Sarrazin mit Bart

Wolfgang Thierse Der Streit um die Identitätspolitik bei der SPD war schnell beendet. Die SPD-Führung hat eingelenkt, weil sie verhindern wollte, dass Thierse die Partei verlässt

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Dabei geht es um mehr, als um sozialdemokratische Befindlichkeiten. Um den SPD-Politiker Wolfgang Thierse war es nach seinen Ausscheiden aus dem Bundestag vor 8 Jahren still geworden. Vor einigen Wochen sorgte er plötzlich für Schlagzeilen und drohte gar mit dem Parteiaustritt. Zuvor hatte sich die SPD-Vorsitzende Saskia Esken gemeinsam mit Kevin Kühnert, der den Weg vom leicht rebellischen Juso-Chef zum SPD-Apparatschik im Schnelldurchgang absolviert hat, bei der AG Queer der SPD dafür entschuldigt, dass „einzelne Vertreter der SPD ein rückwärtsgewandtes Bild“ haben. Auch wenn Thierses Name in dem nicht direkt genannt wurde, war klar, dass er gemeint war. Nachdem sich zahlreiche einst bekanntere SPD-Mitglieder hinter Thierse gestellt hatten, wurde der Streit einstweilen mit Formelkompromissen beigelegt, kann aber jederzeit wieder hochkochen. Nun ist schon merkwürdig, dass Thierse plötzlich gegen Identitätspolitik positioniert, hat er doch in der SPD lange Zeit erfolgreich eine bestimmte Identität als Stimme der Ostdeutschen bediente. Daher müsste geklärt werden, welche Identitätspolitik Thierse eigentlich kritisiert.

Mit Beiträgen in der konservativen Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und einem Interview im ebenso konservativen Cicero war Thierse zur positiven Projektionsfläche all jener geworden, die nicht nur mit den Genadersternchen sondern auch mit Fremdwörtern in der deutschen Sprache fremdeln. Das zeigte sich gleich bei Thiersees Antwort auf die Frage des Cicero-Journalisten.

„Herr Thierse, auf einer Skala von null bis Hengameh Yaghoobifarah, wie woge sind Sie?“ Darauf entgegnet Thierse. „Mit mir müssen sie in der alten deutschen Sprache reden. Sonst verstehe ich Sie nicht“. Auf eine Nachfrage des Cicero-Interviewers machte Thierse klar, dass er Hengameh Yaghoobifarah kennt. Dann müsste ihm auch bekannt sein, dass es sich um eine streitbare Publizistin handelt, die nach einer polizeikritischen Kolumne mit einer später zurückgezogenen Ankündigung einer Anzeige wegen Beleidigung durch das Bundesinnenministerium und zahlreichen rechten Drohungen konfrontiert war. Wenn Thierse darauf nur der Satz einfällt. „Ich möchte mich nicht immerfort den Sprachgebrauch Anderer unterwerfen müssen“, dürften Kühnert und Esken mit ihrer Einschätzung vom rückwärtsgewandten Bild mancher Parteigenossen noch sehr diplomatisch formuliert haben. Man müsste eigentlich fragen, wie denn Thierse Hengameh Yaghoobifarah ins Deutsche übersetzten will? Oder, ob er nicht eingentlich ausdrücken will, dass sie eigentlich gar nicht nach Deutschland gehört. Man könnte es auch klarer formulieren, hier gibt Thierse den Sarrazin mit Bart

In guter rechter Gesellschaft

Thierses Äußerungen haben einen Vorlauf, der oft ausgeblendet wird. Er war einer der wenigen Politiker*innen, der den „Appell für freie Debattenräume“ hat, der sich explizit gegen eine angebliche Cancelkultur wendet. Mit Verve wird gegen die Absagekultur und Kontaktschuld geschrieben. Der Aufruf lässt aber offen, wer damit gemeint ist. Nur so war es möglich, dass explizit Linke ebenso unterschrieben haben wie zahlreiche Rechte. Der rechte Mann Arne Hoffmann steht neben der erklärten Feministin Barbara Holland-Cunz auf der Unterstützter*innenliste.Gerhard Meggle fordert wie set Jahren ein Recht auf Israelkritik ein und sieht die Debattenkultur verletzt, wenn ihn jemand widerspricht. Regelmässige Autor*innen der rechten Wochenzeitungen Junge Freiheit sind ebenso vertreten und mittendrin Politiker a.D. Wolfgang Thierse.

Die ganze Debatte mit einem angeblichen Gegensatz zwischen einer Identitätspolitik versus einer Orientierung an einer Klassenpolitik allerdings gar nichts zu tun, auch wenn manche Linke ihn gerne als Popanz aufbauen. Die Bloggerin Detlef Georgia Schulze stellte mit in einen Twitterbeitrag fest, dass der klassischen Arbeiterbewegung „essentialistische "Identitätspolitik" nie fremd gewesen ist. „Nur hieß sie damals noch nicht so, sondern Arbeitertümelei, Proletkult, "Kult der schwieligen Faust".

Es sind oft gerade diese Arbeiterümler*innen, die den Untergang des Abendlands beschwören, wenn englische Begriffe oder Gendersternchen Eingang in die deutsche Sprache Einzug finden. Dabei wird oft vergessen, dass ein Teil der Lohnabhängigen in Deutschland besser englisch als deutsch spricht und sich viele Frauen durchaus vom Gendersternchen angesprochen fühlen. Es ist auch selbst ein identitärer Blick auf bestimmte Sektoren der Lohnabhängigen, wie den weißen, männlichen Bergarbeiter, der den Blick darauf verstellt.


Peter Nowak

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Geschrieben von

Peter Nowak

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