Nietzsche, Wagner und Gilda

WagnerNietzsche Am Wochenende inszinierte Santiago Blaum das Stück Wagner contra Nietzsche, das beide deutschnationale Ikonen dekonstruierte

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Nietzsche contra Wagner heißt eine Spätschrift von Nietzsche, in der der Philosoph kurz vor seinen gesundheitlichen Zusammenbruch mit Wagner abrechnete, ohne sich freilich von dessen reaktionären Ideologie wirklich getrennt zu haben. Beide haben sie zu jener Zerstörung der Vernunft in Deutschland beigetragen, die der marxistische Philosoph Georg Lukacs in einem dreibändigen Werk gleichen Namens prägnant kritisiert hat. Dass hält auch offensichtlich viele sich als links verstehende Menschen nicht davon ab, sich ganz selbstverständlich als Nietzsche- oder Wagnerfans zu outen. Selbst die Taz-Kommentatorin Kerstin Decker, von der man schon Schlaues gelesen hat, reihte sich kürzlich http://www.taz.de/!92181/ in diese fragwürdige Phalanx ein, und raunte dabei typisch wagnerianisch von „unserer Unerlöstheit“ in der Demokratie. Auch nach mehrmaligen Lesen erschließt sich mir nicht, was Decker damit vielleicht sagten wollte. Vielleicht hat sie zu viel Wagner gehört? Einen guten Kontrast lieferte eine 90minütige Musikrevue des argentinischen Komponisten Santiago Blaum, die am vergangenen Wochenende dreimal im Hebbel am Ufer (HAU2) aufgeführt wurde und deutlich machte, wie man sich mit Wagner und Nietzsche auseinandersetzen kann, ohne in raunenden Ton zu verfallen.

Von Nuevo Germania ins 3. Reich

Im Mittelpunkt des Stücks stand das Ehepaar Bernhard und Elisabeth Förster. Sie gehörten zu den vielen völkischen Agitator_innen, die sich Ende des 19 Jahrhundert in Deutschland tummelten. Weil Bernhard Försters Antisemitismus selbst für das damalige wilhelminische Deutschland untragbar war, wurde er als Lehrer entlassen und das Ehepaar gründete in Paraguay eine völkische Kolonie, die sie Nuevo Germania nannten. Nachdem das Projekt gescheitert war und nichts als einen Schuldenberg hinterlassen hatte, brachte sich Förster um und seine Witwe trug bald ihren Geburtsnamen Nietzsche als Zusatz. In Weimar stilisierte sie sich zur deutschnationalen Ikone und verstand es, ihren toten Bruder zum Vordenker eines Nuevo Germania zu stilisieren, das sich bald als das 3. Reich herauskristallisieren sollte. Seit Langem streiten sich die Gelehrten darüber, welchen Anteil Nietzsche selber daran hatte, dass er völkisch vereinnahmt wurde oder ob alles nur an den unbestreitbaren Retuschen lag, die seine Schwester posthum an seinen Schriften vorgenommen hatte. In dem Theaterstück liegen zwischen beiden Figuren darstellerisch Welten. Während Elisabeth Förster ganz als deutschnationale Ikone auf Rollschuhen inszenierte, die einen zum Denkmal erstarrten Wagner anhimmelte gab Nietzsche einen etwas wunderlichen Freak, der auch ein Soziologiestudent im 20ten Semester hätte sein können, wie man sie im Zuge der Verbachelerung des Studiums kaum noch findet.

Von der Antifa zur Chumbaband

Während dieser Nietzsche in einer Hassliebe zu Wagner und seiner Schwester verbunden war, ist die wahre Antipodin von Elisabeth Förster-Nietzsche die argentinische Sängerin Miriam Bianchi, die nach ihrem Unfalltod 1996 als Gilda zu einem popkulturellen Phänomen mit religiösen Einschlägen wurde. Im Freitag gab es dazu eine interessante Reportage http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-anbetung-der-heiligen-gilda. Während man in dem Artikel viel über den Kult nach dem Tod der Sängerin und wenig über ihr Denken vor dem Tod erfährt, ist die Gilda im Theaterstück eine Art Chica mit Soziologiediplom. Sie wirft mit Zitaten aus dem akademischen Diskurs um sich und wehrt sich anfangs zunächst verbal und bald auch handgreiflich gegen die völkischen Tiraden der Elisabeth Förster. Eine ihrer Kolleginnen sagte gar, sie sei über die Antifa zu der Chumba-Band gekommen war. Einer der Höhepunkte des Abends war ein Tribunal gegen Wagner, in dem ihm ein Plagiat vorgeworfen wurde.

Die "liberale" Rassistin

Gegen Ende flacht die Handlung merklich ab. Elisabeth Förster und Gilda freunden sich an und Nietzsche wird im wahrsten Sinne das Blut aus dem Körper gesaugt. Das Hauptproblem aber liegt in der Darstellung von Elisabeth Förster, die in typisch postmoderner Diktion natürlich nicht als die völkische Agitatorin, die sie war, stehen gelassen werden durfte. Schließlich muss alles ambivalent und in der Schwebe bleiben, klare Positionierungen sind in der postmodernen Kunsttheorie verpönt und so wurde eine Elisabeth Förster kreiert, die auch liberal sein konnte und gar keine Rassistin sein wollte, wenn sie doch nur dafür eintrat, dass der Deutsche nicht fremd im eigenen Land sein soll. So verpackte sie ihr rechtes Weltbild so, dass auch der Zeit-Leser zumindest insgeheim nicken konnte. Daher stellte sich schon die Frage, dass der Applaus, der ihr aus dem Publikum entgegen gebracht wurde, nur den künstlerischen Darbietungen galt oder ob nicht manche endlich auch einmal im geschützten Theaterraum Thesen zustimmen wollten, mit denen sie in der Öffentlichkeit nie in Verbindung gebracht werden wollten. Insoweit war die Aufführung auch eine Lektion in die Verführungskraft extrem rechter Theoreme in Kreisen, die nun wirklich nichts damit zu tun haben wollen, aber doch mal sagen dürfen wollen…

Peter Nowak

http://www.hebbel-am-ufer.de/programm/spielplan/blaum-nietzsche-contra-wagner/

Fotos Eine Gruppe von Musikern, Schauspielern und Tänzern um den Regisseur Santiago Blaum beschäftigt sich mit einer historischen Wahnvorstellung. Der politische Agitator Bernhard Förster und Friedrich Nietzsches Schwester Elisabeth wollten vor mehr als 100 Jahren im Urwald Paraguays die Utopie einer “reinen Rasse” verwirklichen. Das “Nueva Germania” wird auf der Bühne als Nicht-Ort, als Traum und als TV-Show wiederbelebt. Eine glühende Wagner-Verehrerin vermischt im Duett mit dem lateinamerikanischen Cumbia-Popstar Gilda die Klänge von Richard Wagner mit Populärmusik.
ca. 90 Min Inszenierung / Musikalische Leitung:Santiago BlaumVon und mit:Eva Löbau, Tatiana Saphir, Jessica Gadani, Sebastián Arranz, Elly Fujita, Tamara Saphir, Jan Sebastian Suba, Rahel SavoldelliMusik:Santiago Blaum Band Akkordeon:Timofey SattarovGitarre:Julian DattaE-Bass / Kontrabass:Francisco HidalgoPerkussion:Tayfun Schulzke Regieassistenz:Paola Bascon, Luz AlgrantiAusstattung:Cristina NyffelerAusstattungs-assistenz:Belle SantosLichtdesign:Benny HauserVideodesign:Pablo DerkaMusikautomaten:Tobias EulerRecherche / Textmitarbeit:David MagnusSounddesign:Stephan WöhrmannPresse und Produktion:björn & björn

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Geschrieben von

Peter Nowak

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