Obdachlos mitten in deutschen Städten

Eisfabrikbewohner Seit Wochen kämpfen EU-Bürger_innen in Berlin gegen Obdachlosigkeit. Berliner Medien sellen Unterstützer_innen an den deutschen Pranger

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Heutebekam der Berliner Sozialsenator Mario Czaja Besuch. Es sind EU-Bürger_innenaus Osteuropa, die seit Wochen von einer Notunterkunft zur nächsten verwiesen werden und keine Wohnung bekommen. Mehr als 3 Jahre lebten dieMenschen in der Ruine der ehemaligen Eisfabrik in Berlin-Mitte. Sie hatten sich in der zugigen Ruine, in der es weder Wasser noch Strom gibt, Hütten gebaut, in denen sie überleben können. Der private Besitzer des Geländes wollte die Menschen nicht räumen zu lassen, wenn sie anschließend obdachlos auf der Straße stehen. Die Politik wiederum verlangte vom Eigentümer die Räumung. Schließlich habe er die Eisfabrik nicht so unzugänglich gemacht, dass kein Mensch dort reinkommen kann. Nachdem das Berliner Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren entschieden hat (http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/vg/presse/archiv/20131223.1345.392959.html), dass der Eigentümer das Gebäude aus Haftungsgründenzu sichern und die Obdachlosen zum Verlassen des Gebäudes aufzufordern habe, schien die Räumung der Menschen unmittelbar bevor zu stehen. Hier wird auch wieder einmal das Paradoxon einer Gerichtsentscheidung deutlich, die den Menschen, die dort Zuflucht gesucht haben, ihre schlechte Behausung nehmen will, ohne ihnen eine Alternative zu bieten.


Wohnen statt Notunterkünfte

Genau das forderndie Bewohner seit Wochen. Sie betonen selber, dass sie die Eisfabrik für ein Provisorium halten und fordern bezahlbare Wohnungen. Deshalb haben sie sich auch so vehement dagegen gewehrt, nun als Notfälle auf Obdachlosenunterkünfte verteilt zu werden.Unterstützung bekamen sie dabei vom Bündnis „Zwangsumzüge gemeinsam verhindern,dass auch mehrmals gemeinsam mit den Bewohnern vorund im Rathaus Mitte gegen die drohende Obdachlosigkeit der Bewohner protestierte

EineGruppe der Bewohner_innen hatte eine vorübergehende Unterkunft in einer nahen Kirche bekommen. Obwohl so die dringenden Überlebensmöglichkeitender Menschen noch keineswegs gesichert sind, wurde von Politiker_innen die Forderung erhoben, die Botschaften der Herkunftsländer der Betroffenen sollen mit für die Kosten aufkommen. Dabei wird die Verantwortung der deutschenPolitik selten thematisiert, die mit ihrer Austeritätspolitik dafür sorgt, dass die Armut in vielen europäischen Ländern zunimmt und selbergestärkt aus der Krise hervorgeht.

Eine Alternative zu Polizei und Caritas

Dass die Behörden für die Menschen, die sich hier ein besseres Lebenerhoffen, auch Wohnungen zur Verfügung stellt, wird nicht von den Medien, dafür aber vom Berliner Bündnis gegen Zwangsräumungen unterstüzt.Für solche an den Menschenrechten orientierten Forderungen werden die Aktivist_innen von Berliner Medien nicht etwa als gelobt sondern diffamiert.Den Anfang machte die Kommentatorin der Berliner Zeitung Karin Schmidl:„Denn die etwa 50 Menschen, die in der Eisfabrik hausen, haben (wie die Flüchtlinge in Kreuzberg auch) sehr kreative Unterstützer. Diese Aktivisten, unter ihnen eine ehemalige Baustadträtin von Mitte, wollen im „Kampf gegen das Schweinesystem“ vor allem eins: im Gespräch bleiben. Auch das haben alle drei Elendsorte in Kreuzberg und Mitte gemeinsam – das verantwortungslose Ausnutzen hilfloser Menschen für die eigenen Zwecke.“

Warum setzt sich Schmiedl nicht in der Berliner Zeitung dafür ein,dass in Berlin keine „hilflosen Menschen“ mehr von Notunterkunft zu Notunterkunft weitergereicht werden sondern endlich Wohnungen erhalten, wäre die eigentlich interessante Frage. Hier versagen Zeitungen wie die Berliner Zeitung auf ganzer Linie.

Völkischer Beobachter BZ bedient den rechten Rand

Das Bündnis gegen Zwangsräumungen ließ sich allerdings nicht einschüchtern und unterstützte die obdachlosen EU-Bürger_innen weiter im Kampf um Wohnungen. Nachdem sie in der letzten Woche gemeinsam ein Go-In beim Berliner Sozialsentor veranstalteten, legte ein völkischer Beobachter aus Berlin nach.Die BZ veröffentlichte die Fotos von zwei Aktivist_inen des Zwangsumräumungs-Bündnisses unter der Schlagzeile: „Hinterleute –Aktivisten organisieren Protest“. Besonders angegriffen wird dabeiDirk Stegemann, der als jahrelanger Antifa-Aktivist schon seit Jahren auf diversen Webseiten der extremen Rechten auf dem nationalen Pranger steht. Dass die BZ jetzt diese Aufgabe übernimmt, ist bei einem Medium nicht verwunderlich, dass eine eigene Rubrik für den deutschen Volkszorn unterhält. Dort kippt Gunnar Schupelius regelmäßig unter der Rubrik „Der gerechte Zorn“ seine braune Jauche auf alle aus, die der deutschen Volksgemeinschaft schon immer verdächtigt waren. Dort können sich die Rechtsaußen aller Couleur ihre Argumente abschreiben, wenn Schupelius etwa in einer Kolumne hetzt, für eine von Geflüchteten besetzte Schule gebe der Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain Geld aus, während die übrigen Schulen verfallen. Dann passt es nur zu gut, wenn unter dem Artikel (http://www.bz-berlin.de/thema/schupelius/mehr-geld-fuer-besetzte-schule-als-fuer-andere-article1799645.html) die Anzeige einer deutschen Vereinigung für eine christliche Kultur e.V.“ geschaltet wird, die unter dem Motto „Für den Schutz der Kinder, der Familie und der christlichen Wurzeln Deutschlands“ gegen Homosexualität, Abtreibung und eine liberale Schulpolitik agiert.

Doch die Kampagne gegen die Unterstützer_innen der Geflüchteten hat noch einen anderen Zweck. Sie werden deshalb attackiert, weil siedeutlich mache, dass es eine Alternative zu Repression und Caritas im Umgang mit den Menschen geben kann, die aus anderen Ländern nach Deutschland kommen, weil sie sich hierein besseres Leben aufbauen wollen. Dabei hat fast jede Stadt in Deutschland ihre Eisfabriken, doch oft sind die Zustände für die Menschen, die dort leben müssen, noch unerträglicher. In Frankfurt/Main bleibt für Obdachlose aus verschiedenen Ländern oft nur ein abtgetrennter Bereich anU-Bahn-Geländen. In anderen Gegenden sind es baufällige Gebäude. Sobald diese Menschen sich nicht als hilfsbedürftig auf die Caritas verweisen lassen, sondern Rechte einfordern und dabei unterstützt werden, beginnt die Kampagne von Politik und Medien. So soll verhindert werden, dass sich eine wahrnehmbare politische Bewegung entwickelt, die das Menschenrecht auf Wohnen, Bildung, Gesundheit, Mobilität unabhängig von Nation und Aufenthaltsstatus einfordern. Der Kampf der ehemaligen Bewohner_innen der Berliner Eisfabrik ist also durchaus exemplarisch. Er macht deutlich, ob es Politik und Medien in Berlin gelingt, Menschen bewusst in der Obdachlosigkeit zu halten.

Peter Nowak

Armutsflüchtlinge sollen draußen bleiben

Aus der Politik werden neue Forderungen nach Abschottungen auch innerhalb der EU laut. So erklärte der CSU-Politiker Markus Ferber http://www.markus-ferber.de/) in einem Interview

(http://www.deutschlandfunk.de/armutszuwanderung-ferber-csu-beim-asylrecht-gibt-es-keinen.694.de.html?dram:article_id=273067) mit dem Deutschlandfunk, dass die europäische Freizügigkeit nicht für alle gelten soll.

„Das Problem ist sehr gravierend, weil es sich hier um Menschen handelt, die einen Rechtsanspruch für sich in Anspruch nehmen, den sie nicht haben, der ihnen aber leider auch zum Teil von deutschen Gerichten gewährt wird. Wir haben ja mittlerweile Urteile von Oberlandesgerichten, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, die solchen Menschen Zugang zu unserem Sozialsystem gewähren, obwohl das nach europäischem Recht nicht vorgeschrieben ist. Wir haben jetzt eine Vorlage vor dem Europäischen Gerichtshof durch das Bundessozialgericht gehabt und hier wird die Frage zu entscheiden sein. Das europäische Recht ist eigentlich eindeutig: Jeder Bürger der Europäischen Union hat das Recht, 90 Tage in einem anderen Land sich aufzuhalten, um einen Job zu suchen. Wenn er in diesen 90 Tagen keinen Job findet, muss er wieder zurückgehen. Er hat keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Wenn einer das sehr oft macht, dann kann sogar eine Sperrung dieser Freizügigkeit erwirkt werden.“

Ferber und andere Konservative ziehen eine Konsequenz aus dem Urteil (http://www.lsg.nrw.de/behoerde/presse/Aktuelle_Pressemitteilungen_des_LSG/Hartz-IV_Anspruch_auch_fuer_EU-Buerger_aus_Rumaenien/index.php) des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, nach dem auch rumänische ZuwandererAnspruch auf Hartz IV-Leistungen haben, wenn sie länger als 90 Tage in Deutschland leben. Sie wollen diese Menschen schneller aus Deutschland abschieben. Ferber bedient mit seiner Aussage, dass es nicht europäisch ist, in deutsche Sozialsysteme einzuwandern, Ressentiments, die von Gruppierungen viel weiter rechts schonlange ventiliert werden. Damit sich ein Szenario, dass wir aus der Geschichte von Zuwanderungen nach Deutschland schon lange kennen. Vor mehr als 120 Jahren wurden gegen polnische Zuwanderer solche Kampagnen gefahren und in der Weimarer Republik galten einkommensschwache osteuropäische Jüdinnen und Juden nicht nur bei den Nazis als Feindbild. Bereits 1923, auf dem Höhepunkt der Inflationsperiode, wurde im Berliner Scheunenviertel von rechten Gruppen ein mehrtägiges Pogrom (http://www.berliner-zeitung.de/archiv/vor-achtzig-jahren-wurden-die-juden-des-scheunenviertels-opfer-eines-pogroms-es-begann-am-arbeitsamt,10810590,10127312.html)gegen diese Menschen inszeniert.

Für eine Gewerkschaftsmitgliedschaft ohne Migrationskontrolle

Die Antwort zivilgesellschaftlicher Gruppierungen müsste darin bestehen, die osteuropäischen Migranten in bestehende Kämpfe um Wohnraum und ein menschenwürdiges Leben für Alle zu integrieren. Während des europäischen Aktionstages für das Recht auf Wohnenhttp://europeandayofactionforhousingrights.wordpress.com/) am 19. Oktober beteiligten sich auch Menschen aus mehreren osteuropäischen Ländern in Berlin an einer Hausbesetzung (http://wirbleibenalle.org/?p=930). Wichtig ist auch eine Auseinandersetzung, die zurzeit in der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di (https://www.verdi.de/)um eine Gewerkschaftsmitgliedschaft unabhängig vom Aufenthaltsstatus (http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2013/11/lampedusa_hh_adverdi.pdf)geführt wird. Nur so kann es den Menschen gelingen, dem Status der Geflüchteten und Geduldeten zu entfliehen. Auch dafür gibt es historische Erfahrungen. Die Ressentiments gegen polnische Arbeitsmigranten Ende des19 Jahrhunderts verschwanden größtenteils, als man in großen Streiks gemeinsam für höhereLöhne und ein besseres Leben stritt.

Peter Nowak

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden