Das Hitlerbild am Dachboden

Nachtland In diesem 110minütigen Stück liefert Marius van Meyenburg eine bitterböse Parabel auf den deutschen Diskus der sogenannten Vergangenheitsbewältigung, der schnell in offenen Antisemitismus kippt, wenn die Jüdin stört

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Videoeinlage flimmert schon über die Bühne, bevor das Stück beginnt. Man sieht eine pseudoidyllische Berglandschaft mit Schafen und Vögeln. Ob es sich dabei wohl um das Bild handelt, um das sich das gesamte 110minütige Theaterstück dreht, fragt meine Sitznachbarin in der Berliner Schaubühne. Dort wurde „Nachtland" in der Regie von Marius von Meyenburg im Rahmen des Festivals Internationaler Dramatik (FIND) gezeigt. Es ist eine bitterböse Parodie auf den sogenannten Vergangenheitsbewältigungsdiskurs geworden. Dreh- und Angelpunkt des Stücks ist ein Bild, das verborgen auf dem Dachboden des Hauses gefunden wurde, in dem der Vater plötzlich und unerwartet gestorben ist.

Nein, das Bild ist nicht mit der Naturromantik auf dem Monitor identisch. Es wird aber auch nie gezeigt, es wird immer nur viel von dem Bild geredet. Dabei geht es weniger um seinen künstlerischen Wert, sondern um den vermeintlichen Maler. Für Aufregung sorgt eine Namensangabe am Bildrand, die zunächst mit A. Hiller buchstabiert wird, bis jemand sagte, dass l sei eindeutig ein t und plötzlich ging es um ein Produkt des Plakatmales Adolf Hitler. Bald entspinnt sich auf der Bühne zwischen Schwester und Bruder ein Streit darüber, was mit dem Hitler- Bild geschehen soll.

„Die Jüdin stört“

Ins Feuer damit, Fordert Judith, die Frau des Sohnes und sorgt vor allem bei ihrer Schwägerin für Empörung. Sie unterstellt Judith, sie würde ja Nazimethoden befürworten. Doch schnell geht es nur noch um das Geld, das ein bisher unbekanntes Hitlerbild bringen würde. Ihren Bruder, mit dem sie zunächst überhaupt nicht kann, braucht sie nicht lange zu überzeugen. Er wird gut als irgendwie liberaler junger Mann gezeigt, der natürlich mit Hitler und seinen Bildern nichts zu tun haben will, außer, wenn sie Geld bringen. Eine Gutachterin mit NS-Hintergrund ist schnell gefunden, die sich ganz sicher ist, dass es sich hier um einen echten Hitler handelt. Und dann ein Käufer läßt nicht lange auf sich warten, der immer betont, natürlich nur Geschäftsmann zu sein. Aber Skrupel, Hitler-Bilder zu verkaufen, hat er nicht, schließlich bringt Hitler Geld. Doch es gibt noch ein Problem, die Provenienz, mit der bewiesen werden soll, warum ein Hitlerbild am Dachboden des alten Mannes verstaut war. Doch auch das scheint lösbar, wie sich schnell zeigte. Deutsche Familien lassen sich schließlich schneller braun färben als entnazifizieren. Es ist schon ein Vergnügen zuzuhören, wie sich da das Quardett eine braune Geschichte zusammenzimmert. Doch eine stört, Judith, die Frau des Sohnes, die immer angeekelter wird von der Selbstnazifizierung der Familie. Denn Judith ist Jüdin, eine echte Jüdin, wie sie bald gefragt wird. Zunächst kommt noch eine Äußerung der Betroffenheit, dass man dann schon verstehe, warum sie so empfindlich reagiere. Aber in kurzer Zeit ist es vorbei mit der Betroffenheitsrethorik. Bald wird Judith offen angegriffen und der Antisemitismus schlägt ihr vor allem von der Schwägerin entgegen. Die Jüdin stört beim deutschen Geschäft, die Jüdin muss weg, heißt es bald und es dauert nicht lange, bis sogar ihr Mann da einstimmt. Marius von Mayenburg hat eine bitterböse aber treffende Parabel über den deutschen Betroffenheitsdiskurs gegeben, besonders wenn Juden dabei zuhören müssen. Erst gibt man sich betroffen, doch wenn der Jude dann nicht die Rolle einnimmt, die man ihm zuweist, dann bricht der zivilisatorische Firnis schnell ab und der Antisemitismus quillt bald aus allen Poren.

Am rostigen Nagel infiziert

Doch leider überfrachtet von Mayenburg das Stück, in dem er dort fast den gesamten Antisemitismusdiskurs hineinpackt. Dann muss auch noch über den Nahostkonflikt gestritten werden. Die Schwägerin wirft Judith vor, sich auf das hohe Ross zu setzen, Deutschland zu verurteilten und zu Israel zu schweigen. Derweil wurde ihr Mann von einem rostigen Nagel ausgenockt. Mit ihm zog er sich eine Wunde zu, als er das Hitler-Bild aus dem Rahmen trennen wollte. Der wiederum kam, was auch ausgiebig erörtert wurde, von einem jüdischen Rahmenmacher. Das überraschende Ende des Stücks, das natürlich nicht verraten werden soll, ließ die Geschwister, die schon die Millionen zählten, das sie mit dem Hitler-Bild machen wollte, am Boden zerstört zurück. Ein schönes Stück über deutsche Befindlichkeit.

Peter Nowak

Nachtland
von Marius von Mayenburg
Regie: Marius von Mayenburg, Bühne und Kostüme: Nina Wetzel, Video: Sébastien Dupouey, Musik: David Riaño Molina, Nils Ostendorf, Dramaturgie: Maja Zade, Licht: Erich Schneider.
Mit: Damir Avdic, Moritz Gottwald, Jenny König, Genija Rykova, Julia Schubert.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden