Recherchen zur Arbeiterkultur

After the Butcher In der Galerie ist noch bis zum 20. Mai eine Ausstellung, die einen anderen Blick auf den Nominalsozialismus wirft

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Immer näher kam der Bürgermeister den besetzten Jugendclub, dann klingelte er und sagte der Beamtin, die ihn begleitete: „Hier sehen wir ein Beispiel von Eigeninitiative, das wollen wir nicht zerstören. Ob die Aktion ganz legal war, klären wir später“. Diese Szene spielte sich 1981 in der Pfarrstraße ab. Dort hatten junge Menschen eine leerstehende Apotheke besetzt und renoviert. Den staatlichen Stellen blieb das nicht lange verborgen. Doch der unverhoffte Besuch des Bürgermeistes im Rahmen einer Stadtteilbegehung hatte für die Besetzer günstige Konsequenzen. Der Club wurde nicht nur von staatlicher Seite geduldet. Er bekam sogar finanzielle Unterstützung Aus dem Jugendclub Neues Arbeitszentrum Pfarrstraße (N.A.Pf.) wurde der Klub der Werktätigen (KdW). Obwohl er von 1981 bis 1990 das Leben vor allem jüngerer und unangepasster Menschen im Nöldnerkiez prägte, schien er keine Spuren hinterlassen zu haben. Die in Mannheim geborene Künstlerin und Regisseurin Konstanze Schmitt hat die Geschichte des verborgenen Clubs dem Vergessen entrissen. In den letzten Monaten führte sie Gespräche mit zahlreichen ehemaligen Protagonist_innen des Klubs, mit Besetzer_innen der ersten Stunde, mit ständigen und gelegentlichen Besucher_innen. Daraus hat Schmitt ein Skript entwickelt. Vier junge Schauspieler_innen spielen die unterschiedlichen Personen. Das 22 minütige Video mit dem Titel KdW (Klub der Werktätigen) ist Teil der Ausstellung „AGITATE, EDUCATE, ORGANIZE“, die sich der Arbeiterkultur widmet. Am kommenden Samstag, den 6. Mai werden ab 19 Uhr einige der Protagonist_innen dieser selbstorganisierten Initiative in Ostberlin der 1980er Jahre erstmals nach Jahrzehnten wieder öffentlich zum Neues Arbeitszentrum Pfarrstraße Stellung nehmen. Dabei wird sicher auch Frage eine große Rolle spielen, warum diese Initiative so wenig in der Öffentlichkeit präsent war? Vielleicht, weil sie nicht zum verordneten Geschichtsbild von der totalitären DDR passt, das von Hubertus Knabe über Annetta Kahane bis zum modernen Flügel der Linkspartei heute zur Staatsraison gehört? Dabei geht es keineswegs darum, die DDR nun nostalgisch zu verklären, was auch Konstanze Schmitt keineswegs macht. Es geht nur einfach darum, das Leben in der DDR als einer Gesellschaft zu erzählen, in der Verwertungsinteressen des Kapitals gerade auch in der Wohnungspolitik keine große Rolle spielten. Daher waren Instandbesetzungen an der Tagesordnung. Es war für die Politiker_innen daher auch einfacher, solche Besetzungen zu legaliseren. Nicht Kapitalinteressen standen dem im Wege sondern leider oft bornierte Bürokrat_inneninteressen im Nominalsozialismus. Es gab aber nicht nur in Lichtenberg Bürgermeister_innen, die solche Initiativen förderten oder zumindest zuließen.

Auch der Hirschhof wurde in der DDR gerettet und dann Kapitalinteressen geopfert

In der Oderbergerstraße in Prenzlauer Berg konnte ein dort aktiver Wohnbezirksausschuss (WBA) erfolgreich das Plattmachen des Hirschhofes verhindern, eines mit alten Bäumen bepflanzten Hinterhofes. Auch dort waren es aktive Mieter_innen, die sich nicht nach Parteidogmen richteten sondern gegen den Bürokratismus auftraten. Sie nutzen dazu mit dem WBA eine DDR-Struktur, die viel zu viele eher als Hausmeisterposten missbrauchten Übrigens blieb das Kürzel WBA erhalten. Es wurde als „Wir bleiben alle“ zur Parole der ersten Ostberliner Mieter_innenbewegung, die Anfang der 1990er Jahre von genau jenen Personenkreis aus dem alten WBA Oderbergerstraße ausging. Sie hatten noch genügend Selbstbewusstsein. Schließlich hatten sie in der DDR-Bürokratie den Hirschhof gerettet und die umliegenden Häuser vor dem Abriss bewahrt. Sie organisierten auch die erste Ostberliner Mieter_innenproteste im Kapitalismus, den sie nicht wollten und dem sie letztlich unterlagen. Auch sie wurden wie die Gründer_innen des Neues Arbeitszentrum Pfarrstraße in alle Richtungen verstreut. Derweil zog in der Oderbergerstraße der Kapitalismus ab Mitte der 1990er Jahre mit aller Macht ein. Die Bevölkerung wurde fast größtenteils ausgestaucht. Die Häuser wurden luxussaniert und die Besitzer_innen der Eigentumswohnungen sorgten auch dafür, dass der weiter bestehende Hirschhof nicht mehr nutzbar ist. Denn es gibt einfach keine Zugänge mehr, weil die Nobelbewohner_innen es nicht dulden wollen, dass die Haustüren für den Zugang zum Hirschhof offen bleibt. Vielleicht gibt es auch dort mal eine Galerie wie After the Butcher und eine Künstlerin wie Konstanze Schmitt, die daran erinnert.

ABC des Stahlwerks

Wer den Bunten Abend in der Galerie besucht, hat auch die Gelegenheit die Arbeiten der jugoslawischen Künstler_innen Rena Rädle und Vladan Jeremić anzusehen, die sich mit der Kooperation zwischen Arbeiter_innen und Künstler_innen zwischen 1971 bis 1990 im jugoslawischen Stahlwerk Sisak, einem Vorzeigewerk des jugoslawischen Arbeiter_innenselbstverwaltung, befassen. Damals entstanden zahlreiche Skulpturen, die die Künstler_innen gemeinsam mit den Stahlarbeiter_innen gestalteten. Sie sind heute noch Teil des Parks, obwohl die Fabrik heute in Kroatien liegt, dem Staat, den der deutsche Imperialismus als Rammbock gebrauchte, um Jugoslawien zu sprengen. Denn für das neue Großdeutschland war Jugoslawien, das sich auf den Kampf der Partisan_innen gegen die deutsche Wehrmacht gegründet hat, ein besonderes Hassobjekt. Seitdem gehört es zur deutschen Staatsraison, Jugoslawien als notwendig gescheiterten Staat zu denunzieren. Man setzte von Kroatien bis Albanien auf die Kräfte, mit denen schon das NS-Regime kooperierte. Künstler_innen wie Rena Rädle und Vladan Jeremić hingegen beziehen sich weiterhin auf das Projekt Jugoslawien, das keineswegs von Tito erfunden wurde. Vielmehr ist es eine Forderung der südosteuropäischen Arbeiter_innenbewegung seit 100 Jahren. Rene Rädle verfolgt durchaus kritisch die aktuelle Entwicklung in Serbien So kommentierte sie den Che-Kult in einigen angesagten Clubs Belgrads. „Che ist hier in Serbien ein kulturalisiertes Symbol für Antiimperialismus, und wird von der Rechten wie von der Linken benutzt, tendenziell eher von Nationalist_innen. Man kann T-Shirts von Che neben den Konterfeis der “Volkshelden” Mladic und Karadzic oder von Draze Mihajlovic oder von Putin finden.“ Dass erklärt auch, warum in einigen Belgrader Clubs, in denen Che-Porträts in allen Lebenslagen zu finden sind, kein einziges Tito-Konterfei zu sehen ist. Der ist immer noch ein Symbol der Linken in Serbien, die sich mit dem Projekt Jugoslawien identifizieren. Doch mittlerweile gibt es in Belgrad auch ein paar Clubs im Tito-Look, die eher mit Styling als mit Politik zu tun haben.

Peter Nowak

after the butcher, Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst und soziale Fragen
lädt herzlich ein zum Bunten Abend im Rahmen der Ausstellung AGITATE; EDUCATE; ORGANIZE (1. April – 20. Mai 2017) von Konstanze Schmitt, Rena Rädle & Vladan Jeremić

Bunter Abend: Samstag 6. Mai 2017 ab 19 Uhr

Die Ausstellung ist Mittwoch zwischen 15-19 Uhr bis 20.5. geöffnet.

Link zur Ausstellung AGITATE, EDUCATE, ORGANIZE:

http://www.after-the-butcher.de/atblg/

Homepage von Rena Rädle und Vladan Jeremić:

http://raedle-jeremic.net/

Homepage von Konstanze Schmitt:

http://konstanzeschmitt.net/

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Geschrieben von

Peter Nowak

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