Spazieren in Ruinen

Rohkunstbau Endmoräne Beide Projekte wollen mit Kunst, alte Gebäude interessant machen. Noch bis zum Sonntag kamm man die Schlossruine in Lieberose besuchen.

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Noch bis zum Sonntag können Sie in Brandenburg in einen verkehrstechnisch ohne Auto nicht leicht erreichbaren Ort ein verfallenes Schloss besuchen. Das wiederum liegt mitten in Lieberose, so heißt der Ort in der Niederlausitz. Sie können dort auch die örtlichen Cafés am Marktplatz etwas verdienen lassen und entdecken vielleicht en Charme von Lieberose, der im kleinen Faltplan des Ortes angeprießen wird. Dort ist dann die Adlerapotheke und die Psychotherapie Ebert aufgeführt, aber nicht die Gedenkstätte des KZ-Lieberose, im ehemaligen längst stillgelegten Bahnhof. Das Arbeitslager Lieberose „war von der SS im Laufe des Jahres 1944 zum größten jüdischen Häftlingslager im Osten des Altreiches“ ausgebaut worden, erfahren wir auf der Homepage der Evangelischen Kirchengemeinde Lieberose, aber nicht aus dem Stadtplan. Das baufällige Schloss ist eigentlich schnell besichtigt und wenn ihnen dort einige komische Pferde, Leuchtschriften etc. auffallen, dann sind sie in der Ausstellung Rohkunstbau gelandet. Oft fallen sie in der Architektur gar nicht auf, stören auch nicht besonders.

Wenn etwas stört, dass es der geschwollene Ton, in dem diese Kunst, die ja nur den Zweck hat, Besucher_innen in baufällige Gemäuer zu locken und den Tourismus anzukurbeln, beworben wird.

„Im Schloss Lieberose zeigt ROHKUNSTBAU XXII diesen Sommer Kunstwerke, die sich dem Thema der Fremde widmen. Die Ausstellung entwirft ein positives Verständnis von Andersheit und unterstreicht die kreativen Aspekten, die in der Auseinandersetzung mit Differenz bestehen.“ Brechen wir doch das Ganze runter und sagen, das Ausstellungsmotto „Die Schönheit im Anderen“ kann sich auch auf den spröden Charme dieses baufälligen Schlosses beziehen. Mich hat schon immer etwas befremdet, dass hier Künstler_innen aus aller Welt angekarrt werden. Man hofft wohl damit mehr Besucher_innen anzulocken. Doch nach dem Rohkunstbau kommt regelmäßig die Gentrifizierung. Die meisten der Schlosser und Guthäuser, in denen Rohkunstbau in seiner 14jährigen Geschichte Quartier bezogen hatte, standen bald nicht mehr zur Verfügung, weil sie das Interesse von Investor_innen gefunden haben. Mal sehen, wie lang es in Lieberose dauert und was das mit dem Ort macht.

Ehemalige Papierfabrik statt Schloss

Überzeugender waren wieder einmal die Brandenburger Künstlerinnen der Initiative Endmoräne, die bis zum 16.Juli in der ehemaligen Papierfabrik Wolfswinkel am Stadtrand von Eberswalde ihre Installationen ausstellten. Das geräumige Gelände ist ebenso baufällig wie das Schloss von Lieberose und oft fragte man sich, ist das eine Installation oder gehört das zum Altbau. Eine sehr markante Dachwellung beispielsweise fällt in die letzte Kategorie. Manchmal gingen Umgebung und Kunst eine Symbiose ein. So stand der Tisch der Installation von Ina Abuschenko-Matwejewa im Wasser. Das war ursprünglich nicht eingeplant und war dem regnerischen Sommer und dem undichten Fabrikdach geschuldet. Das Ergebnis wird von der Künstlerin sehr begrüßt. Auch alle anderen Installationen passen sich ganz der Fabrikruine an und genau das macht ihren Reiz aus. Es wird keine geschwollene Erklärung geliefert. Wir sehen eine alte einst in der Region bekannte Fabrik, die lange nicht mehr zugänglich war. Wir sehen, wie sich die Natur in den letzten Jahren das Areal zurückerobert hat und wir sehen auch noch Spuren von den Nutzer_innen der letzten Jahre. Einige Aussteiger_innen aus der Region sollen dort gewohnt haben. Ein ehemaliger Beschäftigter der Papierfabrik war während der Ausstellung auch immer anwesend und hat den Besucher_innen Fotos gezeigt, von einer Zeit, als dort noch Papier hergestellt wurde.Jetzt soll ein Investor gefunden worden sein. Schließlich versucht Eberswalde am Stadtrand ein kleines Eventzentrum zu sein. Doch die Endmoräne könnte in Eberswalde bleiben. Leere Gebäude gibt es dort genug. Nur wenige Hundert Meter von der Papierfabrik entfernt stehen riesige Wohn- oder Büroblöcke in noch recht guten Zustand leer. Die Ausstellung in Eberswalde ist schon fast zwei Monate zu Ende. Aber Interessierte können einen Katalog bestellen, in dem unter dem Titel “ …und die wunderliche Welt dreht sich weiter“ 25 Jahre Endmoräne dokumentiert sind. Gleichauf eine der ersten Seiten sehen wir eine Ruine mit Baum vor dem Loch, der einst eine Tür war und darüber fast in Popart das Wort "Zukunft". Wie die für die beiden so ähnlichen Kunstprojekte aussehen mag? Jedenfalls haben die bescheiden Künstlerinnen von Endmoräne größere Chancen.

Peter Nowak

Rohkunstbau:

http://www.boell-brandenburg.de/de/2017/06/07/xxiii-rohkunstbau-2017

Endmoräne:

http://endmoraene.de/

Hier kann der Bildband "und die wunderliche Welt dreht sich weiter" über 25 Jahre endmoräne bestellt werden:

... und die wunderliche Welt dreht sich weiter

25 Jahre Endmoräne

224 Seiten, durchgängig farbig illustriert.

ISBN: 978-3-932809-80-4

Preis: 25,00

http://www.viceversaverlag.de/buch/und-die-wunderliche-welt-dreht-sich-weiter.html

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Geschrieben von

Peter Nowak

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