Verein freier Menschen mit Marktwirtschaft?

Hannes Giessler Furlan Der Historiker und Philosoph weist auf blinde Flecken in linker Theorie und Praxis hin, aber ignoriert Dissidenten linke Strömungen, so landet er im Reformismus

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Ihrer Idee nach sollte die kommunistische Gesellschaft nach Marx zum „Verein freier Menschen“ führen. Doch viele Staaten, dieim 20. Jahrhundert beanspruchten, auf dem Weg zum Kommunismus zu sein, werden eher mitautoritärer Bürokratie und ökonomischer Mangelwirtschaft in Verbindung gebracht. Ganze Bibliotheken haben sich mit der Frage befasst, warum diese Systeme in der Praxis so sehr von der angestrebten Utopie abgewichen sind. Waren wirklich nur die objektiven Bedingungen für diese Entwicklung verantwortlich, wie viele Marxist*innen behaupten? Danach fanden die sozialistischen und kommunistischen Gesellschaftsexperimente meist zu falscher Zeit am falschen Ort statt. Schließlich war das zaristische Russland im Jahr 1917 nicht der Land, das nach den Vorstellungen von Marx und Engels eine Pionierfunktion auf dem Weg zum Sozialismus zugeschrieben wurde. Sie dachten dabei eher an Länder wie Deutschland und Großbritannien mit ihrer ausgeprägten Arbeiter*innenklasse. Fürden Historiker und Philosophen Hannes Giessler Furlan ist der Verweis auf die schlechten objektiven Bedingungen keine überzeugende Erklärung für das bisherige Scheitern der Sozialismusmodelle. Der Autor beschreibt seine Position in der Einleitung: „Hier handelt es sich um eine Kritik des Kommunismus, die dessen Beweggründe teilt und der Marx’schen Kritik der kapitalistischen Gesellschaft verbunden ist. Man könnte auch sagen: Der Autor laboriert am Kommunismus“.

Mit dieser Grundsympathie aber ohne falschen Respekt fragt sich der Autor, warum die kommunistische Idee eines vernünftig eingerichteten Produktionsprozesses in der Realität eines gewaltigen Staats- und Planungsapparat bedurfte. Dabei richtet der Autor den Fokus seiner Kritik auf die Ökonomie des Kommunismus. Als Stichwortgeber bezieht sich Giessler Furlan auf die späten Schriften der Theoretiker der Frankfurter Schule, Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, den Anarchokommunisten Peter Kropotkin, den sozialdemokratischen Juristen Hans Kelsen, aber auch leider sehr oft auf die marktradikalen Ökonomen Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek. Adorno äußerte in seinem Vorlesung über Fragen der Dialektik in den Jahren 1963/64, dass „rationale Planung ihrem eigenen Wesen nach mit der Herrschaft verbunden ist“.

In den ersten Kapiteln geht der Auto auf der Suche nach utopischen Politikkonzepten bis in die Antike zurück. Sowohl in Platons Politeia wie in Thomas Morus Utopia oder den Sonnenstaat von Tommasso Campanella weist er auf autoritäre Elemente hin. Ausführlich befasst sich Giessler Furlan mit den Vorstellungen von Staat und Ökonomie bei Marx und Engels. Dabei widmet sich den Texten, in denen sie sich fragen, wie der Akkumulationstrieb des Kapitals ersetzt werden könnte, der wesentlich für die Erfindungen und technischen Neuerungen verantwortlich war. “Es müssteja nicht gleich die Hast der kapitalistischen Produktionsentwicklung beibehalten werden, aber es müsste zumindest so viel Kontinuität gewahrt bleiben, dass der Organismus weiter produzierte, nicht unbedingt Autos und Smartphones, aber unbedingt die Nahrungsmittel, Werkstätten, Kleider und Arzneien für die sieben Milliarden Menschen“.Giessler Furlan fragt sich, wie die Wirtschaft weiter funktionieren kann, wenn das Leistungsprinzip abgeschafft ist. Diese Frage bewegte Marx so, dass er Arbeitsscheine als Notlösung vorschlug. „Die Produzenten mögen meinetwegen papierne Anweisungen erhalten, womit sie den gesellschaftlichen Konsumtionsvorräten ein ihrer Arbeitszeit entsprechendes Quantum entziehen. Giessler Furlans Verweis auf die enorme Schwierigkeit, das entsprechende Quantum zu berechnen, ist sehr plausibel. Berechtigt ist auch seine Frage: „Aber, wer soll die Gesellschaft sein, die Arbeitsscheine ausstellt und die Arbeitskraft wie auch die Produktionsmittel verteilt?“ Doch die Antwort sucht der Autor, wie häufiger in dem Buch, in den Schriften der Marktradikalen. Gar nicht erwähnt werden die Überlegungen, die der den Rätekommunismus nahestehende Karl Korsch bereits 1919 in seiner Schrift „Was ist Sozialisierung“ formulierte. Die Problemlage sah er ähnlich wie Geissler Furlan. Doch er sieht im Rätemodell ein Mittel gegen den Bürokratismus. Korsch wirdvon Giessler Furlan nicht einmal in der Literaturliste erwähnt. So bleibt Furlan-Giessler ihm im Schlusswortnur der Apell „die Errungenschaften der Arbeiterbewegung innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft zu verteidigen“. Zuvor schreibt er den bürgerlichen Nationen sehr apologetisch zu, dort hätten sich Demokratie, Rechtsordnung, Presse- und Meinungsfreiheit“ herausgebildet. Mussten diese Werte nicht fast immer gegen die bürgerliche Nation erkämpft werden? So muss man konstatieren, dass Furlan Giessler,die kritischen Analysemethoden, die er gegen die verschiedenen Formen der nominal existierenden Sozialismusmodelle leider nicht auch auf die bürgerliche Gesellschaft angewendet. In dem kurzen Kapitel über das Projekt Cybersyn in Chile unter den linken Präsidenten Salvador Allende behauptet der Autor, dass„99,5 der Lastkraftwagenfahrer, als Kleinunternehmer gegen ihre Verstaatlichung streikten“. Doch der Unternehmerstreik war Teil des rechten Plans zum Sturz der durch Wahlen bestätigte linken Allende-Regierung. Einige der wirtschaftsliberalen Ökonomen, die Furlan Giessler häufig zitiert, haben den Putsch und die marktradikalen Maßnahmen unter Pinochet begeistert begrüßt. Dazu hätte man sich einen kritischen Verweis im Buch gewünscht.

Peter Nowak

Furlan Hannes Giessler, Verein freier Menschen? Idee und Realität kommunistischer Ökonomie,

zu Klampen Verlag,ISBN:9783866745773, 28 Euro,

Link zum Buch:

https://zuklampen.de/ebooks/sachbuch/philosophie/bk/870-verein-freier-menschen.html

Link zur in der Rezension erwähnten fast 100 Jahren alten, noch heute lesenswerten Schrift zur Sozialisierung von Karl Korsch:

http://www.praxisphilosophie.de/korsch_sozialisierung.pdf

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Geschrieben von

Peter Nowak

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