Manche älteren Linken aus Westdeutschland kriegen noch leuchtende Augen, wenn sie das Wort Volkszählung hören. Der Widerstand gegen diese staatliche Erfassung war in den 80er Jahren ein prägendes Thema der damals noch starken außerparlamentarischen Bewegung, aber auch der Grünen, die sich damals mit Jutta Ditfurth, Thomas Ebermann und Rainer Trampert in führenden Positionen, als parlamentarischen Sprachrohr dieser Bewegung verstanden haben. Der erste Anlauf zur Volkszählung wurde durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts gekippt. Als der Zensus 1987 nachgeholt wurde, gab es keine juristischen Bedenken mehr. Doch fast in jede Stadt gab es Boykottinitiativen. An speziellen Orten sammelten Zensusverweigerer die Fragebögen ein. Obwohl es noch jahrelang juristische Verfahren gegen Volkszählungsgegner gegeben hat, wurde in Städten, in denen die Quote der Verweigerer besonders stark war, beispielsweise in Bielefeld, der Protest faktisch toleriert.
Obwohl die Boykottbewegung von einigen damaligen Aktivisten als gescheitert bezeichnet wurde, wird von anderen vor allem das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgericht von 1983 als Meilenstein für eine stärker am Datenschutz orientiere Rechtssprechung betrachtet. Es ist unbestritten, dass die Argumente der Kritiker in das Urteil eingeflossen sind. Eine weitere Konsequenz der Proteste war der Verzicht auf weitere Volkszählungen.
Das soll sich im nächsten Jahr ändern. 2011 ist der erste europaweite Zensus geplant, die in Deutschland von einer speziellen Zensuskommission vorbereitet wird. Dabei legt das Statische Bundesamt Wert auf die Feststellung, dass es sich nicht um ein Revival der umstrittenen Volkszählung handelt. „Volkszählung war gestern – Zensus ist morgen“ lautet die Parole. So soll beim Zensus im nächsten Jahr im Unterschied zu früheren Volkszählungen auf die Daten von bestehenden Verwaltungsregistern zurückgegriffen werden. An diesem Punkt setzt die Verfassungsbeschwerde (www.zensus11.de) an, die der Arbeitskreis Zensus beim Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung gemeinsam mit der Initiative foebud (https://petition.foebud.org/FoeBuD/zensus11/ ) in die Wege geleitet hat. Der Datenschutzexperte Werner Hülsmann spricht von einer Zweckentfremdung der Register. Außerdem werde das Volkszählungsurteil von 1983 verletzt, weil mittels einer Identifikationsnummer die Zuordnung von Personenangaben zu den Daten nicht ausgeschlossen werden könne. Hiergegen hatte das Bundesverfassungsgericht 1983 sein Veto eingelegt. Die Zahl der Unterstützer der Verfassungsbeschwerde wächst und das ist gut so. Aber, die Zensusgegner sollten sich nicht nur auf die Justiz verlassen. Schließlich war das Urteil von 1983, auf das sich die Verfassungsbeschwerde bezieht, die Folge einer starken Protestbewegung. Warum soll im 2010 nicht möglich sein, was Anfang der 80er Jahre funktioniert hat? Zumal ja, seit einigen Jahren eine neue Datenschutzbewegung mehrmals Großdemonstrationen in Berlin organisiert hat. Die Vorratsdatenspeicherung war damals das mobilisierende Thema. Auch die Gewerkschaften sind durch den elektronischen Datenabgleich Elena für Datenschutzbelange sensibilisiert worden. Wenn im Bundeswirtschaftsministerium mit dem Kostenargument ein Stop dieser Datensammlung überlegt wird, ist das ein Erfolg der Proteste. Warum nicht die nächste Großdemonstration der Datenschutzbewegung unter das Thema „Zensus2011 stoppen“ stellen und auch wieder – wie vor fast 30 Jahren in allen Städten Initiativen gründen? Es dürfte noch genügend Aktivsten geben, die dabei praktische Hilfestellung geben können.
(Foto: Freiheit statt Angst)
Kommentare 10
Ob Volkszählung oder (europ.) Zensus, ich glaube, dieses Mal rauscht das einfach so durch, weil Daten dem einen wie dem anderen das wichtigste und unwichtigste zugleich ist, und weil die Zeit noch nicht danach ist, überhaupt irgendeine Sauerei zu boykottieren.
Die glotzen einen ja schon an der Supermarktkasse blöd an, wenn man die "harmlose Frage" nach der Postleitzahl nicht beantwortet. Die Schäflein, die da überall ausgeschnüffelt und zur Datenschlachtbank geführt werden, sind nicht in der Lage, zu widersprechen, weil sie eh nicht denken können.
Sorry, aber in Zeiten der allgemeinen Entpersonalisierung ist ddie Idee zwar ehrenwert, aber wohl kaum durchführbar.
(Ich gehöre im Übrigen auch zu den nie Volksgezählten, die durch alle Instanzen gingen.)
Ich wäre da vorsichtiger mit der Beurteilung der Internet-Generation. Die neue Datenschutzbewegung wird weitgehend von ihr getragen. Die gehen sicher anders mit den Medien um, weil sie andere Voraussetzungne als wir in der 80er Jahren haben. Aber ich würde nicht sagen, dass die keinen Begriff vom Datenschutz haben.
@ Peter Nowak
Die Zensusgegner, auf die Du verlinkst, schreiben:
"Die Abfrage der Daten laut deutschem Zensus-Gesetz geht über den von der EU geforderten Umfang hinaus, z. B. die Angabe des Religionsbekenntnisses, das insbesondere muslimische Glaubensrichtungen besonders differenziert und damit zur Beantwortung auffordert. So ließe sich zum Beispiel eine Liste aller Muslime in Deutschland erstellen, die ihre Religionszugehörigkeit angegeben haben."
In § 18 des Zensusgesetzes heißt es:
"Die Auskunft über die Erhebungsmerkmale nach § 7 Absatz 4 Nummer 19 ist freiwillig."
§ 7 Absatz 4 Nummer 19 lautet:
"Bekenntnis zu einer Religion, Glaubensrichtung oder Weltanschauung (sunnitischer Islam, schiitischer Islam, alevitischer Islam, Buddhismus, Hinduismus und sonstige Religionen, Glaubensrichtungen oder Weltanschauungen)."
Daraus schließe ich, dass in diesem Punkt die Zensusgegner in die Irre führen, da die Angabe des Religionsbekenntnisses auf Freiwilligkeit beruht. Bedauerlich ist, wenn ein berechtigtes Anliegen dadurch leichtfertig Angriffen ausgesetzt werden kann.
Gerade die Datengeneration ist doch mit dem nichtgelesenen Permanentkleingedruckten so verklickt, daß da auch vieles durcheinandergeht. Datenschutz heute ist ein Tabernakel oder Menetekel, mindestens aber Rabulistik; auf jeden Fall: geht ga nich. Und auch keiner hin.
>Neue Volkszählung – wo bleibt der Protest? - Wer soll denn da wirklich protestieren in einer Welt, in der so gut wie alle und jeder in "sozialen Netzwerken" wie facebook oder Studi-VZ viel zu viel Persönliches über sich ausplaudern?
Allein das nimmt einem möglichen Protest jede Ernsthaftigkeit.
Da wird wohl das problem liegen. Die Datensammlung und Abschöpfung in der heutigen Zeit hat ein solches Ausmaß erreicht, das diese Volkszählung eine echt nostalgische Veranstaltung ist, und einige aus folkloregründen gerne teilnehmen würden. Geheimdienste, Banken, Industrie wissen mehr über einen als man selbst.
Man sollte sich auch mal die andere Seite ansehen. Welche Gründe lässt das Parlament ein solches Gesetz veraschieden?
Im Zensusgesetz heißt es:
Der Zensus dient:
1. der Feststellung der amtlichen Einwohnerzahlen von Bund, Ländern und Gemeinden und der Bereitstellung der Grundlage für die Fortschreibung der amtlichen Einwohnerzahlen für die Zeit zwischen zwei Volkszählungen,
2.der Gewinnung von Grunddaten für das Gesamtsystem der amtlichen Statistik sowie von Strukturdaten über die Bevölkerung als Datengrundlage insbesondere für politische Entscheidungen von Bund, Ländern und Kommunen auf den Gebieten Bevölkerung, Wirtschaft, Soziales, Wohnungswesen, Raumordnung, Verkehr, Umwelt und Arbeitsmarkt....".
Sind diese Gründe ganz von der Hand zu weisen?
Hier der Link zum Gesetz:
www.gesetze-im-internet.de/zensg_2011/index.html
Die Frage ist für mich nicht, wo der Protest bleibt - vielmehr ist die Frage, ob Medien nicht viel zu konzentriert arbeiten. Über die längst eingelegte Verfassungsbeschwerde wegen des Zensus 2011 (www.ferner.eu/?p=2380) verliert man auch hier kein Wort. Wie viele bereits gelaufene Aktionen werden wohl noch von der Presse ignoriert, die weiterhin für eine bisher nur geplante (!) VB trommelt.
Der Protest wird erst mit der Öffentlichkeit kommen. Die aber entsteht erst, wenn die Presse objektiv über das Thema berichtet. Dazu gehört, dass man einerseits die Notwendigkeit eines verfassungsgemäßen Zensus darstellt, aber auch dass man sich nicht nur auf ein einzelnes Aktionsbündnis "einschießt". Letztlich aber steht zu befürchten, dass das zu viel Verlangt ist von "der Presse".
Was soll das lamentieren?
Ich finde die Volkszählung gut!
Das spielt uns Anarchisten so richtig in die Hände. Ich freu mich schon auf's ausfüllen! Und ich sage euch noch was: ich wäre gern beim Auswerten dabei. Diese blöden Gesichter möchte ich sehen. Echt.
Geben wir ihnen, was sie wollen: Bullshit.
Geben wir ihnen, was sie brauchen: Bullshit.
Geben wir ihnen, was sie vorleben: Lügen, Lügen, Lügen.
*schenkelklopf*
*in die luft spring*
*gleich noch eins ausfüllen*
*Geschlecht: geh gut!*