Theater in den Unterwelten

Im Tunnel Ab dem 25.5. gibt es ein neues Event in Berlin. In einem ehemaligen Fluchttunnel wird Theater gespielt. Für die Presse gab es bereits eine Probevorführung.

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Für Dietmar Arnold ist die Sache klar. Die Fluchthelfer, die nach dem Bau der Berliner Mauer Ausreisewillige aus der DDR via Tunnel von Ost- nach Westberlin transportierten, waren für ihn Helden. Dass darunter auch Mitarbeiter von obskuren rechtslastigen Organisationen wie die KgU und die Ostbüros der SPD waren, wird bei einem solchen Pauschalurteil ebenso ausgeblendet, wie die offenkundige Tatsache, dass manche Fluchthelfer bewaffnet waren. Schließlich sind im Ausstellungsraum des Tunnelmuseums in der Brunnenstraße 143 auch Fotos von der Beerdigung eines Mitarbeiters der DDR-Polizei zu sehen, der beim Aufspüren eines Tunnels erschossen wurde. Natürlich hat die DDR seinen Tod propagandistisch ausgeschlachtet, was heute überall betont wird. Doch Propaganda für die vermeintlich gute Sache, darf natürlich auf keiner der beiden Seiten fehlen. Mit der Rekonstruktion der Fluchttunnel tut sich für die Berliner Tourismus- und Eventindustrie ein neues Feld auf. Nachdem nun oberirdisch fast alle Artefakten tourismustechnisch ausgeleuchtet sind, der Widerstand gegen das Verrücken einiger Steine der East-Side-Galery war auch ein Kampf der Tourismus- gegen die Investmentlobby, finden sich unter der Erde noch lukrative Objekte, die sehr profitabel verwertbar sein können. Schließlich bietet ja ein solch rekonstruierter Tunnel auch etwas Gruseleffekt und der Abenteuerbedarf des gemeinen Berlintouristen wird stimuliert. Dabei muss man sich aber fragen, warum in der rekonstruierten Vorhalle zum Tunnel unter einem Radio aus der damaligen Zeit ein Band des Buches „Jeder stirbt für sich allein“ zu finden ist, in dem es um den tödlichen Widerstand eines Ehepaars im Nationalsozialismus und vielen kleinen und großen Denunzianten aus der deutschen Volksgemeinschaft geht. Der Zusammenhang mit den Fluchtgeschichten ist nicht ersichtlich.

Flüchtlingsthema entdeutschen

Der Gruselfaktor wird sich allerdings für die Tunneltouristen in Grenzen halten. Denn zu einem Reactment wird der Besuch nicht werden. So wird für Beheizung ebenso gesorgt, wie für gepolsterter Sitze im Theaterraum. Dort hat am 25. Mai das erste Stück des jungen „Theaters in den Unterwelten“ Premiere, das den schlichten Titel „Im Tunnel“ trägt. Anders, als das Statement von Dietmar Arnold befürchten ließ, wird hier nicht die Weltsicht von Hubertus Knabe in Kunstform dargeboten. Der Regisseur Kai-Uwe Kohlschmidt hat sogar etwas gemacht, was einen echten Kalten Krieger die Zornesfalten ins Gesicht treiben würde. Er hat im Stück auch an die Flüchtlinge erinnert, die heute überall auf der Welt für ihre Rechte kämpfen. Eine solche Erweiterung des Themas ist zu begrüßen, besonders wo einige rechtslastige DDR-Flüchtlingsveteranen aufschrieen, als ein Redner bei einer Gedenkfeiern zum Mauerbau an diese aktuellen Flüchtlinge erinnerte, die eben anders als die DDR-Auswanderer hierzulande keine Lobby haben. Die Empörung machte noch einmal deutlich, dass es vielen, die sich so vehement über das „DDR-Unrecht“ durch den Mauerbau empören, eben nicht dafür eintreten, dass alle Menschen weder durch Mauern noch durch andere Grenzen daran gehindert werden zu leben, wo sie es wollen. Aber nur unter dieser Prämisse ist eine Kritik an der Berliner Mauer etwas anderes als deutsch-deutscher Befindlichkeitskitsch. Wer es besonders empörend findet, dass in der DDR Deutsche daran gehindert wurden, zu leben wo sie wollen, aber nichts dagegen hat, dass das heutige Deutschland Flüchtlinge erst gar nicht ins Land lässt, und wenn es doch welche schaffen, sie schnellst möglich abschieben lässt, hat wenig mit Flüchtlingsrechten, dafür viel mit deutschen Nationalismus am Hut. Daher ist der Ansatz von Kohlschmidt das Flüchtlingsthema zu entdeutschen, begrüßenswert.

Deutsch + frei + ausgebombt

Leider ist die Umsetzung nur bedingt gelungen. Am ehesten noch in dem Strang, in dem es um eine Clique junger Deutscher im Nachkriegs-Berlin geht. Wenn sie dort singen, „Wir sind deutsch und frei und ausgebombt“ und kein Wort über die Leichen verlieren, die sie als willige Vollstrecker des NS-Regimes schon in ihrem Alter hinterlassen haben, trifft es die deutsche Bewusstseinslage im Nachkriegsdeutschland Ost wie West gut. Bemerkenswert ist die Entwicklung, die die unterschiedlichen Protagonist_innen der Jugendclique nehmen. Während einige Fluchtpläne schmieden, wird einer Bürokrat beim MFS. Er wird allerdings sehr differenziert dargestellt, es wird deutlich, dass auch er Träume von einer anderen Gesellschaft hatte, die dann in Aktenbergen und Karteikarten abhanden gekommen sind. Hier erinnern die Dialoge stellenweise an Texte von Heiner Müller. Der zweite Strang wirkt hingegen aufgesetzt und ist weniger gelungen. Dabei ist auch hier die Idee gut. Eine junge Syrerin muss ihren Asylantrag in Eisenhüttenstadt vor einer Richterin begründen, deren Mutter bei der Flucht durch den Tunnel umgekommen ist. Doch die Umsetzung ist in Teilen unglaubwürdig. Warum redet die junge Syrerin bei ihrer Asylbegründung, als wäre sie in einen Geschichtsseminar einer Universität in perfekten Mittelstandsdeutsch? Und warum sollte eine Flüchtlingsfrau, die in Deutschland Asyl beantragt, vor der Richterin von den „Genossen von der PKK“ schwärmen, was ihr bestimmt jede Chance auf eine Anerkennung nimmt? Wenn dann auch fälschlich behauptet wird, die PKK würde mit dem syrischen Assad-Regime paktieren, kann man dem Regisseur zugute halten, dass diese Falschmeldungen vor einigen Monaten in einigen Medien verbreitet wurden, die offensichtlich voneinander abgeschrieben haben. Aber er hat sich eben nicht gründlich informiert. Denn mittlerweile müsste bekannt sein, dass die syrische PUK, die mit der PKK kooperiert, seit Jahren in Opposition zum syrischen Regime aber aktuell auch zu den islamistischen Fraktionen der Opposition steht, mittlerweile mit dem moderateren Flügel der Opposition ein Abkommen unterzeichnet hat und in dem von ihr kontrollierten Teil Syriens wohl neue Wege geht. Es ist wohl zur Zeit der einzige Teil Syriens, wo die Bewohner_innen demokratisch über ihre Belange mitentscheiden können und sich Frauen ohne Kopftuch für ihre Belange einsetzen, ohne Angst vor der Assad-Polizei oder islamistischen Rackets haben zu müssen. Diese Fakten sind wenig bekannt. Umso ärgerlicher, dass das Theaterstück hier Falschinformationen weiterverbreitet.

Peter Nowak

Die Vorführungen finden am 25.5., 31.5., 1.6., 7.6. jeweils um 20 Uhr in der Brunnenstraße 143 statt.

Zur Eröffnungsvorführung gibt es auch ein Zeitzeug_innengespräch.

Weitere Termine finden sich hier:

http://berliner-unterwelten.de/

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Geschrieben von

Peter Nowak

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