Sind so kleine Füße

endmoräne Die leider zu kurze Ausstellung in Eisenhüttenstadt regte zu Diskussionen über den Umgang mit Kindern nicht nur in der DDR an.

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Viel wird heute über die Belastungen von Fahrradfahrer*innen im Autoverkehr diskutiert. Doch wie erleben Kleinkinder in ihren Wägen den Lärm und die Autoabgase einer verkehrsreichen Stadt? Die Künstlerin Margerita Haberland hat sich diese Frage gestellt. Sie montierte eine Kamera in einen Kinderwagen und nahm die Verkehrswelt aus der Perspektive eines Kleinkinds auf, die Bilder, den Lärm, nur der Geruch ließ sich natürlich nicht vermitteln. Sie begann ihre Tour im verkehrsreichen Berlin. Die letzten Minuten wurden langsam und leise. Dann war der Kamerawagen in Eisenhüttenstadt angekommen. Dort war die Installation „Es schaut Dir in die Augen kleines“ von Margita Haberland bis vergangenen Sonntag im Rahmen der jährlichen Sommerausstellung des Künstlerinnenkollektivs Endmoräne zu sehen. Dieses Mal fand sie in ein ehemaliges DDR-Kinderwochenheim mitten in Eisenhüttenstadt für einen Monat sein Domizil. Da lag es nahe, dass das Thema der autoritären Formierung bei der DDR-Kindererziehung der rote Faden durch die Ausstellung war. Renate Hampke hat bunte Seifenreste auf Klammern aufgehängt, als Reminiszenz an die Waschräume in den Kinder –Wochenheimen. In einer Installation sind einige dieser bunten Töpfe im Raum drapiert, auf denen zu einer festgesetzten Zeit die Kinder ihr Geschäft machen sollten. Diese Töpfe wurden später zum Inbegriff der angeblich besonders autoritären Zurichtung in den DDR-KInderheimen. Sogar manche Topfphilosophie über den dadurch verursachten autoritären Charakter in der DDR wurde verbreitet. Selbst die rassistischen Pogrome der Nachwendezeit wollten manche Hobbysoziolog*innen damit erklären. Dagegen richtete sich die Empörung auch von ehemaligen Beschäftigten in den DDR-Kindereinrichtungen, die ihre Arbeit entwertet sahen und meinten sich verteidigen zu müssen. Das war auch in der Ausstellung in Eisenhüttenstadt zu beobachten. Eine ältere Frau betonte immer wieder, dass sie in der Kritik ihre Erlebnisse als Beschäftigte im DDR-Kinderheim nicht wiederfinden könne.

Einfügen in die Gesellschaft stand in Ost wie West im Mittelpunkt

Es ist bedauerlich, dass damit oft unter den Tisch fällt, dass in den DDR-Kindereinrichtungen ähnlich wie in denen im Westen vor 1968 das Einfügen in das System und das reibungslose Funktionieren im Mittelpunkt stand. Nur so ist auch zu erklären, dass die Kinder alle zu einer bestimmten Zeit aufs Töpfchen sollten. Diese Zurichtung hat die Künstlerin Frauke Danzer in ihrer Installation „Seid bereit!“ optistisch sehr gut umgesetzt. 49 kleine rote Fusspaare hat sie auf einen weiß gestäubten Boden gestellt- Über einem der Fußpaare wehrt ein weißes Kleid. Es kann das Symbol einer Beschäftigten in den Kindereinrichtungen sein. Man kann aber die Interpretation erweitern. Es handelt sich bei Danzers Arbeit um eine Kritik an der Zurichtung der Kinder für politische Systeme insgesamt, nicht nur in der DDR. Und das weiße Kleid kann auch die eigene Mutter sein. Denn es sollte nicht vergessen werden, dass die Zurichtung der Kinder für die Ziele der Systeme auch bei der häuslichen Erziehung im Mittelpunkt steht. Oft sind es die Eltern, die heute auch gegen den Widerstand von Kindereinrichtungen den Nachwuchs schon mit 3 Jahren fit für den Konkurrenzkapitalismus machen wollen. Dass es heute schon mal so scheint, als wären die westlichen Kindereinrichtungen gegenüber denen in der DDR ein Hort der individuellen Freiheit und Kreativität gewesen sein sollen, ist auch eine Folge der politischen Amnesie. Bis in die frühen 1970er Jahre waren die Kindereinrichtungen in der BRD von dem im NS sozialisierten Personal geprägte autoritäre Orte. Es waren die Protagonist*innen des Aufbruch von 1968, die dagegen Sturm liefen Sie gründeten Kinderläden und propagierten einen kooperativen Umgang mit den Kindern. Dabei bezogen sie sich auf sozialistische, kommunistische und anarchistische Pädagogikkonzepte. Wie bei vielen aus dem 68er Aufbruch, hat der Teil der Reformen bis heute in den Kindereinrichtungen Bestand, der mit der heutigen Regulationsphase des Kapitalismus kompatibel ist. Es gibt also keinen Grund, heute überheblich auf die Kindereinrichtungen in der DDR zu blicken und die BRD als Vorbild hinzustellen. Installationen wie die von Haberland, die das heutige Kinderleben in der Autogesellschaft in den Mittelpunkt stellt, aber auch die von Danzer und vieler anderer Künstlerinnen bei der Ausstellung in Eisenhüttenstadt gaben für solche Gedanken sehr viele Anregungen.

Rechte Szene weiter aktiv

Es ist bedauerlich, dass die Exposition nicht länger gezeigt werden konnte. Schließlich bot sie auch die Gelegenheit, Eisenhüttenstadt heute kennenzulernen. Da kann man gut sanierte ehemalige Arbeiter*innenpaläste ebenso sehen, wie unsanierte Siedlungen. Besonders auffällig waren die zahlreichen Neonaziaufkleber, die an vielen Laternenmasten in der Stadt zu sehen waren. Sie zeugen von der Präsenz einer rechten Szene noch immer in der Stadt. Es ist nicht anzunehmen, dass ihre Protagost*innen noch mit dem DDR-Einrichtungen und ihren Topfzeiten in Berührung gekommen sind.

Peter Nowak

Link zur Ausstellung:

http://endmoraene.de/aktuelles-2/

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Geschrieben von

Peter Nowak

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