr im Wald umbringen will, kommt eine lärmende Schulklasse dazwischen. Der Lauteste von allen liegt bald mit einer Schusswunde auf dem Waldboden und dann in dem Hospital, in dem er zum Schrecken des gestressten Personals wird. Zur Begrüßung schüttet er einer Krankenschwester das Essen ins Gesicht. Die eilig aus Portugal ans Krankenbett gereiste Mutter beschimpft er wüst, läst sich aber mit einem Computerspiel besänftigen. Doch ausgerechnet die junge Frau, die sich gerade noch selbst umbringen wollte, gewinnt mit der Pflege „ihres Opfers“ wieder einen Lebenssinn. Der Film zeigt eine schwierige mit vielen Hürden versehene Annäherung, der auf dem ersten Blick so ungleichen Menschen: Auf der einen Seite ein verwöhnter Mittelstandsjugendlicher, der schon einen Tobsuchtsanfall bekommt, wenn ihm mal der Joystick, die er zum Computerspielen braucht, weg genommen wird. Auf der anderen Seite die introvertierte Krankenschwester, die schon mit dem Leben abgeschlossen hatte. Am Ende ist ausgerechnet dieser so unsympathische Jugendliche zu einer Geste bereit, die man ihm nie zugetraut hat. Beide werden wohl auch von einander angezogen, weil sie unter einer ungerecht eingerichteten Welt leiden und das auch nicht verschweigen wollen. Es ist ein besonderer Reiz der Filme, dass hier niemand auf Optimismus und Dauerfreundlichkeit macht. Die Menschen verweigern sich diesem Diktat der Freundlichkeit und den Zwang zum positiven Denken und Gut-Drauf-Sein, der in die Menschen einwandert, wie der Publizist Thomas Ebermann bei der Arbeit zu seiner Beschäftigung mit Herbert Marcuses Eindimensionalen Menschen auffiel. Es gab mal eine Zeit, da konnte der Beschäftigte schlechtgelaunt zur Arbeit gehen und das auch ausdrücken, betonte Ebermann in einem Interview. In den Filmen von Isild de Bosco sehen wir die Menschen genau so. Sie drücken ihren Zorn, ihre Wut, ihre Nichteinverstandensein aus und das ist sehenswert.

Wild Child heißt die Filmreihe des Kinos Arsenal, das uns mit den Filmen dieser Künstlerin bekannt macht. Heute abend hat der Film Bas-Fonds in Anwesenheit von Le Boco Premiere. Auch in dem Film geht es um drei allein lebende Jugendliche, dieses Mal um 3 Mädchen. In den nächsten Tagen werden dort noch unter Anderem die Filme Camping Sauvage und Roberto Succo zu sehen sein.

Mehr Informationen über die Filmreihe finden sich hier:

http://www.arsenal-berlin.de/de/kino-arsenal/programm/einzelansicht/article/5041/2803.html

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Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

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