Nachbarn sagen Tschüss zu AHOJ

Böhmische Straße 53 Mieteraktivist_innen haben vor einigen Tagen ihr Repertoire im Widerstand gegen Gentrifizierung erweitert. Sie enterten das Nachbarschaftsfest einer Eigentümergruppe

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„Bevor wir mit dem eigentlichen Bau beginnen, möchten wir Sie herzlich zu einem Nachbarschaftsfest einladen“, hieß es auf Plakaten, die in den letzten Wochen im Neuköllner Stadtteil Rixdorf verteilt wurden. Eingeladen hatten die Investor_innen und Projektentwickler_innen des Wohnprojekts AHOJ am 20. August um 17 Uhr auf das Grundstück der Böhmischen Straße 53. Schon eine halbe Stunde vorher hatten sich mehr als 100 Menschen versammelt, die erkennbar nicht zum Feiern bekommen waren. Manche hatten Transparente gegen Gentrifizerung dabei. Andere trugen Schilder, auf denen zu lesen stand: „Neuköllner MieterInnen sagen Tschüss und AHOJ“. „Auf dem Grundstück sind 66 Eigentumswohnungen für Wohlhabende geplant. Dadurch wird der Druck auf Menschen mit geringen Einkommen in Neukölln noch größer. Das wollen wir verhindern“, begründete eine Mitorganisatorin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen wollte, den Anlass für den Protest, der zunächst vor dem Grundstück stattfinden musste. Nach Rücksprache mit den Einlader_innen machte die Polizei schließlich den Weg frei und die Protestierenden verteilten sich auf dem geräumigen Gelände. Es gab noch vereinzelt Sprechchöre, doch größere Aufmerksamkeit fand das kalte Büffet. Vereinzelt gab es auch Diskussionen unter den Protestierenden. Während ein junger Mann bekräftigte, er stelle die Mietzahlungen generell in Frage, weil Wohnraum keine Ware sein darf, erwiderte ein älterer Mann, dass er für eine Deckelung der Miete aber nicht für deren Abschaffung sei. Eine Trommelgruppe und einige Clowns sorgten in den nächsten 90 Minuten für Erheiterung. Danach verließen die Kritiker_innen des Bauprojekts das Grundstück. Eine geplante Spontandemonstration durch Neukölln wurde durch ein großes Polizeiaufgebot verhindert. Einige Menschen, die Schilder mit Protestslogans bei sich hatten, wurden in der Umgebung für kurze Zeit zwecks Personalienfeststellung eingekesselt. Ein Mitorganisator bewertete die Aktion als Erfolg. Es sei in der Sommerpause gelungen, Nachbar_innen, Mieteraktivist_innen und Initiativen wie das Bündnis gegen Zwangsräumungen zu Protest zu motivieren. Damit werde deutlich, dass viele Menschen sensibel für drohende Verdrängung in Stadtteilen geworden seien. Am Abend, als wieder Ruhe rund um die Böhmische Straße 53 eingekehrt war, hing noch ein Transparent mit der Aufforderung „Kauf Dich glücklich“ am Zaun gegenüber. Es war ein ironischer Gruß an die kleine Gruppe der Interessent_innen der Eigentumswohnungen, die nun fast ohne Nachbar_innen den bevorstehenden Baubeginn feierten.

Rixdorfer Kiezversammlung geplant
Das Protestbündnis bereitet für den 19. September eine Kiezversammlung vor, wo über den weiteren Widerstand gegen die drohende Vertreibung von einkommensschwachen MieterInnen beraten werden soll. „Wir als Bewohner und Bewohnerinnen müssen ausziehen, unsere Nachbarschaft wird zerstört, wohnen sollen hier nur noch diejenigen, die angeblich das Straßenbild verschönern“, moniert das Mieterforum Rixdorf. Auch das Neuköllner Quartiersmanagement bestätigt, dass der geplante Neubau in der Böhmischen Straße vielen Bewohner_innen in der Nachbarschaft Anlass zur Sorge gibt. Es führt seit 2011 eigene Auswertungen von jährlich 20 – 30 aktuellen Wohnungsangeboten im Quartier durch. Diese ergaben einen Anstieg der durchschnittlichen Nettokaltmieten bei Neuvermietungen von 6,53 Euro pro Quadratmeter im Jahr 2011 auf 9,43 im Jahr 2015. Damit stiegen in den letzten vier Jahren die Mieten im Kiez um 44%. Wenn die Pläne der Investoren in der Böhmischen Straße 53 aufgehen, könnte dieser Trend zunehmen. „Das Ahoj ist der perfekte Ort für Menschen, die nach einem privaten Rückzugsort suchen und dennoch den Pulsschlag der Stadt spüren möchten“, heißt es auf der Webseite der Projektentwickler_innen. Am 20. August haben die potentziellen Wohneigentümer_innen schon mal den Sound des Mietenwiderstands gespürt.

Peter Nowak

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Peter Nowak

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