Neue Arbeitskämpfe im Tessin?

Giù le mani dall’Officina Peter Nowak sprach mit dem Schweizer Basisgewerkschafter Rainer Thomann über die Situation im Ausbessserungswerk im Tessin, wo die Zeichen wieder auf Kampf stehen..

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Vor einigen Jahren sorgte der Arbeitskampf der Beshäftigten des Eisenbahnausbesserungswerk in Bellinzona im Tessin bei Basisgewerkschafter_innen für Aufmerksamkeit. Der Belegschaft gelang es mit einen von den Kolleg_innen breit getragenen Streik und einer Betriebsbesetzung die Schließungspläne der Schweizer Bundesbahn (SBB) zu verhindern. Das ist heute ein seltener Erfolg. Doch die damaligen Vereinbarungen werden von der SBB nicht eingehalten und die Kolleg_innen in Bellinzona reden erneut über Widerstand. Zunächst richteten sie ein Ultimatum an die SBB, Schritte zur Umsetzung der Vereinbarungen einzuleiten. Das Unternehmen reagierte nicht.

Der Schweizer Basisgewerkschaftler Rainer Thomann ist seit Jahren in der Solidarität mit den Kolleg_innen von Bellinzona aktiv

1.) Das Ultimatum der Belegschaft ging bis zum 15.4. Wie waren die Reaktionen bei der Belegschaftsversammlung?

R.T.: „Mit Wut und Enttäuschung“, wie es in einer an der Versammlung vom 18.04.2016 verabschiedeten Resolution heisst, haben die Arbeiter der Officina zur Kenntnis genommen, dass die SBB weder auf die konkreten Forderungen der Belegschaft eingegangen noch bereit sind, die 2013 unterzeichneten Verträge einzuhalten. Als unmittelbare Massnahme suspendieren die Belegschaftsvertreter ihre weitere Mitarbeit im 2013 geschaffenen Kompetenzzentrum solange, bis die SBB ihren vertraglichen Verpflichtungen nachkommt. Die SBB wird erneut aufgefordert, bis zum 27. April eine ausreichende Antwort auf sämtliche von der Belegschaftsversammlung vom 26.02.2016 beschlossenen Punkte zu geben. Im Weiteren soll die Tessiner Regierung unverzüglich von der SBB die Respektierung der unterzeichneten Verträge verlangen. Dieser Teil der Resolution wird im Anschluss an die Versammlung sogleich mit einer lautstarken Demo zum Regierungsgebäude in die Tat umgesetzt. Dort werden die Arbeiter vom Parlamentspräsidenten und einem Regierungsrat empfangen: .

2.) Wie schätzt Du die Kampfbereitschaft der Belegschaft von Bellinzona ein?

R.T.: Die Kampfbereitschaft der Belegschaft ist nach meiner Einschätzung auch 8 Jahre nach dem Streik noch immer ungebrochen und erstaunlich gross. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass der Kampf von den Arbeitern und ihrem Streikkomitee mit Gianni Frizzo an der Spitze selbst organisiert wird. Die Gewerkschaften (SEV und Unia) haben eher eine passiv unterstützende, untergeordnete Rolle.

3.) Könnte sich ein neuer Arbeitskampf ergeben?

R.T.: Der Arbeitskampf ist im Grund genommen auch dem Ende des 33tägigen Streik von 2008 nie zu Ende gegangen, nur die Formen haben sich geändert. Seit dem Ende der Streiks geht der tägliche Kleinkrieg im Betrieb weiter: Das Ziel der SBB ist die Rückkehr zur „Normalität“, was im Klartext nichts anderes bedeutet als die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über ihre Lohnsklaven, während die Arbeiter versuchen, möglichst viel von der im März 2008 errungenen Macht zu erhalten.

4. Warum ist die Auseinandersetzung jetzt wieder aufgeflammt?

R.T.: Allen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz hat die SBB ihre Schliessungspläne nie aufgegeben. Einzig auf Intervention des damaligen Verkehrsministers Leuenberger, dem die SBB untersteht, musste die SBB-Spitze seinerzeit einlenken, worauf der Streik beendet wurde. Und erst als im November 2008 einer neuer Streik drohte (die Flugblätter für die Demo in Bern waren bereits gedruckt!), war sie bereit, eine Delegation des Streikkomitees zu empfangen und auch eine schriftliche Zusicherung für die Zukunft der Officina bis 2013 abzugeben.

Eine Wiederholung der Ereignisse von 2008 halte ich für sehr unwahrscheinlich. Die Geschichte wiederholt sich bekanntlich nie genau gleich, auch wenn wir nicht wissen können, welche Formen der Kampf in den nächsten Monaten annehmen wird.

5.) Wurden weitere Schritte besprochen und eventuell auch Aktionen bei der Einweihung des neuen Autobahntunnels?

R.T.: Über allfällige Aktionen anlässlich der Eröffnung des NEAT-Eisenbahntunnels anfangs Juni wurde zumindest an der Versammlung des Vereins „Giù le mani“ am letzten Mittwochabend nicht gesprochen. Die Hoffnung der Belegschaft besteht darin, vor diesem Datum die SBB zur Einhaltung der getroffenen Vereinbarungen bewegen zu können. Bis dahin liegt natürlich die Drohung weiterhin in der Luft.

Interview: Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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