Sie haben den Traum vom Sozialismus bewahrt

DDR Regisseurin Kirsi Marie Liimatainen hat Linke aus aller Welt besucht, mit denen sie vor 24 Jahren in der DDR eine politsche Schulung unternahm

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Sie hatten einen Traum und der hieß Sozialismus, die jungen Menschen, die sich jährlich in aller Welt in der DDR zu politischen Schulungen trafen. Nach 1989 hatte die öffentliche Meinung für sie allerhöchstens Spott, mehr noch aber Verachtung und Hass übrig. Sie wurden als Menschen hingestellt, die einer menschenverachtenden Ideologie anhingen und der DDR dafür ausgebildet wurden, diese in ihren Ländern zu verbreiten. Die in Finnland geborene Kirsi Marie Liimatainen gehörte als junge Kommunistin zum letzten Jahrgang, die in der DDR im in der FDJ-Jugendhochschule Wilhelm Pieck ausgebildet wurden.

Im Sommer 1989 reisten sie in ihre Länder zurück. Nun hat Liimatainen einige der Genoss_innen besucht, mit denen sie vor fast 30 Jahren monatelang gemeinsam lernte und zusammenlebte. Es war nicht so einfach, weil alle Teilnehmer_innen unter Alias-Namen lebten. Verständlich aber, wenn man bedenkt, dass viele von ihnen aus Ländern kamen, in denen Kommunist_innen illegalisiert waren. Und selbst in der bürgerlichen Demokratie der BRD wäre wohl manche der jungen Linken nach den Ausflug in die DDR nicht mehr in den Staatsdienst übernommen worden. Doch Liimatainen gelingt es, Genoss_innen in Bolivien, Chile, dem Libanon und Südafrika zu treffen.

Wahlrecht auch für Nichtdeutsche in der DDR

Nicht alle sind mehr in einer Kommunistischen Partei, viele haben scharfe Kritik an Dogmatismus und autoritären Strukturen. Doch alle Protagonist_innen denunzieren den Traum einer ganz anderen Welt nicht, sie sind nicht zum vorerst siegreichen Kapitalismus übergelaufen.

Besonders eindrucksvoll schildert der südafrikanische Genosse, von welch' wichtiger Rolle die Unterstützung aus der DDR für die Befreiungsbewegung gegen die Apartheid war. Die südafrikanischen Genoss_innen durften an den DDR-Wahlen mit der Begründung teilnehmen, dass sie hier leben und daher hier mitentscheiden können. Diese Begründung sollten Antirassist_innen heute auch verwenden, wenn sie dafür eintreten, dass das Wahlrecht nicht vom Pass abhängig sein sollte. Der südafrikanische Genosse erinnert auch daran, dass die BRD in der Zeit, in der in der DDR die Kämpfer_innen gegen die Apartheid unterstützten, das Apartheidsystem auf allen Ebenen, politisch und wirtschaftlich verteidigte.

Besonders fatal hat sich die Situation für Kommunist_innen im Libanon entwickelt. In den Hisbollah-Hochburgen ist es lebensgefährlich, sich als Linker zu outen. Der einstige Genosse ist mittlerweile für eine Partei aktiv, die im Machtgerangel der libanesischen Eliten als prowestlich gilt, was immer das bedeutet. Sehr aufschlussreich ist die Begegnung mit der chilenischen Genossin, mit der die Regisseurin auch persönlich einen guten Draht zu haben scheint. Auch sie ist wegen der patriarchalen und autoritären Strukturen nicht mehr Mitglied einer linken Partei, und engagiert sich in der Bewegung der Indigenen. Wenn sie da von der Harmonie mit Mutter Erde und der Liebe zu allen Menschen redet, stellt man sich auch die Fragen, ob so eine emanzipatorische Gesellschaft zu erreichen ist.

Keine DDR-Nostalgie und keine Renegatenprosa

Im weiteren Verlauf wird aber deutlich, dass sie dem Traum vom Sozialismus ebenso wenig aufgegeben hat, wie Liimatainen, was sie am Ende noch einmal unterstreicht. Gerade deswegen leidet sie besonders an denen, die sich als Kommunist_innen ausgeben, und mit ihrer autoritären Politik diesen Traum mehr geschadet haben als viele geifernde Antikommunist_innen. In diesem Sinne ist Liimatainens Film alles andere als DDR-Nostalgie, aber er hat auch nichts mit den vielen antikommunistischen Ergüssen zu tun, die heute auch von mancher ehemalige Hundertprozentige vor allem vor Jahrestagen unter die Leute bringen. Der SED-Funktionär Günther Schabowski machte da den Anfang. Den jüngsten Ausbund dieser Renegatenprosa können wir in der Taz-Sonderausgabe zum Thema Gegenöffentlichkeit lesen. Der ehemalige sowjetische Politikausbilder des Komsomolz singt nun das hohe Lied der Freien Welt mit genau den unangenehm hohen Tönen, in denen er einst die Propaganda des Nominalsozialismus verbreitete. Dabei stilisiert er sich heute als Widerstandskämpfer. Solche autoritären Charaktere wie Schabowski, Schumatsky et. al hatten nie den Traum von einer Welt, sie funktionieren nur unter den jeweiligen Herrschaftssystem. Das unterscheidet sie von Liimatainen und ihren Protagonist_innen. Und das macht ihren Film so sehenswert.

Comrade, Where Are You Today?

Deutschland, Finnland 2016 / Dokumentarfilm / 110 Minuten / Regie: Kirsi Marie Liimatainen / ab 12 Jahren freigegeben

Seit kurzen gibt es den Film auf DVD mit deutschen und englischen Untertiteln und Bonusmaterial über eine Reise nach Nicaraga:

http://www.wfilm.de/comrade-where-are-you-today/ und http://www.ilangafilms.com/

Wer in Berlin lebt, hat die Gelegenheit heute um 20.30 Uhr den Film beim Kongress "Marx is muss" im Seminarraum 3 im ND-Gebäude am Mehringplatz 1 sehen. Die Regisseurin Kirsi Marie Liimatainen ist anwesend und wird mit den Zuschauer_innen diskutieren.

https://www.marxismuss.de/sessions/filmvorfuehrung-und-gespraech-comrade-where-are-you-today/

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Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

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