Vergesse Kämpfe aus dem Herbst 89

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Sie kommen in der offiziellen Erzählung der Wendegeschichte nicht vor, und doch haben sie im Herbst 1989 in der DDR Geschichte geschrieben. Thomas Klein und Bernd Gehrke waren Mitbegründer der Gruppe Vereinigte Linke (VL). Ihr Ziel war eine demokratische, sozialistische Opposition unter Einbeziehung der linken Kräfte in der SED. „Wir sind mit unseren Vorhaben gescheitert“, erklärte Thomas Klein unumwunden am Mittwochabendauf einer gut besuchten Veranstaltung im Stadtteilladen Zielona Gora in Berlin-Friedrichshain. Dort waren die DDR-Oppositionellen auf einer Veranstaltung im Rahmen des BerlinerBündnisses gegen die Wendefeierlichkeiten eingeladen.„Es ging uns darum, deutlich zu machen, dass der soziale und politische Aufbruch im Herbst 89 in der DDR nicht automatisch im Anschluss an die BRD enden musste“ erklärte ein Vertreter des Bündnisses. Auch von verloren gegangenenKämpfen könne man lernen,solange man sie nicht ganz verschweigt.Es warenEreignisse, die in dem aktuellen Wendediskurs nicht vorkommen, über die Gehrke und Klein berichteten. So nahmen an einer von der VL organisierten Demonstration gegen den Besuch des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl Ende November in Berlin ca. 40000 Menschen teil, die gegen den Ausverkauf der DDR demonstrierten. Die Aktion ist heute ebenso weitgehend vergessen, wie die vielen Aktionen in den Betrieben der DDR, mit denen die Belegschaft für eine Demokratisierung kämpfte. Die Forderungen gingen oft in Richtung Selbstverwaltung und Kontrolle der Produktion, meinte Gehrke.

Wende in der Wende

Ausführlich gingen Klein und Gehrke auf die seit Dezember 1989 spürbaren Stimmungsumschwung in der Bevölkerung der DDR ein. Zunehmend wurden die Demonstrationen von großen Deutschlandfahnen geprägt, die oft genug aus der BRD importiert wurden. Ebenso die von der CDU gesponserten Plakate mit der Losung „Wir sind ein Volk“. Der Westimport sei damals leicht zu erkennen gewesen. Die Wiedervereinigungsbefürworter in der DDR skandierten die Parole „Deutschland einig Vaterland“, die auch in der DDR-Hymne enthalten war, aber seit Ende der 50er Jahre nicht mehr gesungen wurde.Die Aktivisten berichteten auch über die real existierenden Schwierigkeiten, beim Kampf für eine unabhängige DDR. Der Kampf hätte nur Aussicht auf Erfolg gehabt, wenn es gelungen wäre, einen Teil der SED-PDS-Basis für diese Forderungen zu mobilisieren. So gab es gerade im Nordosten der DDR größere Vorbehalte gegen den Anschluss an die BRD. Dort hatte die SED mit ihrer Agrarpolitik, der Zerschlagung der Großagrarier unter der Losung „Junkerland in Bauernhand“ durchaus auch noch 1989 eine Basis. In dieser Gegend gab es auch größere Demonstrationen gegen den BRD-Anschluss, beispielsweise in Rostock. Aber zu einer größeren Zusammenarbeit mit den linken DDR-Oppositionellen ist es in dieser Zeit nicht gekommen.

Beispiel Polen

Nicht nur in Deutschland wurde der soziale Aufbruch schnell nach rechts kanalisiert. Am Beispiel von Polen berichtete Kamil Majchrzakvon der polnischen Ausgabe der Le Monde Diplomatique, wie eine Bewegung, die sich Ende der 70er Jahre aus den Kämpfen um Arbeiterselbstverwaltung entwickelte, in den 90er Jahren das neoliberale Schockprogramm befürwortete. Der Grund dafür liegt auch in der Illegalisierung der sozialen Bewegung während des Kriegsrechts. Viele Aktivisten der Basis gingen damals in den Untergrund oder ins Gefängnis. Majchrzakging auch die ökonomische Situation Polens in den 80er Jahren an. Das nominalsozialistische Regime war bei der Weltbank stark verschuldet. Hier liegt auch die Wurzel für eine Entwicklung, die dazu führte, dass nicht nur die ehemaligen Parteifunktionäre neoliberale Manager wurden sondern auch ein Teil der sozialen Bewegung. Doch die hat bis heute Spuren in der polnischen Gesellschaft hinterlassen.

Einige kämpferische Gewerkschaften in Polen berufen sich aktuell genau auf diese Zeit. Ob es auch in Deutschland im Zeichen der Krise nicht an der Zeit wäre, wieder an den sozialen Aufbruch im Herbst 1989 anzuknüpfen, fragte ein Mann aus dem Publikum. Vor einigen Wochen stellte sich Daniel Dahn eine ähnliche Frage.


Verlierer der Geschichte?

Doch bevor sie beantwortet werden kann, müsste erst erklärt werden, wie es dazu kam, dass dieser soziale Aufbruch des Herbst 1989 heute soweit gehend verdrängt wurde. Dazu braucht man nicht über die herrschende Geschichtsschreibung zu lamentieren. Die Ereignisse sind erst 20 Jahre her und ein Großteil der 40000, die auf der von der VL organisierten Demonstration gegen den Kohl-Besuch demonstriert haben oder in Rostock oder anderswo gegen den Anschluss an die BRD auf die Straße gegangen sind, könnte sich auch heute noch äußern. Hat vielleicht manche die Furcht, zu den vermeintlichen Verlieren der Geschichte zu gehören, darin gehindert? Dabei wäre dieses verbreitete Selbstbild schon zu hinterfragen. Denn die linke DDR-Opposition spielte in den 90er Jahren in den sozialen Kämpfen eine Rolle. Zu nennen sind die Kämpfe gegen die Abwicklung der DDR-Betriebe, das Bündnis von Gewerkschaftern aus Ost und West oder die Bewegung „Wir bleiben alle“ (WBA), die von Aktivisten aus dem Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg ausging. Bald hatte sich das Motto verselbstständigt und vielen war ist nicht mehr bewusst, dass das Kürzel seinen Ursprung in den Wohnbezirksausschüssen der DDR hatte. Das Kürzel wurde dann in den frühen 90er Jahren mit Erfolg neu besetzt. Auch so schreiben sich Kämpfe in die Geschichte ein.


Peter Nowak

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Peter Nowak

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