Preußenschlag reoladed

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Preußenschlag reoladed

Der Coup in Schleswig-Holstein zieht auf die Zeit nach der Bundestagswahl


Am 20.Juli 1932 wurde per Verfügung der rechtskonservativen Reichsregierung die preußische Landesregierung abgesetzt. Es ging damals, die letzte sozialdemokratische Bastion zu schleifen. Die alten Eliten hatten längst beschlossen, die Wirtschaftskrise ohne weitere sozialpolitischen Zugeständnisse an die Massen zu lösen und die NSDAP dabei mit einzubeziehen. Die SPD war entbehrlich geworden. Nun wiederholt sich Geschichte nach einem Bonmot von Marx höchstens als Farce. So ist es frappierend, dass sich der Preußenschlag genau 77 Jahre später in Kiel in den Grundzügen wiederholt. Die SPD-Minister werden vom rechtskonservativen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten aufgefordert, innerhalb weniger Stunden ihre Büros zu räumen. Seitdem menschelt es in den Medien. Ministerinnen und Minister zeigen Entsetzten und Empörung und beklagen den Vertrauensverlust und fragen, wer jetzt die Blumen im Büro gießt. Derweil ergehen sich Analysten in tiefschürfenden Analysen über die nicht stimmige Chemie zwischen den handelnden Personen. Politik als Seifenoper wird also nicht nur in Italien zelebriert.
Jegliche politsiche Reflektio unterbleibt. Dabei könnte man ja Parallelen ziehen zu dem Ereignis vor 77 Jahren.

Damals wie heute versuchten die Eliten die Wirtschaftskrise zu nutzen, um in ihrem Sinne durchzuregieren. Dass heißt, noch mehr Abbau des Sozialstaats, noch weniger Rücksicht auf soziale Befindlichkeiten in der Bevölkerung.


Durchregieren a la Westerwelle

Niemand hat das besser ausgedrückt, als FDP-Chef esterwelle. Er kommentierte das Ende der großen Kieler Koalition mit den Worten, dass nun die Chance bestehe, in Berlin und Kiel eine bürgerliche Koalition an die Macht zu bringen und dann könne endlich durchregiert werden. Damit meint der Bannerträger des Wirtschaftsliberalismus den Angriff auf die letzten Reste des Sozialstaats. Der Coup von Kiel ist keine kurzfristige Entscheidung einzelner Politiker, denen der Kragen geplatzt sei, angesichts von Intrigen und Querellen, wie uns die Medien seit Tagen glauben machen wollen. Es geht darum, jetzt die Weichen zu stellen für eine Politik, die Merkel und Co. schon vor den letzten Wahlen vorhatten. Nur hatte es das Wahlergebnis dann nicht zugelassen. Dieses Mal will man auf Nummer sicher gehen. Krisenzeiten sind dafür immer günstig. Das ist nicht die einzige Parallele zum Preußenschlag. Es geht darum, die SPD-Basis schon vor den Wahlen zu demoralisieren. Kiel ist nur ein Vorspiel für Berlin.Und es geht um die Machtverhältnisse im Bundesrat. Durchregieren kann eine bürgerliche Koalition am besten¸wo auch die Landesregierungen schon gleichgestaltet sind.

Atomaufsicht im Visier

Eine weitere Komponente des aktuellen Preußenschlags wird in den Medien ebenfalls nicht beachtet. Es geht um die Atomaufsicht, die nun mit dem Coup aus der Verfügung der SPD-Minister herausgelöst wurde. Die könnten bekanntlich die Pläne der Energiewirtschaft zumindest verzögern. Dieses Risiko will man in einer Zeit nicht eingehen, in der das AKW-Thema tatsächlich zum Wahlkampfthema werden könnte. Die Pannenserie im schleswig-holsteinischen AKW Krümel hat dazu beigetragen. Durch den Kieler Coup ist nun garantiert, dass kein verbaler AKW-Kritiker im Ministeramt verbleibt.
Die SPD verhält sich übrigens heute wie vor 77 Jahren in Preußen. Die Minister jammern über menschliche Enttäuschungen. Doch keine denkt daran, sich der Entlassung zu widersetzen und die Basis zur Unterstützung aufzurufen. Das war im Jahr 1932 nicht anders. Damals bot sogar die KPD der SPD Unterstützung an, wenn sie sich gegen die Entlassung wehren sollte. Das wollte die aber natürlich nicht. Die SPD konnte nicht begreifen, dass sie, die alle sozialen Untaten mitgetragen und auch gegen die eigene Basis durchgesetzt hat, auf einmal entbehrlich geworden ist.


Am 20. Juli 1932 war der Preußenschlag eine wichtige Etappe zum Marsch in den NS-Staat. Der Coup von Kiel könnte von Historikern später als wichtiger Schritt zur Durchsetzung des Wirtschaftsliberalismus in Deutschland gewertet werden.



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Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

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