Und im Urlaub Sklavenhalterin spielen

Paradies: Liebe In seinem neusten Film zeigt Ulrich Seidl wie sich in Afrika weiblicher Sextourismua und weißer Rassismus verbinden

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Fest der Liebe wird ja gelegentlich der 24. Dezember noch immer bezeichnet. Doch so etwas mag vielleicht noch in besonders christlich geprägten Landesteilen von einem relevanten Bevölkerungsteil ernst genommen werden. Auch die erklärten Weihnachtshasser_innen, die alle Jahre wieder ihren Abscheu ausdrücken und doch nur den Eindruck machen, als würden sie den ganzen Zauber noch irgendwie ernst nehmen, sind mittlerweile schon langweilig geworden. Das Kino Moviemento hatte in diesem Jahr zum 24. Dezember allerdings eine wirklich gute Idee. Es wurde erstmals ein Film gezeigt, der eigentlich erst Anfang Januar in die Kinos in Deutschland kommt und nicht nur im Titel mit dem sogenannten Fest der Liebe harmoniert. Es handelt sich um „Paradies: Liebe“ des österreichischen Regisseurs Ulrich Seidl. Es ist der zweite Teil einer Trilogie mit dem Titel Glaube, Liebe, Hoffnung. Wer Filme von Seidl kennt, wird auch von dem neuen Film nicht enttäuscht werden. Es ist seine Spezialität, das Grauen des Alltags ganz gewöhnlicher Menschen nachzuzeichnen und diese dabei nicht bloßzustellen. Vielmehr sind es die gesellschaftliche Verhältnisse, die Menschen derart zurichten, die hier vorgeführt werden, ohne dass der Regisseur einen Kommentar oder eine Sequenz dazu tut.

In seinem neuesten Film zeigt er einfach, was geschieht, wenn eine Frau mittleren Alters aus ihren sehr bürgerlichen Alltag zwischen der Betreuung von gehandicapten Jugendlichen und einer pubertierenden Tochter nach Kenia in den Safariurlaub fährt. Seidl zeigt gleich zu Beginn seine filmische Meisterschaft. Eben sind wir noch im konservativen Österreich, wo die Menschen noch christliche Symbole mit Kreide an die Haustüren malen. Dann nimmt Teresa, die Filmheldin, Abschied von Tochter und Katze und sitzt schon im Bus, der die Erlebnispassagiere zum Hotelkomplex fährt. Schnell werden noch vom Reiseleiter drei afrikanische Worte eingeübt. Danke und kein Problem, damit kommt der All-Inclusive-Tourist durch die drei Wochen Erlebnisurlaub. Schon bei der Einfahrt in den hermetisch abgeriegelten Touristenkomplex wird ohne Worte deutlich, dass hier eine ganz große Kulisse aufgebaut wurde. Hier reist niemand nach Afrika, sondern hier wird ein Afrika gespielt, wie es die europäischen Tourist_innen wünschen und wofür sie auch viel bezahlen. Man kann dann zwar in die Heimat simsen und mailen, wie heiß es doch in Kenia ist, aber eigentlich hat man immer das europäische Niveau. Teresa hat sogar Desinfektionsmittel im Fluggepäck, das sie gleich zu Beginn reichlich auf die sanitären Anlagen des schon völlig cleanen Hotelzimmers sprüht. Dass die niedlichen Äffchen, die Tourist_innen wie Theresa entzücken und „Das ist Afrika“ ausrufen lassen, nur auf die Brüstung des Balkons kommen sollen und von Wächtern mit Schleudern beschossen werden, wenn sie sich weitervorwagen, die Äffchen sich davon aber nicht beeindrucken lassen, ist zumindest ein begrüßenswerter Störfaktor im Film.

Wie aus braven Hausfrauen Sklaventreiberinnen werden

Doch mit der Zeit wird das Äffchenfüttern und das aufs Meer glotzen auch langweilig, weil sich an den Kulissen ja wenig ändern. Nur manchmal ziehen Kamele am Strand lang und ab und an geht es ins nahe Dorf. Schließlich will der All Inclusive-Tourist zu Hause nicht sagen, er hat von Kenia nur die Hotelanlage gesehen. Doch das Dorf ist Teil der Kulisse, alles ist auf die Tourist_innen ausgerichtet und eingestellt. Dazu gehören auch die jungen Männer, die es vornehmlich auf die alleinreisenden Frauen mittleren Alters abgesehen haben, die für den Exclusivurlaub eines angespart haben. Auf Frauen wie Teresa also, die sich noch beim Plausch mit einer schon erfahreneren All Inclusiv-Afrikatouristin in die Feinheiten des Geschäfts einführen lässt Junge Männer geben den Frauen für Geld das Gefühl, noch begehrt zu sein und regredieren für einige Zeit wieder zum Schwarzen Sklaven, der seiner weißen Herrin zu Diensten ist. Dass es bei den braven Normalbürgerinnen im Afrikaurlaub um ausgemachte Rassistinnen handelt, die ihre rassekundlichen Weisheiten lautstark verkünden, zeigt sich schnell. Da wird ein sehr schüchterner Kellner zum Opfer. Die Frauen machen sich über eine seinen Namen, seine Haare und seine Lippen lustig und wissen doch, dass er schnell erfasst hat, um was es geht, aber sich nicht wehren kann. Diese Kolonialfrauen-Attitüde hat Teresa schnell verinnerlicht. Wenn sie die jungen afrikanischen Männer begutachtet, wähnt man sich am Sklavenmarkt. Einen afrikanischen Radfahrer, der die Tourist_innen ins Dorf kutschiert zeigt sie mit einem Klaps auf den Po, dass es jetzt losgehen soll. Mit einem Esel würde man auch nicht anders kommunizieren.

Wenn die Sklaven aufbegehren

Doch die Sklaven fügen sich nicht immer in ihre Rolle. Im Film wird gezeigt, wie geschickt es den jungen Männern gelingt, für die Liebesspiele etwas Geld für die eigene Familie und noch die Dorfschule rauszuleiern. Dann wagt es sogar einer der zum Sexsklaven Bestimmten, der weißen Frau zu sagen, dass es jetzt genug sei. Sie habe nicht besonders viel gezahlt und er habe in Afrika tatsächlich andere Sorgen, als sich rund um die Uhr um die Problemchen der österreichischen All-Inklusiv-Touristin zu kümmern. Da wurde die Sklavenhalterin im Geiste aber böse. Vor aller Augen lieferte sie den Entlaufenen eine Szene, ohrfeigte ihn und zog ihm an den Dreadlooks. Dass es gerne wie eine Eifersuchtsszene dargestellt wird, zeigt nur, dass die rassistische Komponente auch bei den bisherigen Filmbesprechungen kaum erwähnt wird. Dass ist aber nicht das Problem des Films sondern eines Alltagsbewußtseins, das es als Normalität empfinden, wenn die weiße Frau den jungen afrikanischen Mann ein „Und jetzt verschwinde“ zuruft in einem Ton, als würde sie die Zeiten zurückwünschen, als aufmüpfige Sklaven noch aufgeknüpft werden konnten. . Der Höhepunkt des Auslebens der weißen Herrinnenlebens wird erreicht, wenn Teresa den schon am Anfang gedemütigten schüchternen Kellner ins ihr Hotelzimmer verschleppt, zu sexuellen Darbietungen nötigen will und als er sich weigert, wie ein lästiges Tier mit wüsten Beschimpfungen aus dem Zimmer jagt. Der Film endet damit, dass Tereza schon in der Frühe am Stand auf die Ausschau nach neuen Opfern ist.

Seidl gelingt es tatsächlich herausragend in dem Film etwas darzustellen, was seit Jahrzehnten Gegenstand linker Debatten ist, die weitgehende Autonomie von rassistischer, patriarchaler und Klassenunterdrückung. Längst wird kaum ein Mann zumindest auf theoretischen Gebiet leugnen, dass auch Männer aus dem Arbeitermilieu auf vielfältige Weise an der patriarchalen Unterdrückung der Frau beteiligt sind. Seidl zeigt nun, wie die weiße Mittelklassefrau, schwarze Jungmänner rassistisch unterdrückt und sich dabei auch für einige Wochen als die starke Frau inszeniert, die sie im österreichischen Alltag gerne wäre. Es ist große Kunst, die Seidl hier geliefert hat und es ist bedauerlich und zeugt von der Regression der Debatte über verschiedene Unterdrückungsformen, dass der Film bisher hauptsächlich unter dem Stichwort weiblicher Sextourismus abgehandelt wird und die rassistische Komponente einfach ausgeblendet wird. Da der Film aber erst Anfang Januar in den deutschen Kinos anläuft, kann diese Debatte noch beginnen.

Peter Nowak

PARADIES: LIEBE
Ein Film von Ulrich Seidl
Spielfilm, Österreich/Deutschland 2012, 121 Minuten
mit Margarethe Tiesel, Peter Kazungu, Inge Maux

Bundesweiter Kinostart: 03. Januar 2013

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Geschrieben von

Peter Nowak

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