Resistent statt resilent

Vanessa Stern Die österreichische Schauspielerin thematisiert in einen Theaterstück in den Berliner Sophiensälen die prekären Arbeitsbedingungen  in ihrer Branche.

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Wenn man zum Jobcenter kommt, sollte man sich warm anziehen. Das ist für Menschen, die irgendwie in das Hartz IV-System verstrickt wurden, eine alltägliche Erfahrung. Für Vanessa Stern, Anna Blomeier, Marie-Therese Fontheim, Valerie Oberhof, Stephanie Petrowitz und Lioudmilla Voropai ist hingegen ein Besuch bei der Arbeitsberaterin fast schon ein Gang in eisige Gefilde. In dem Theaterstück „Die Umschülerinnen oder Die Komödie der unbegabten Kinder“ spielen die 6 Künstlerinnen prekäre Schauspielerinnen, die sich zu einem Treffen in die tiefverschneiten Berg zurückgezogen haben. Wer denkt da nicht an die Treffen, der Mächtigen der Welt, die in Davos und anderen Bergkulissen einmal im Jahr Abstand vom Alltag in den Metropolen dieser Welt nehmen?

Ein anderes Bild ist die permanent Aufforderung, sich fit zum machen, um irgendwelche Gipfel zu erklimmen, sei es im Job oder in der Freizeit, was in der heutigen Welt immer mehr verschmilzt. Die 6 Frauen in dem Stück haben längst erkannt, dass diese ganzen Selbstoptimierungen nur immer nur ein Hangeln von einem prekären Job zum nächsten sind.

Wollen wir zur verkochten Nudel werden?

In den zwei Stunden werden viele neoliberale Mythen mit Humor auf die Schippe genommen. Dazu gehört das Modewort Resilenz, das nicht anderes bedeutet, als dass sich der Mensch an die Zumutungen der kapitalistischen Anforderungen anpassen und dabei noch den Eindruck erwecken sollen, das ganze mit Freunde zu machen. Wer sich so also besonders pgenau den kapitalistischen Bedingungen anpasst, also besonders resilent ist, wird zum Vorbild erklärt. Urkomisch, wie in dem Stück diese ganze neoliberale Chose am Beispiel einer Nudel auseinandergenommen wird. Erst ist sie hart, dann wird sie gekocht, ist also weich und vielleicht labbrig. Und dann fällt eine der gekochten Nudeln unter den Tisch und erreicht wieder den ursprünglichen Zustand. Wollen wir alle zu solchen Nudeln werden mit unseren Lobgesängen auf die Resilenz oder sollen wir nicht gleich, so bleiben wie wir sind? Das ist die Frage, die sich die Zuschauer_innen in den 2 Stunden im Theater öfter stellen. Langweilig wird es nie und bei allem Witz und der Situationskomik ist das Stück immer geerdet mit der wirtschaftsliberalen Realität. Wenn die Medienkünstlerin Lioudmila Voropai berichtet, dass sie in dem Stück nur mitspielt, damit ihr nicht die Künstlersozialkasse nicht ihren Versicherungsschutz entzieht, weil sie regelmäßig KSK-pflichtige Tätigkeiten nachweisen muss, dann ist das aus dem Leben einer Künstler_in gegriffen.

Kafka im Jobcenter

Höhepunkte des Stücks sind die Dialoge mit den Jobcentermitarbeiterinnen, zu denn sich die Miminnen immer besonders dick anziehen. Dabei ist die Begegnung in den Formen sachlich und es wird auch bitte und danke gesagt. Doch, wenn dann eine beratungssuchende Schauspielerin sich belehren lassen muss, dass eine Weiterbildung selber zahlen muss, weil sie sich damit weiterqualifiziert und dass in den Bestimmungen nicht vorgesehen ist, dann wird hier die kafkaeske Situation, die Menschen im Hartz IV-System ausgesetzt sind, gut auf den Punkt gebracht. Vanessa Stern hat für diese Szenen längere Gespräche mit Jobcenter-Mitarbeiterinnen geführt, so dass diese Szenen im wahrsten Sinne aus dem Leben unter Hartz IV gegriffen sind.

Eine Schauspielerin klagt, dass sie aus ihren guten Genen nicht mehr gemacht hat, weil sie eben nicht ihren Körper in bestimmten Magazinen ablichten ließ. Ihre Kolleginnen hingegen bestärken sie darin, dass sie genau stolz darauf sein kann, sich hier verweigert zu haben. Hier wird thematisiert, dass bestimmte Körpernormierungen noch immer eine wichtige Rolle in der Branche spielen, dass und aber mehr und mehr Künstlerinnen hier nicht mehr mitspielen.

Nicht mehr die Rolle spielen, die uns im Kapitalismus zugedacht wird, das ist auch das Thema von Stephanie Petrowitz vom Institut der pessimistischen Zukunftsforschung. Sie wirbt für ein Demotivationsseminar und bringt mit ihren Fragen, ob sie dafür auch Unterstützung bekommt, die Jobcenterberaterin in Verlegenheit. Vor einigen Jahren hat eine Künstler_inneninitiative eine Absageagentur in einer Berliner Galerie eingerichtet. Dort konnte man sich auf Stellenangebote melden und an die Adressaten schreiben, dass man sie lieber nicht antreten will. Das Theaterstück motiviert einen, solche und andere Formen des resistenten Verhaltens auszuprobieren. Lieber gemeinsam resistent als vereinzelt resilent, könnte das Motto lauten. Schließlich haben die Schauspielerinnen in dem Stück die Bremer Stadtmusikant_innen adaptiert. Und deren Motto lautet: "Etwas Besseres als den Tod findet wir überall“. Der Tod aber das ist das Leben im ganz gewöhnlichen Kapitalismus, das ist die Lektion des Stücks, das noch heute und morgen um 20 Uhr in den Berliner Sophiensälen gespielt wird.

Peter Nowak

DIE UMSCHÜLERINNEN ODER DIE KOMÖDIE DER UNBEGABTEN KINDER

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Sophiensaele/ 10.4.2018 und 12.,13.,14.4.2018 um 20.00 Uhr
VON UND MIT Vanessa Stern, Anna Blomeier, Marie-Therese Fontheim, Valerie Oberhof, Stephanie Petrowitz, Lioudmila Voropai

Link zum Stück:

http://www.heulenkannjede.de/?hl=de

und zu den Aufführungsort:

http://www.sophiensaele.com/produktionen.php?IDstueck=1724

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Geschrieben von

Peter Nowak

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