Unter die Menschenfeinde gefallen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

In Katalonien wurde es mit viel Lob bedacht und auch mit Preisen ausgezeichnet. Jetzt wird es im Theater im Schokohof (TiSch) in Berlin-Mitte aufgeführt. „Das Blut“, ein beklemmendes Theaterstück des katalanischen Autors Sergi Belbel. Es handelt von den 40 Stunden, in denen eine mysteriöse Gruppe eine Frau mittleren Alters entführt, foltert, ihr einen Finger, ein Ohr, einen Fuß und schließlich den Kopf abschneidet. In der ersten Szene ist die Stimmung noch gelöst, fast komödienhaft. Denn die Frau, die sich anfangs bitter über ihre Fesselung und ihr schmerzendes Beinbeklagt, beginnt sich schnell mit der neuen Situation abzufinden. Sie bekommt vor Aufregung Durchfall, aber in dem Raum, in dem die Entführte gebracht wird, gibt es nur einen Eimer und kein Toilettenpapier. Die Frau, die wie alle Figuren des Theaterstücks bis zum Schluss namenlos bleiben wird, macht sich über ihren Bewacher lustig, der nun den Gerüchen aus dem Eimer ausgesetzt ist.

Doch makaberer Humor findet sich auch in den weiteren Szenen. Dreimal werden Körperteile der Frau in den unterschiedlichsten Situationen gefunden. Der Finger findet sich in einen kleinen Karton auf einer Parkbank, und ein junger Mann und eine junge Frau streiten darum, wem das Päckchen gehört.

In der nächsten Szene wird ein vollkommen überfordertes Polizistenduo der Lächerlichkeit preisgegeben, denen ein völlig von seinen sozialen Problemen überwältigter Mann das Ohr der Entführten in einen Plastikbeutel vorbeibringt. Die heimliche Geliebte des Ehemannes der Entführten wird von dem jungen Mädchen aufgesucht, die einen Karton mit deren abgeschnittenen Fußabgibt. Als dann der Mann der Entführten zu Besuch kommt, wird er von der Geliebten beschuldigt, ihm sei das Schicksal seiner Frau egal und er würde sie seiner Karriere willen opfern. Langsam kann der Besucher aus den unterschiedlichen Szenen einen roten Faden für das Stück finden. Die Entführte ist Philosophiedozentin und Frau eines wohl sehr unbeliebten aber gut geschützten Politikers. Die Entführung ist ein Racheakt an ihrem Mann, aber die dahinter stehende Gruppe hat von Anfang an vor, die Frau auch nach Zahlung eines Lösegeldes nicht freizulassen.

Völlig unklar bleibt im Stück, ob die Gruppe politische Intentionen hat oder welchen Zweck sie mit der Entführung verfolgt.Es bleibt bei kryptischen Andeutungen. So erwähnt das Mädchen, das die Frau bewachen soll und sich auch als Kurierin der abgeschnittenen Körperteile betätigt, dass ihre Mutter vor ihren Augen von den Feinden ermordet worden. Es ist auch mehrmals von einer Organisation die Rede, nie aber von politischen Inhalten. Ob es sich um religiöse oder politische Menschenfeinde handelt, bleibt offen. Klar ist nur, dass diese Gruppe nicht nach rationalen Kriterien vorgeht, wenn sie die Entführte ermordet, obwohl Lösegeld bezahlt worden war. Diese scheinbar völlige Sinnlosigkeit der Entführung ist die Stärke des Stückes. Es gibt für das Publikum keine vertrauten Erklärungsmuster, an denen es die Handlung rationalisieren kann. Es ist ein beklemmendes Stück, das durch das düstere Bühnenbild noch verstärkt wird.

Nur die Schlussszene fällt etwas aus den Rahmen, wo das junge Mädchen im Blut der Ermordeten kniet und etwas von ihrem Weiterleben in dem Raum deklamiert. Hier scheint es, als solle aus dem all dem Nihilismus doch noch eine Moral heraus destilliert werden.

Peter Nowak


Weitere Aufführungen:

13. - 15. August und vom 19. - 22. August, 21 Uhr, TiSCH - Theater im Schokohof, Ackerstraße 169/170, Mitte,


Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden