Ca. 3000 Menschen sind unter dem Motto „Krach schlagen statt Kohldampf schieben“ am vergangenen Sonntag in Oldenburg auf die Straße gegangen. Sie fordern etwas sehr Realistisches. 80 Euro mehr im Monat für Hartz IV-Empfänger. Seit Wochen wird in den Medien und der Politik über die neuen Regelsätze diskutiert.
In Oldenburg haben sich am Sonntag die Betroffenen lautstark in die Debatte eingemischt. Sie hatten Töpfe und Fässer mitgeführt, auf denen sie getrommelt haben. Damit haben sie eine Aktionsform eingeführt, die in Lateinamerika seit Jahren sehr beliebt ist. Aber es war nicht nur das Töpfe schlagen, dass den Reiz der Oldenburger Demonstration ausmachte. Es war auch die Bündnisbreite, die spezifische Oldenburger Mischung, die viele aus der ganzen Republik angereisten Erwerbslosen motivierte.
Denn sie reichte von Aktivisten des Autonomen Zentrum Alhambra über Mitglieder verschiedener Einzelgewerkschaften bis zu Milchbauern. Die Bündniskonstellation ist kein Zufall. Denn die Forderung nach höheren Regelsätzen kommt auch den Milchbauern zugute. Dann wären Erwerbslose nicht auf die Billigangebote von Discountern angewiesen. Höhere Preise könnten dafür sorgen, dass auch die Milchbauern mehr Geld für ihre Produkte bekämen.
. „Mit Hartz IV sind wir gezwungen, bei Aldi und Lidl einzukaufen. Wir wollen aber nicht für den Preiskrieg der Discounter missbraucht werden“, betonte eine Vertreterin einer unabhängigen Erwerbslosengruppe aus Oldenburg unter großen Applaus. So wie die billigen Milchprodukte, sind Erwerbslose auch günstige Klamotten, auf preiswertes Obst etc. angewiesen. Unter welchen Bedingungen die Waren produziert werden, spielt für sie dann natürlich kaum eine Rolle.
Wie die Milchbauern so profitieren auch aktive Gewerkschafter von höheren Regelsätzen für Erwerbslose. Die sind dann nicht mehr so einfach gezwungen, Dumpinglöhne um fast jeden Preis zu akzeptieren. Damit aber wird ein Unterbietungswettbewerb in Gang gesetzt, der schon längst auch die Löhne der Lohnabhängigen ins Rutschen bringt.
Wenn die Oldenburger Mischung Schule machen würde, könnte ein wichtiges Herrschaftsinstrument, das ständige gegeneinander ausspielen, stumpf werden. Genau darin liegt die besondere Qualität der Oldenburger Demonstration. Wenn jetzt ganz Schlaue darauf verweisen, dass 3000 Demonstranten für eine bundesweite Demonstration keine große Menge sind, geht das in der Realität vorbei. Denn die Hartz IV Politik hat die Menschen entmutigt und entmündigt, sie immer wieder mit Terminen in Jobcentern überhäuft, dass bei vielen gar kein Gedanke mehr an Widerstand aufgekommen ist. Mit Aktionen wie Zahltag oder „Keiner geht allein zum Amt“ wurden erste Schritte der Selbstermächtigung gemacht. Die Demonstration am Sonntag könnte ein weiterer großer Schritt werden, wenn die Oldenburger Mischung auch in anderen Teilen der Republik Schule macht.
Peter Nowak
Kommentare 4
Gute Idee, diese Art von Demo. Danke für den Bericht.
Nachtrag:.
Am Tag der Demonstration gab der Fraktionschef der Linken Gregor Gysi der Taz ein Interview über den Zustand seiner Partei und der sozialen Bewegungen.
Frage der Taz: Warum protestiert keiner gegen die Mini-Erhöhungen bei Hartz IV?
Antwort von Gysi:
Hartz-IV-Betroffene schämen sich zum Teil für ihre Situation. Viele verschweigen es ihren Nachbarn. Manche haben resigniert. Diese Schicht geht im Moment nicht auf die Straße. Aber das kann sich auch schnell ändern. Die Unzufriedenheit ist noch immer riesig.
Mit keinem Wort wurde die Erwerbslosendemonstration in Oldenburg auch nur erwähnt. Ist es politisches Kaklül oder einfach nur Informiertheit, dass Gysi nicht die Gelegenheit nutzte,um auf die Demo hinzuweisen? Jedenfalls wird damit deutlich wie hoch die Entfernung von sozialer Bewegung und Partei ist.
Siehe zu dem Interview mit Gysi:
www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=in=2010%2F10%2F09%2Fa0170=fcc21d0d3a
Die Filmdoku über die Demo in Oldenburg ist inzwischen online bei:
www.fokus-oldenburg.de/
Natürlich sind 3000 Leute nicht viel, der Mix macht's! Wenn nach Milchbauern auch Handwerks- und Kleinbetriebe kapieren würden das diese 400 Euro- ,und die noch schlimmeren 1 Euro Jobs, als erstes abgeschafft, verboten, gehören weil sie kontraproduktiv sind, dann kann sich tatsächlich eine breitere Basis entwickeln die der andauernden Entwicklung zum Lohndumping entgegen wirken. Ich persönlich glaube das Forderungen zu mehr Geld bei HarzIV nicht den gewünschten Effekt haben. Irgendjemand muss ja das Geld aufbringen das jemand anderes erhält. Nur die Kaufkraft von Menschen ohne Arbeit zu erhöhen ist eine Spirale. Fair bezahlte Arbeit ist für jedes Unternehmen erschwinglich und vergrößert Wohlstand für alle. Dann können die, die wirklich keine Arbeit finden aus den Transaktionssteuern der Banken bezahlt werden...