Nur eine Schale Nudelsuppe

Staging Cambodia Am Wochenende gab ein Festival des Theaters "Hebbel am Ufer" Einblick in die junge Kunstszene Kambodschas. Michael Laubs Porträtserie Battambang war eines der Highlights

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ein Ausschnitt aus der Porträtserie "Battambang" (Dauer: 1:30, Regie: Michael Laub)
Ein Ausschnitt aus der Porträtserie "Battambang" (Dauer: 1:30, Regie: Michael Laub)

Bunte Fotos, auf denen Menschen unterschiedlichen Alters mit einer Gesichtsmaske in ihren Wohnungen posieren, erregten am Wochenende die Aufmerksamkeit der Passant_innen, die die am Halleschen Ufer im Berliner Kreuzberg vorbeikamen. Die Installation des kambodschanischen Künstlers Khvay Samnang war an den Außenwenden des Theaters HAU 2 angebracht. In allen drei Spielorten des HAU fand am Wochenende unter dem Titel „Staging Cambodia“ ein dreitägiges Festival stattfand. Drei Tage lang wurde mit Videos, Filmen und Konzerten die neue, junge kambodschanische Kultur vorgestellt. Bisher assoziieren die meisten Menschen in Deutschland mit Kambodscha nur Pol Pot und die Rote Khmer. Schon die Vorgeschichte der Roten Khmer, nämlich der illegale Krieg der USA gegen Kambodscha, ist hierzulande kaum bekannt.

Nun ist es keinesfalls so, dass die kambodschanische Geschichte der letzten vier Jahrzehnte im Land selber in Vergessenheit geraten ist. Dass zeigte Michael Laubs Porträt Serie Battambang, die gleich zweimal im fast ausverkauften HAU gezeigt wurde. Der in Belgien geborene Choreograph hat in vielen Ländern der Welt Porträtserien erstellt. Es ist ein besonderer Zugang zu Land und Leuten. So vermittelt die Porträtserie Battambang in 90 Minuten ein erstaunlich vielfältiges Panorama über das heutige Leben in Kambodscha.

Da sind Männer und Frauen, die betonten, aus welch armen Verhältnissen sie kommen und die Tränen ausbrechen, wenn sie über ihr Leben und das ihrer Verwandten berichten. Besonders beeindruckend ist das Porträt eines vielleicht fünfzigjährigen Mannes, der über den Tod seines Bruders, der an Aids gestorben ist, nicht hinwegkommt. Mehrmals wiederholt er fassungslos den letzten Wunsch des Totgeweihten, der sich eine Schale Nudelsuppe gewünscht hat. „Eine Schale Nudelsuppe, das ist alles, was er sich gewünscht hat“, wiederholt er gleich mehrmals. Er kann sich nicht beruhigen und bricht ab. In diesem Worten kommt das ganze Elend eines Subalternen zum Ausdruck, der befürchtet, am Ende ebenfalls nur einem Teller Suppe als letzte Mahlzeit zu bekommen.

Auch mehrere Frauen klagen über ihr elendes Leben zwischen Armut, männlicher Gewalt und in der Not geborener Sexarbeit. Hier wird aber auch deutlich, dass diese Menschen eine Vorstellung von einen anderen Leben hatten, in dem sie sich zumindest keine so existentiellen Überlebensfragen stellen müssen und dabei bitter enttäuscht worden sind.

Indivdualisierungstendenzen der kambodschanischen Jugend

Interessant sind auch die Porträts der jungen Leute, denen der US-Krieg und die Rote Khmer-Herrschaft nur aus Erzählungen bekannt sind. Hier zeigte sich schon optisch, dass eine neue Generation heranwächst, die sich nach Individualität sehnt. Während die mittlere und ältere Generation in Gestik und Kleidung erkennbar auf Unauffälligkeit setzt, nutzen die Jüngeren auch die Frisuren, um ihre Individualität auszudrücken. Konnte man in unseren Breiten jahrelang mit einer Punkfrisur Menschen ärgern, so wird in Kambodscha eine Frisur a la Bob Marley als Bruch der gesellschaftlichen Konventionen aufgefasst. Das berichtet ein junger Mann, der diese Frisur stolz trägt und auch nicht den Eindruck macht, als würde er sie in der nächsten Zeit ändern wollen.

Manchmal hätte man gern noch etwas mehr über die porträtierten Personen erfahren. So fragt man sich, ob der vorgestellte Einwanderer aus dem afrikanischen Kontinent eine Ausnahme ist, oder ob es eine größere afrikanische Migration nach Kambodscha gibt. Auch den ehemaligen US-Militär, der in Asien und Lateinamerika dienstlich unterwegs war, bevor er sich in Kambodscha niederließ, würde man gerne fragen, ob er seinen Besuch als eine Art Entschuldigung für die Verbrechen des US-Krieges in dem Land begreift und wie die kambodschanische Gesellschaft auf ihn reagiert.

Insgesamt hat die Porträtserie wie das dreitägige Festival einen guten Einblick in das Leben im Kambodscha gegeben. Auch wer das Festival verpaßt hat, wird in einer kleinen Publikation gut über die Arbeitsweise der Künstler_innen mit Bild und Text informiert. Michael Laub und der am Festival beteiligte Flmemacher Marc Ebel berichten über ihren Zugang zu Land und Kunst. Der Kulturredakteur Jens Balzer steuert einen schlauen Essay zur Geschichte des Songs "Holiday in Cambodia" bei, in dem die Punk-Combo Dead Kennedy in den späten 70er Jahren des letzte Jahrhunderts gegen wohlsituierte anpolitisierte Mittelstandkids in den USA polemisierten. Etwas depremierend ist schon, dass sich heute die einzelnen Band-Mitglieder vor Gericht darüber streiten, ob sie den Song gewinnbringend für einen Werbeclip der Hosenmarke Levis nutzen können.

Weil der Sänger Jello Biafro diese Kommerzialisierung ablehnt, klagen die übrigen Band-Mitglieder wegen der entgangenen Gewinne. Nur ärgerlich, dass auch ein so schlauer Kopf wie Balzer nicht ohne eine Plattitüde gegen diejenigen auskommt, "die noch Ende der 70er Jahre das Regime der Roten Khmer immer noch als ein interessantes sozialistsiches Experiment betrachteten". Dabei wäre es gerade nötig, die egalitär-kommunistischen Vorstellungen der Roten Khmer näher zu betrachten.

Sie ähnelten chiliastischen Gleichheitsutopien von religiösen Ketzerbewegungen im ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit in Europa, wie den Widertäufern. Mit den Kommunismusvorstellung von Marx hatten sie hingegen nichts zu tun, auch wen einige der Protagonist_innen der Roten Khmer während ihrer französischen Studienzeit oberflächlich mit den Nominalsozialismus in Berührung kamen. Eine solche Betrachtung der Utopien der Khmer, die eine bäuerliche Massenbewegung gewesen ist, kann eine klare Kritik an dieser Art des bäuerlichen Elendskommunismus leisten, nicht aber eine ritualisiertes Erschauern über die Gräuel von Pol Pot. Es gibt mittlerweile auch einige Filme, die den radikalen Egalitätsanspruch der Roten Khmer ernst nehmen und die auch eine Erklärung versuchen, warum ein Versuch ihn in einen Land wie Kambodscha durchzusetzen, im Desaster enden musste. Dass wäre sicher Thema für ein weiteres Kambodscha-Festival.

Die aktuelle politische Situation wurde ausgeblendet

Nur eine kleine Enttäuschung bleibt über das Kunstereignis vom Wochenende. Leider wurden die jüngsten politischen und sozialen Entwicklungen in dem Land von dem Festival kaum aufgegriffen. Seit der letzten Parlamentswahlen hat sich dort eine starke zivilgesellschaftliche Opposition herausgebildet. In den letzten Monaten hat sich zudem der Arbeiter_innenprotest verstärkt.

Vor allen in den Textilfabriken, in denen zu Niedrigstlöhnen für den Weltmarkt produziert wird, entwickelte sich in den letzten Wochen eine Streikbewegung, die auch mit der zivilgesellschaftlichen Opposition kooperiert. Vor einigen Wochen ließ das autoritäre Regime erstmals in die Menge schießen. Mindestens fünf Tote und zahlreiche Verletzte waren die Folge. Dazu hätte man sich vom HAU einen künstlerischen Beitrag gewünscht. Schließlich gab es dort in der Vergangenheit immer auch Positionen zu aktuellen Protesten und gesellschaftlichen Entwicklungen.

Peter Nowak

Programm des dreitägigen Festivals Staging Cambodia:

http://www.hebbel-am-ufer.de/programm/festivals-und-projekte/staging-cambodia/

Infos zur Porträtserie Battambang

http://phareps.wordpress.com/2012/12/10/portraits-series-battambang/

Hinweise zu jüngsten Arbeiter_innenwiderstand in Kambodscha

http://www.labournet.de/category/internationales/kambodscha/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden