Neues von der Grundtorheit des Jahrhunderts

Anti!Kommunismus Ein Buch zeigt wie der Antikommunismus ganz ohne Kommunist_innen auskommt.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Erst kürzlich hat die rechtskonservative polnische Regierung die Umbenennung zahlreicher Straßen und Plätze beschlossen. Darunter sind jüdische Widerstandskämpfer_innen, die von den Nazis ermordet wurden. Die öffentliche Erinnerung an sie soll ausgelöscht werden, weil sie Kommunist_nnen waren. Aber nicht nur in Polen gehört der Antikommunismus bis heute zur wirkungsmächtigen Ideologie. Antikommunismus gab es lange vor der Oktoberrevolution und er hat auch das Ende der Sowjetunion überdauert. Einen guten theoretischen Einblick in die unterschiedlichen Aspekte der antikommunistischen Ideologie liefert ein von der Jour Fixe Initiative in der Edition Assemblage herausgegebenes Buch. Schon seit Jahren widmet sich dieser Kreis mit Veranstaltungen und Buchveröffentlichungen der Weiterentwicklung linker Theorie. Auch die in ihrem jüngsten Buch veröffentlichten sechs Aufsätze werden ihrem Anspruch gerecht, kompaktes Hintergrundwissen allgemein verständlich zu vermitteln. Im ersten Aufsatz begründen Elfriede Müller, Margot Kampmann und Krunoslav Stojakovic, wieso das Ende der Sowjetunion und der anderen nominalsozialistischen Staaten eine neue Welle der Antikommunismus ausgelöst hat und längst überwunden geglaubte totalitarismustheoretische Konzepte wieder aus den Schubläden geholt wurden. Die Autor_innen sehen in der neoliberalen Ideologie einen Antikommunismus, der leugnet, dass es eine Gesellschaft gibt. Doch ihr Aufsatz endet optimistisch: „Darum ist es wichtiger denn je, die Idee des Kommunismus mit konkreten Inhalt zu finden: als Versprechen einer Zukunft, für die es sich zu leben und zu kämpfen lohnt“.

Michael Koltan zeigt in seinen Aufsatz auf, dass Liberalismus historisch immer mit Antikommunismus nicht aber mit Freiheit verknüpft war. Er begründet das mit einem historischen Exkurs in das Frankreich des 19. Jahrhunderts, wo der liberale Politiker Francois Guizot federführend an der Niederschlagung des Lyoner Weberaufstandes und einige Jahrzehnte später der Pariser Kommune beteiligt war. Marx hat ihn deshalb im Kommunistischen Manifest namentlich als einen derjenigen erwähnt, die das Gespenst des Kommunismus jagt. Michael Brie beschäftigt sich mit der Philosophie von Hobbes, in der jeder Bezug auf Gesellschaftlichkeit bekämpft wird. Sein Held ist der Besitzbürger, der sein Eigentum verteidigt. Im Gegensatz dazu benennt Brie die frühsozialistische Bewegung der Digger, die sich für ein Kollektiveigentum an Land und Boden einsetzen und massiver staatlicher Verfolgung ausgesetzt waren. Klaus Holz zeigt in seinem Aufsatz auf, dass nicht nur im NS Antisemitismus und Antikommunismus zusammengehörten. Er verweist auf die Versuche des Theologen Adolf Stoecker, schon in den 1870er Jahren eine antisemitische Partei mit Anhang unter den Arbeiterinnen zu gründen. Die Berliner Sozialdemokratie sorgte damals dafür, dass dieses Projekt schnell scheiterte. Holz geht auch auf den Konflikt zwischen Stoecker und den ebenfalls antisemitischen Historikers Treitschke ein. Der war ein Nationalliberaler, der im Gegensatz zu Stoecker kein Interesse hatte, die Arbeiterschichten in die Auseinandersetzung einzubeziehen. Doch gerade die Gruppe um Stoecker wurde zum Vorbild für die völkische Bewegung des letzten Jahrhunderts, zu der auch die NSDAP gehörte. Am Schluss seines Aufsatzes geht Holz auf die aktuellen rechtspopulistischen Strömungen ein, die sich als Verteidiger Israels im Kampf gegen den Islam aufspielen und trotzdem weiterhin zentrale Elemente des historischen Antisemitismus tradieren. „Der Rechtspopulismus nutzt das herkömmliche Arsenal, d.h. er kritisiert den Wirtschaftsliberalismus nicht, sondern nutzt ihn nur als Beleg für seine antiliberalen Feindbilder: Universalismus, Individualismus, Antinationalismus. Im letzten Kapitel widmet sich der Sozialwissenschaftler Enzo Traverso sehr differenziert dem Stalinismus, der eben mehr war als eine bloße Negierung der Ideen der Oktoberrevolution. Ähnlich wie Napoleon Elemente der französischen Revolution übernommen hat, wurden im Stalinismus nicht nur Zeichen und Symbole der Oktoberrevolution übernommen. Auch die Nomenklatura setzte sich aus ehemaligen Bauern und Arbeiter_innen zusammen, die durch die Revolution in diese Position kamen.

Und es sollte keine Herren und keine Knechte mehr geben

Traverso würdigt die Rolle der Kommunist_innen für den antikolonialen Kampf, der ihnen bei vielen Menschen des Trikonts hohe Anerkennung gebracht hat. Dabei bezieht er sich auch positiv auf die Hinwendung zum antikolonialen Befreiungskampf, die die Bolschewiki schon ab 1920 vollzogen, nachdem sich abzeichnete, dass die erhoffte revolutionäre Erhebung des Proletariats in andere europäischen Ländern ausbleiben würde. Reaktionäre haben alle Versuche in den Jahren 1918 bis 1920 im Blut erstickt und die Sozialdemokrat_innen waren nicht nur in Deutschland an erster Stelle mit dabei. In dieser Lage wurde die Entdeckung der antikolonialen Kämpfe durch die Kommunistische Internationale als Notlösung betrachtet. Dabei wird aber immer ein sehr europäischer Blick angewandt. Traverso hingegen erweitert ihn auf die Unterdrückten im globalen Süden. Die Hinwendung der Bolschewiki und der KomIntern zu den Kämpfen im Trikont verschaffte den Menschen in diesen Ländern ein enormes Selbstbewusstsein. Auch für sie war mit dem Roten Oktober das Wissen in der Welt, dass es keine Herren geben soll und keine Knechte.

Doch wie alle Autor_innen des Buches erteilt auch Traverso jeden autoritären Sozialismusmodellen eine Absage und sieht die Perspektive in Modelle des Anarchismus und der dezentralen Organisierung der 1. Internationale.

Absage an Stalinismus, Respekt für alle, die als Kommunist_innen kämpften

Doch eine solche Absage an den autoritären Staatssozialismus bedeutet eben gerade nicht, den vielen Kommunist_innen die Achtung zu verweigern, die im Kampf gegen den NS in Deutschland und Europa, gegen den Faschismus in Chile und Argentinien und wo auch sonst auf der Welt ihr Leben gelassen haben. Ein Großteil dieser Kämpfer_innen waren zumindest keine erklärten Antistalinist_innen. Viele hatten sicher Zweifel, als sie erfuhren, dass in Moskau in den stalinistischen Schauprozessen bekannte Genoss_innen verurteilt und hingerichtet wurden. Noch nur wenige zogen die Konsequenzen und brachen mit der Kommunistischen Partei. Es war eine Zeit, in der sich bald Faschismus und NS zu einer tödlichen Gefahr in ganz Europa erhoben. Viele waren schon auf der Flucht oder mussten sie bald antreten. Dann gab es noch einmal den heroischen Versuch, in Spanien den anschwellenden braunen Schlamm doch noch zu bannen. Und wieder ging dieser Versuch verloren und wieder hat die Politik der stalinistischen KP zumindest mit dazu beigetragen, dass der Riss in den eigenen Reihen immer größer wurde. Und doch gab es in diesen KP aus aller Welt, Zigtausende, die nach Spanien kamen, um den Faschismus zu bekämpfen. Wer sind wir denn, dass wir heute darüber urteilen? Halten wir uns an Peter Weiss, der in seinen Epos „Die Ästhetik des Widerstands“ ganz klar den Stalinismus verurteilte, aber allen Kommunist_innen, die gegen den Faschismus kämpften, Anerkennung und Respekt entgegenbrachte. Diese Haltung sollten wir uns zu als entschiedene Gegner_innen aller autoritären Sozialismusmodelle zu Eigenmachen.

Wäre wären wir, wenn wir darüber urteilen würden.

Jour Fixe Initiative (Hg.) Anti!Kommunismus . Struktur einer Ideologie, Edition Assemblage, 135 Seiten, ISBN: 978-396042-021-7

Peter Nowak

Infos zum Buch.

https://www.edition-assemblage.de/antikommunismus/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden