Nicht zum Woyzeck werden!

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Impressionen aus der neuen Friedrichshainer Theaterszene

Der Woyzeck von Bücher ist immer wieder und in verschiedenen Fassungen aufgeführt wurden. In der Friedrichshainer Theaterkapelle wurde eine sehr zeitgemäße Version gespielt, die zum Lachen anregt, manchmal auch zum Stöhnen wegen gewisser Längen. Aber insgesamt war es ein Theaterabend, der auch auf lockere Weise zum Nachdenken anregte.

„Meine Damen und Herren, kommen Sie und staunen Sie“, mit diesen Worten animierte die Moderation die Passanten von einen zueiner ambulanten Sauna umgebauten Pritschenwagen, der auf der Boxhagener Straße geparkt war,zu einem Theaterabend der besonderen Art.Dabei war das Stück schon ausverkauft. Aber niemand ging an diesem Abend leer aus. „Dann rücken wir eben noch etwas zusammen“, meinte die freundliche Theaterleiterin. Derweil hatte auf der Straße im wahrsten Sinne des Wortes eine Freakshow begonnen. Verschiedene Friedrichshainer Outlaws, die von Laiendarstellern gespielt werden,Hund Spoke nicht zu vergessen, bewerben sich um die Moderation des Abschiedsfestes, das zum Abschied von Woyzecks Hauptmann im Regimentscasino gegeben wird. Knapp30 Minuten wird im Hof der Theaterkapelle und auf der Straße gespielt. Die spätherbstlich kalte Luft wird auch durch eine Feuertonne im Hof nicht wesentlich erwärmt. Doch das ist auch nicht erforderlich. Die Darbietungen auf den Wagen, den umliegenden Bäumen und der Treppe zum Eingang der Kapelle lassen das Publikum die Kälte vergessen.

Dabei wird auch mal zum Sturm der Erwerbslosen auf die Jobcenter aufgerufen und der Hauptmann, von Klaus Birkenfeld gespielt, gerät in einen heftigen Disput mit dem Regimentsarzt, der von Carsten Wilhelm gegeben wird. Es geht um die Methoden des Tötens. „Früher schlugen wir uns mannhaft, heute verbrennt man die Menschen“, echauffierte sich der Hauptmann. Der Arzt ließ derweil tote menschliche Versuchungskaninchen im Garten entsorgen.

Dann ging es hinein, in die zum Casino umgebaute Kapelle. An hölzernen Tischen wurde Bier ausgeschenkt. Knapp zwei Stunden wurden zahlreiche Soldatenwitze erzählt, die Schauspieler gaben ein beachtliches Repertoire an Volksliedern zum Besten gegeben, gelegentlich wurde ein kurzes Video gezeigt. Hier wurden die gesellschaftlichen Strukturen vorgespielt, die die Woyzecks produzieren . Immer wieder fallen bedenkenswerte Sätze:

„Wir gemeinen Leute haben keine Tugend, nur Fleisch und Blut“ oder „Die Äpfel wachsen allein am Baum, man muss sie nicht ermutigen“. Hier hat das Stück auch gelegentlich Längen. Doch langweilig wird es nie, weil immer wieder neue Schwänke und Lieder angestimmt werden.

Am Ende wird dann noch einmal beste Theaterkunst geboten. Woyzeck ersticht Maria, seine Geliebte, auf der Empore über den Eingang der Theaterkapelle. Das Kunstblut rinnt die Wände herab und die Stille nach dem Stich wird durch den verdienten Applaus für alle Darsteller und Darstellerinnen, einschließlich des Hundes Spoke beendet.

Neue Friedrichshainer Off-Szene

Woyzecken -Bürger, Trinker, Antifa – die im Titel anklingende Aktualität des nun fast zweihundert Jahre alten Stückes wurde an dem Theaterabend eingelöst. Der Abend machte auch einmal mehr deutlich, dass im Berliner Bezirk Friedrichshain eine Form von Theater präsentiert wird, die ein Publikum erreicht, dasmit den vielfach in Konventionen erstarrten Darbietungen der konventionellen Bühnen wenig anfangen kann. Diese junge Friedrichshainer Theaterszene wäre wohl ohne die Off-Künstler, die in den 20 Jahren rund um die dortige Hausbesetzer groß geworden sind, nicht denkbar gewesen. Mittlerweile sindvielen der Künstler, die kleinen Läden in den ex-besetzten Häusern, die auch Experimentierstätten für unkonventionelles Theater waren, zu klein geworden. In Spielorten, wie der Theaterkapelle, setzen sie nun Impulse für eine neue Friedrichshainer Off-Szene,in die auch die Lehrerin vom Gymnasium nebenan gerne besucht. Die Friedrichshainer Woy-Zecken sind ansehnlich geworden, wenigstens im Theater. Zum Woyzeck lassen sie hoffentlich auch auf der Bühne des Alltags nicht zurichten.


Peter Nowak

Weitere Infos zum Programm der Theaterkapelle: www.theaterkapelle.de/

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Geschrieben von

Peter Nowak

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