Neues aus den Unrechtsstaaten

geschichtsklitterung Während es schon als DDR-Unrecht gilt, wenn jemand nicht seinen Wunschstudienplatz bekam, gilt der Fotograf Peter Woelck nicht als Opfer des BRD-Unrechts

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Dass ausnahmslos jeder Staat ein Gewaltverhältnis darstellt und, wenn es mit dem Konsens nicht klappt, mit Gewalt gegen seine Untertanen vorgeht, sollte sich eigentlich herumgesprochen haben. Dieses Satz hätten die Vertreter_innen der Linkspartei in Thüringen Grünen und SPD vorlegen sollen. Schließlich verlangten die von der Linken, sie sollten die DDR als Unrechtsstaat anerkennen, damit sie überhaupt als Koalitionspartner_innen in Betracht kommen. Gemach, gemach, SPD und Grüne, wenn schon dann ist jeder Staat Unrecht. Aber das haben diese Parteien nicht so gemeint. Schließlich sind ja explizit die Vertreter_innen des BRD-Staates und somit mindestens genau so in dessen Gewaltverhältnisse verwoben, wie die SED in der DDR. SPD und Grüne sehen es das staatliche Gewaltverhältnis nicht generell als kritikwürdig sondern nur dann, wenn bürokratisierte Arbeiter_innenfunktionäre wie in der DDR einen Staat ausgerechnet mit „diesen Volk“ machen wollten. Einen Kommunismus aufbauen mit Menschen, die die Alliierten mit aller Gewalt am Weiterermorden von Juden und Kommunist_innen hindern mussten, auf diese Idee musste man erst mal kommen. Man muss wahrlich keine Sympathie mit den stalinischen Nominalsozialist_innen haben, um zumindest zu verstehen, dass die kommunistischen Funktionär_innen, die aus den KZ oder dem Exil zurückkamen, diesen „Volk“ nicht trauten und die Devise „Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser“ anwandten. Das konnte nach 1945 in diesem Deutschland keinen Nazigegner verübelt werden. . Erst im Jahr 2014 hat der Sozialdemokrat Uwe Carsten Heye mit den Buch „Die Benjamins - eine deutsche Familie“ das von den NS-Apologet_innen geprägte Hassbild über die DDR-Justizministerin Hilde Benjamin korrigiert. Er beschreibt das Leben einer fortschrittlichen Juristin in der Weimarer Republik, die in der NS-Zeit Berufsverbot hat und politisch verfolgt wurde. Ihr Mann und mehrere Familienangehörige wurden ermordet. Hilde Benjamin knüpfte den Nazis keine Karriereleitern wie die Politiker_innen in der BRD. Das war kein Kommunismus, aber die Voraussetzung für eine einigermaßen zivilisierte Gesellschaft. Das war der Grund für den besonderen Hass, den Hilde Benjamin bei den Nazis in allen Parteien nach sich zog, die sicher immer bedauerten, so einer nicht rechtzeitig einen Kopf kürzer gemacht zu haben. Angesichts dieser deutschen Geschichte ist die von Grünen und SPD in Thüringen verlange Erklärung so verlogen und politisch infam. Ist übrigens irgendwo bekannt geworden, dass in der BRD in den 50er und 60er Jahren von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern vor ihrer Wiederverwendung im Staatsdienst eine öffentliche Erklärung abverlangt wurde, dass das NS-System ein Unrechtsstaat war?

Taz hat neue Opfer des DDR-Unrechts gefunden

Darüber denkt kaum einer 25 Jahre nach dem Mauerfall nach. Dafür meint die Taz-Redakteurin Barbara Bollwahn in dem Buch „25 Jahre – ein neues Land“ den ultimativen Beweis dafür gefunden zu das haben, dass die DDR ein Unrechtsstaat war.

"Da ist die Betriebswirtin, die einen Großvater im Rheinland hatte und nicht Außenhandelsökonomie studieren durfte und nach einem gescheiterten Fuhrunternehmen nach dem Mauerfall Schuldnerberaterin wurde; die vermutlich erste Stripperin der DDR, die für "erotische Tanzdarbietungen" gebucht wurde, aber keine Einstufung als Künstlerin bekam und jetzt eine Erotiktanzschule leitet; der Mann, der nicht Arzt werden durfte, weil er an einem 1. Mai sein FDJ-Hemd zerrissen hatte und nach der Wende ein Mittelalter-Wandertheater gründete.“ Da fragt man sich wirklich, ob die Kollegin Barbara Bollwahn hier eine Persiflage auf die Debatte liefern wollte? Denn 25 Jahre nach der Annexion dürfte ihr doch nicht entgangen sein, dass die Zahl der jungen Menschen, die in Deutschland ihren Wunschstudienplatz nicht bekommen haben, jährlich in die Zehntausende geht. Geldmangel, Numerus Clausus, die Herkunft aus dem Arbeiter_innenmilieu, Studiengebühren, die Zahl der Gründe ist endlos. Dass Sexarbeiter_innen in der BRD bis heute mannigfachen Restriktionen ausgesetzt sind und bis vor gar nicht allzu langer Zeit regelrecht kriminalisiert wurden , dürfte Bollwahn auch nicht entgangen sein. Dann müsste sie konsequenterweise die BRD mindestens genau so als Unrechtsstaat bezeichnen wie die DDR. Nur dass liest man in ihrer Kolumne (http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=pb&dig=2014%2F10%2F18%2Fa0020&cHash=75aad02095478eb5e341c4866161412f) nicht.


Wie DDR-Widerstandsgeschichte verbogen wird.

Erst wenige Tage zuvor führte Bollwahns Kollege Kai Schlieter in einen interessanten Porträt des Fotografen Harald Hauswald vor, wie man kreativ die Geschichte neu deuten kann. Es geht dabei um eine erfolgreiche Aktion des zivilen Ungehorsams in der DDR der späten 80er Jahre, die Rettung des Hirschhofs in der Oderberger Straße in unmittelbarer Nähe zum heutigen Mauerpark. Dort hatte sich seit den 80er Jahre eine kritische Szene angesiedelt, teilweise Wohnungen besetzt und ein Leben geführt, wie es die DDR-Funktionäre nicht gerne gesehen haben. Diese Szene verstand sich aber durchaus als links, stritt für einen libertären Sozialismus und wollte nicht im Kapitalismus aufwachen. Sie nutzten die in der DDR vorhanden Mitwirkungsorgane der Mieter_innen den Wohnbezirksausschuss WBA für ihren Widerstand gegen die geplante Abholzung des Hirschhofs und hatten Erfolg. Doch was macht Schlieter aus dieser Geschichte eines erfolgreichen Widerstands innerhalb der DDR, indem Mitwirkungsorgane tatsächlich im Interesse der Bevölkerung und nicht wie so oft für die Bespitzelung genutzt wurden? Er versucht daraus eine neue Geschichte vom DDR-Unrecht zu machen. Das fängt schon im ersten Absatz mit einer Geschichtsklitterung an: “Der Hirschhof ist ein parkähnlicher Komplex, der in der DDR Künstlern, Intellektuellen und Menschen, die sich nicht mit der SED arrangieren wollten, ein Biotop bot“, heißt es dort. Tatsächlich waren die Träger_innen des Widerstandes gegen die Abholzung Menschen, die sich durchaus für einen Sozialismus engagierten, aber eben über den Horizont der meisten SED-Funktionär_innen hinausgingen. Sie hatten da Kämpfen auch nach 1989 nicht verlernt. Es war diese Szene, die bereits 1991 die ersten Mieter_innendemonstrationen von Ost-nach Westberlin organisierte, als deutlich wurde, dass mit dem Einzug des Kapitalismus auch das Wohnen eine Ware werden würde, die mensch sich leisten können muss. Übrigens haben diese Kreise das Kürzel WBA in die Mieter_innenbewegung gebracht, dass dort bis heute noch gebräuchlich ist. Aus dem Wohnbezirksausschuss ist die Initiative „Wir bleiben alle“ geworden. Sie haben zumindest im Prenzlauer Berg diesen Kampf verloren, heute wohnt kaum noch jemand dieser linken Szene der 80er Jahre in der Oderbergerstraße und Umgebung. Auch der in der DDR erkämpfte Hirschhof ist nicht mehr zugänglich, weil die Eigenheimbesitzer_innen in der Oderbergerstraße dagegen Sturm gelaufen sind, dass in einem der Häuser, die einen Zugang zum Hof bietet, eine Haustür offengehalten wird, damit er begehbar ist. Schlieter beschreibt diesen Zustand eher lapidar als er über den Hof schreibt: „Bis heute ein zu gewuchertes Idyll in der Großstadt. Allerdings im Privatbesitz. Wer da rein möchte, muss um Erlaubnis fragen. Zäune der Eigentümer trennen die einzelnen Höfe ab“. Kurz gesagt, es ist das kapitalistische Gewaltverhältnis, das den in der DDR erkämpften und ermöglichten öffentlichen Raum Hirschhof zerstört hat. Ist das nicht eines von unzähligen Beispielen vom Unrechtssystem Kapitalismus, Kollege Schlieter? Und zeigt die erfolgreiche Verteidigung des öffentlichen Platzes HIrschhofs in der DDR nicht, wie wichtig es ist, die Eigentumsfrage zu stellen, wenn man einen Platz und eine Wohnung nutzen will? In der DDR hätte also das Staatseigentum wirklich in die Hände der Bevölkerung und der Gesellschaft gegeben werden müssen. Stattdessen wurde es wieder privatisiert, Ist das nicht eine Zuspitzung eines Gewaltverhältnisses gegenüber der DDR? Alles Fragen, die sich Schlieter nicht stellt, weil er sich die Frage, ob wir in einem Unrechtsstaat leben, gar nicht stellt. Das macht die Debatte über den Unrechtsstaat DDR so heuchlerisch.

Nachtrag: Peter Woelck - Opfer des Kapitalismus

In der Galerie Laura Mars in Berlin-Kreuzberg hat kürzlich eine Ausstellung (http://www.lauramars.de/display/index.html ) begonnen, die an den DDR-Fotografen Peter Woelck erinnerte. Er taugt nichts zum DDR-Opfer, weil er hat sich nicht als Dissident hervorgetan hat. Doch er hat, wie man in der Ausstellung und den dort ausgelegten Zeitungsartikeln erfahren kann, sehr interessante und keinesfalls schönfärberische Bilder über das Leben in der DDR produziert. Er zeigte die realexistierende Arbeiter_innenklasse in der DDR und nicht die Wunschvorstellungen der SED-Führung. Nach der Wende wurde es still um Woelck. Hartnäckig verteidigte er sein kleines Ladenlokal in der Kastanienallee, Ecke Schwedter Straße. Mit seinen Plakaten und Aushängen wurde er in einer Zeit eine Investorenbremse als die Gegend schon längst vollständig gentrifiziert war. Heute ist der Laden verschwunden und das Kapitel hat auch dort seine Landnahme vollendet. Peter Woelck ist im Jahr 2010 im Alter von nur 61 Jahren gestorben. Ein Jahr vor seinem Tod schrieb die Berliner Zeitung unter der Überschrift „Der letzte Mieter (http://www.berliner-zeitung.de/archiv/der-fotograf-peter-woelck-lebt-seit-26-jahren-an-der-kastanienallee--nun-soll-er-wegziehen--er-wuerde-mehr-verlieren-als-seine-wohnung-der-letzte-mieter,10810590,10656950.html ) über Woelck: „ Er braucht das in diesen Tagen, Dinge die ihn spüren lassen, dass er ein Künstler ist, mit einem Werk, das anerkannt ist. Nicht nur ein Mann Anfang 60, der nicht mehr in die Zeit passt, und in die Gegend. Und deshalb weg muss.“

"Der Beklagte wird verurteilt, die Mietwohnung im Erdgeschoss des Anwesens Kastanienallee 36A (...) herauszugeben", steht in der Klageschrift, die der Anwalt des Hausbesitzers ans Amtsgericht Mitte geschickt hat. Noch ist es nur ein Satz, "Antrag", hat der Anwalt die Klage überschrieben. Am 19. August aber ist Verhandlung und dann könnte der Satz zum Urteil werden. Peter Woelck würde wohl mehr verlieren als seine alte Wohnung.“

6 Monate später war Woelck tot. Man kann einen Menschen auch mit einer Wohnung töten, wusste schon Brecht.

Im Tagesspiegel schrieb Ewa Kalwa einen empathischen Artikel (http://www.tagesspiegel.de/berlin/stadtleben/prenzlauer-berg-die-wut-des-fotografen-dinos/1557774.html) über Woelck:

„Der Kontrast könnte kaum größer sein. Draußen, vor den Fenstern zur Kastanienallee, laufen hübsch gestylte junge Touristinnen mit großen Sonnenbrillen und Handy am Ohr vorbei. Während drinnen, in der Erdgeschosswohnung des Fotografen Peter Woelck, Schwarz-Weiß- Fotos von einer Zeit erzählen, die noch nichts wusste von Coffee to go, Designerboutiquen und Biosupermärkten. Wohl aber von einem Leben, das Spuren der Hoffnung und des alltäglichen Kampfes um Würde, aber auch der Enttäuschungen und des Verzichts in die Gesichter älterer Werksarbeiterinnen, Müllmänner und Bauarbeiter gegraben hat.“ Nach seinen Tod fasste Esther Sleevogt in der Taz zusammen, dass Woelck an den kapitalistischen Verhältnissen gestorben ist (http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010/03/17/a0060&cHash=382ad3e798). „Seine Fotos waren realistischer, als es der sozialistische Realismus erlaubte, für den Überlebenskampf im Kapitalismus war Peter Woelck auch nicht geschaffen. Am 1. März ist er verarmt gestorben“.

Zuvor musste noch seine Wohnung ausgeräumt werden. Wäre das in der DDR geschehen, wäre Woelck als Opfer des Unrechtsstaats DDR sicher bekannt geworden. In der BRD ist es ein individuelles Schicksal. Auch in der Ausstellung in der Galerie Laura Mars wird Woelck als Opfer des kapitalistischen Gewaltverhältnisses mit keinem Wort erwähnt. Aber wenigstens versucht man ihn nicht posthum zum DDR-Opfer zu stilisieren.

Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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