Verheerende Bilanz

Antisemitismus der Linken Johannes Spohr und Nina Röttger sprechen mit zwei jüdischen Linken über regressiven Antizionismus in der Szene, ihren Abschied und warum sie doch wieder aktiv wurden.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

„Ich bin immer noch militant. Und ich mag den Begriff „Toleranz“ nicht, denn der kommt von „tolerare“, also „erdulden“. Ich bin für Akzeptanz. Ich akzeptiere viele Dinge, aber keine Nazis.“ Dieses Statement kommt nicht von jungen Aktivist_innen der Autonomen Antifa. Es ist der 1947 geborene Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Pinneberg Wolfgang Seibert, der 2013 in einen Interview in der Taz darlegte, wo die Grenzen seiner Toleranz sind.

Der Anlass für das Interview war Seiberts Sendung im linken Freien Senderkombinat (fsk), nachdem er die linke Szene für mehrere Jahre wegen ihres regressiven Antizionismus, der auch Anleihen beim Antisemitismus nimmt, verlassen hat. Jetzt gibt es eine gute Gelegenheit, mehr über die ungewöhnliche linke Biographie in Deutschland zu erfahren. In der Reihe „Essays zur Gegenwart“ im Neofelis-Verlag ist jetzt ein Buch herausgekommen, in denen Wolfgang sehr anschaulich schildert, wie er sich politisiert hat, vom eher libertären Elternhaus zur DKP wechselte, die ihn rausgeschmissen hat, weil er seinen Kopf nicht im Politbüro abgeben wollte. Doch das zentrale Thema der von Johannes Spohr und Nina Röttgers geführten Gespräche ist die zunehme Distanz Seiberts von einer deutschen Linken, die in Israel nur noch den Vorposten des US-Imperialismus sehen wollte. Seibert schildert den langen Weg vom Zweifel bis zum Bruch mit dieser Linken. Dabei schilderte er aus eigener Erfahrung, wie eine Linke, die vorher den jüdischen Staat und seine Kibbuzim als Modell für einen freiheitlichen Sozialismus lobten, plötzlich ihr Herz für die Palästineniser_innen entdeckten. Dabei ging und geht es Seibert nie um eine kritiklose Akzeptanz der Politik der jeweiligen israelischen Regierungen. Es geht ihm vielmehr darum, dass Linke, die sonst keinen anderen Staat infrage stellten, bei Israel eine Ausnahme machten. Sehr anschaulich kann man lesen, wie Seiberts innere Distanz zum Bruch mit dieser Linken führte. Dass er heute wieder Teil linker Aktivitäten ist, liegt an der Herausbildung einer israelsolidarischen Linken in Deutschland. Die Distanz zur linken Szene war so stark, dass Seibert davon gar nichts mitbekommen hat. Er war daher erstaunt, als er von Personen aus der autonomen Szene verteidigt wurde, als er 2008 wegen seiner Israel-Fahne auf einer Antifademo in Hamburg angepöbelt worden war. „Und das war für mich ein Aha-Erlebnis, ich denk. Oh da hat sich was getan. Wieso verteidigen die uns plötzlich, von denen wir ganz sicher waren, dass sie uns angreifen?“ Wer den Vulgarantizionismus großer Teile der autonomen Szene in den 1980er kennt, die in der vehementen Verteidigung eines Wandbildes an Häusern der Hamburger Hafenstraße, in denen zum Totalboykott von Israel aufgerufen wird, kann Seibert verstehen. Die Begebenheit von 2008 führte dazu, dass er heute aktiver Teil der Hamburger radikalen Linken ist und sich auch nicht in die hintersten Reihen drängen lässt.

„Kritisiert nicht das Dasein von Israel“

Auch Klaus Rózsa, der zweite Gesprächspartner in dem Buch, machte in seinen bewegten politischen Leben in der Schweiz Erfahrungen mit dem regressiven Antizionismus. Er war in antiimperialistischen Zusammenhängen, in der Hausbesetzer_innenbewegung und der Umweltszene aktiv. Später war er für einige Zeitung Vorsitzender desZüricher Gewerkschaftsbundes. Auch Rózsa beschreibt, wie aus dem Unmut über den Antizionismus seiner Genoss_innen zunehmend eine Unduldsamkeit gegen jede Form des Antizionismus wurde. So schildert er, wie deswegen langjährige Freundschaften zerbrachen. Mittlerweile lebt er in Budapest und Zürich und ist in beiden Ländern in der außerparlamentarischen Linken aktiv. Über die Frage, ob in Ungarn unter der rechtskonservativen Orban-Regierung der Antisemitismus gewachsen ist, was Rózsa bestreitet, hat er sich mit dem Schriftsteller Karl Pfeifer im Internet eine scharfe Polemik geliefert. Doch das sollte nicht im Fokus der Debatte des wichtigen Buches sein. Denn hier wird nicht nur theoretisch über die zwischen Israelkritik und Antisemitismus diskutiert. Hier berichten zwei jüdische Linke, wie sie darunter litten, dass in dem politischen Milieu, dem sie sich lange zugehörig fühlten, genau diese Grenze ständig überschritten wurde. So schildert Wolfang Seibert, wie die Linke durch diese Ignoranz viele Menschen abgestoßen hat, die sich eigentlich zu den linken Utopien bekannten. Sie haben sich ganz aus der politischen Arbeit zurückgezogen. So kann das Buch auch dazu beitragen, die Linke für das Thema auf einer sehr persönlichen Ebene zu sensibilisieren. „Also kritisiert Israel, kritisiert Israels Regierung, aber kritisiert nicht das Dasein von Israel“, richtet sich Klaus Rózsa an die Linke.

Die Veranstaltungen mit den beiden Interviewpartner_innen könnten ssich auch der Frage widmen, was sie von der aktuellen Form des Israelbashing, der Boykottbewegung denken. Das wird sicher ein Thema bei der Veranstaltung sein, die am 9.6. um 19 Uhr im FAU-Lokal in Berlin (Grüntaler Str. 24) stattfindet

https://berlin.fau.org/termine/verheerende-bilanz-der-antisemitismus-der-linken

.

Peter Nowak

Johannes Spohr, Verheerende Bilanz: Der Antisemitismus der Linken

Klaus Rózsa und Wolfgang Seibert zwischen Abkehr, kritischer Distanz und Aktivismus

112 Seiten, Neofelis Verlag, ISBN: 978-3-95808-123-9, 10 Euro ,

https://www.neofelis-verlag.de/politik-debatte/relationen/7-verheerende-bilanz/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden