Pasolini als linker Dokumentarist

"12. Dicembre" Ein weitgehend unbekannter Pasolini-Film erinnert an die Strategie der Nachkriegszeit, mit der die herrschende Klasse Italiens den linken Aufbruch verhindern wollte

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Der Hauptsitz der Banca Nazionale dell'Agricoltura in Mailand nach dem rechtsterroristischen Bombenanschlag am 12. Dezember 1969
Der Hauptsitz der Banca Nazionale dell'Agricoltura in Mailand nach dem rechtsterroristischen Bombenanschlag am 12. Dezember 1969

Foto: AFP/Getty Images

45 Jahre ist es nun her, dass ein von Faschisten verübter Bombenanschlag auf eine Mailänder Bank 17 Menschenleben und über 80 Verletzte forderte. Ziel war es, die damals starke außerparlamentarische Linke Italiens zu diskreditieren und mittels einer Strategie der Spannung den autoritären Staat zu etablieren. Wenige Tage nach dem Attentat wurden von der Polizei mehrere Anarchisten verhaftet, denen das Attentat in die Schuhe geschoben werden sollte. Giuseppe Pinelli stürzte aus einem Fenster des Polizeipräsidiums in den Tod. Die Polizeiführung sprach von einem Selbstmord, der als Schuldeingeständnis zu verstehen sei.

Zufälliger Tod eines Anarchisten

In Wirklichkeit war Pinelli ermordet wurden. Mit dem Theaterstück „Zufälliger Tod eines Anarchisten“ hat Dario Fo Pinelli ein künstlerisches Gedenkzeichen gesetzt. Schon zwei Jahre nach dem Attentat hat Pier Paolo Pasolini gemeinsam mit der linken Gruppe Lotta Continua einen Film gedreht, der im besten Sinne Aufklärung über eine Rechte gibt, die für den Erhalt ihrer Macht und ihrer Privilegien im wahrsten Sinne über Leichen geht. „Der 12. Dezember“ heißt der Film, den der Soziologe und Italienexperte Peter Kammerer zu den wichtigsten politischen Dokumenten der italienischen Nachkriegszeit zählte. Unbestritten gehört er zu Pasolinis politischsten Film. Er unterscheidet sich in seinen Minimalismus sehr stark von seiner sonstigen Filmarbeit.

Just am 12. Dezember war der Film im Club about blank zu sehen. Organisiert wurde der Filmabend von der sozialistischen Bildungsorganisation Hellen Panke. Die Kooperation der beiden doch sehr ungleichen Organisationen zeigt, dass sich die Helle Panke in der Themen und Ortswahl neuen Schichten zuwenden. Das ist sicher für beide Seiten gewöhnungsbedürftig. Dass ein Teil des Publikums die Vorführung während des Films verlassen haben, könnte auch daran liegen, dass alle, die die bisherigen Pasolini-Filme können, erstaunt gewesen sind.

Sie klagen den Kapitalismus an

Der Film 12. Dezember klärt zunächst über die Hintergründe des Attentats in Mailand und den Mord an Pinelli auf und zeigt dann in Ausschnitten Dokumente jener Jahre über den gesellschaftlichen Aufbruch in Italien. Es kommen Arbeiter_innen zu Wort, die es nicht länger als Naturgesetz hinnehmen, dass bei Unfällen in einen Marmorbergwerk jährlich zahlreiche Menschen ums Leben kommen. Sie klagen die Zustände in der Fabrik an. Man sieht Männer, die Anfang 50 sind, aber durch die Arbeit und das Elend abgehärmt und viel älter aussehen. Sie sprechen das erste Mal über das was sie bewegt vor der Kamera. Erst unsicher, nach den ersten Worten immer selbstbewusster und schon nach wenigen Sätzen sagt der Mann. „Wir müssen eine Welt aufbauen, in der es keine Ausbeutung mehr gibt.“ Wir hören kommunistischen Partisanen zu, die beklagen, dass die Kommunistische Partei nach dem Ende des 2. Weltkriegs den Frieden mit den alten Mächten gemacht, viele Faschisten begnadigt und damit die Ziele aufgegeben hat, für die sie einst kämpften. Wir hören junge Männer, fast noch Kinder, die in Nepal erklären, sie seien bereit für die Revolution auch mit der Waffe zu kämpfen. So weiter leben wie bisher ist für sie keine Option mehr. Wir erfahren, dass in jenen Tagen in den Armutsvierteln von und um Neapel noch der Hunger grassierte. Wir hören alte und junge Arbeiter_innen, die gemeinsam beraten, wie sie diesen Zuständen ein Ende machen können. Die gerade gelernt haben, dass die Strategie der Kommunistischen Partei, Schritt für Schritt vorzugehen, nicht zum Sozialismus führt. Der Bruch mit dem System ist notwendig – doch wie soll er gelingen? Auch diese Fragen stellen sich die Menschen. Das Attentat von Mailand am 12. Dezember und ähnliche Anschläge, die sich zu jener Zeit in Italien häuften, haben sie auch als Warnung verstanden. Die herrschenden Klassen werden ein Blutbad anrichten, wenn ihre Macht auch nur angekratzt wird. In den Zeiten des linken Aufbruchs, das haben die Arbeiter_innen in dem Film auch berichtet, wurde manch einb liberaler Bürger zum bekennenden Faschisten. Nur wenige Jahre später ertränkten in Chile die Mumien der Vergangenheit mit Hilfe der US-Regierung eine sozialistische Revolution im Blut; ein Ereignis, das auf die Linke in Italien lähmend wirkte.

Was ist aus dem Hoffnungen der Menschen geworden?

Die Menschen die im Film sprechen, heben zum ersten Mal den Kopf gehoben, sie haben das erste Mal das Gefühl Subjekt der Geschichte zu sein. Und ist ihr Plan nach einer Revolution gescheitert. Warum?, fragen wir uns heute. Und wie sind Protagonist_innen des Films mit ihrer Niederlagen umgegangen? Wie viele von ihnen leben heute noch und kämpfen weiter für die Ideale, die sie im Film vertreten?

Man fragt sich auch, warum der Film anders als die meisten anderen Pasolini-Werke sehr schnell in Vergessenheit geraten ist. Gab es Differenzen zwischen den Regisseur und den politischen Gruppen, die dafür sorgen, dass der Film nur wenig gezeigt wurde? Der Hamburger Laika-Verlag, der mit seiner Bibliothek des Widerstands eine ganze Reihe von seltenen Filmen wieder zugänglich machte, hat eine Version des Films in einem Hamburger Keller gefunden. Nach aufwendiger Restauration kann er nun wieder gezeigt werden.

Er bietet auch viel Diskussionsstoff, beispielsweise über den Faschismusbegriff. Schließlich werden die Faschisten in den meisten Episoden als Todfeinde und Teil der Bourgeoisie gesehen. Nur bei einem Aufstand in der verarmten Provinz südlichen Reggio Calabria in Süditalien trifft diese Charakterisierung nicht zu. Dort waren Faschisten Teil einer Bewegung, die sich auch militant dafür einsetzte, dass die Stadt ihren Status als Provinzhauptstand behält. Was sich damit an dem Leben der Mehrheit der Arbeiterklasse ändern soll, blieb offen. Solche Kämpfe, die nicht um unmittelbare Verbesserung der Lebenssituation der unteren Klassen gehen, können immer leicht von verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie ausgenutzt werden. Die Faschisten sind eine davon. Wenn man heutige Bewegungen unzufriedener Bürger_innen wie in Italien die Bewegung der Mistgabeln und in Frankreich die Bewegung der Rotmützen sieht, werden solche Szenen aus einem über 40 Jahre alten Film erstaunlich aktuell. Und wenn man erfährt, dass erst vor wenigen Tagen die juristischen Ermittlungen wegen des Oktoberfestattentats in München wieder aufgenommen wurde, in dem nicht nur Verschwörungstheoretiker_innen eine deutsche Variante des Attentats von Bologna sehen, wird die Aktualität noch von einer anderen Seite her deutlich.

Es ist dem Laika-Verlag zu verdanken, dem Film mit deutschen Untertiteln versehen, wieder bekannt gemacht zu haben. In den meisten Werklisten über Pasolini taucht er nicht auf. Nicht einmal in der großen Pasolini-Ausstellung, die noch knapp 2 Wochen in dem Berliner Museum Martin-Gropius-Bau zu sehen ist.

Link zu Filmveranstaltung der Hellen Panke:

http://www.helle-panke.de/topic/3.html?id=1737

Link zum Filmbuch des Laika-Verlags:

http://www.laika-verlag.de/termine/pier-paolo-pasolini-retrospektive-im-metropolis-kino

Hinweis auf ein weiteres Laika-Film über die politische Geschichte Italiens:

http://www.laika-verlag.de/bibliothek/verdeckter-b%C3%BCrgerkrieg-und-klassenkampf-italien-band-i

Zur Ausstellung Pasolini Roma im Gropiusbau:

http://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/gropiusbau/programm_mgb/mgb14_pasolini/ausstellung_pasolini/veranstaltungsdetail_88022.php

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Geschrieben von

Peter Nowak

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