Viel Mythos um die US-Wahl

US-Wahlzirkus Biden und Trump stehen in der Tradition der repressiven Geschichte der US-Demokratie.

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Am Ende setzte sich doch bei dem US-Wahlen das Worst-Case-Szenario durch.Das Endergebnis hängt von den Briefwahlstimmen von einzelnen Swing-Staaten ab. Sofort entbrennt ein Streit über deren Gültigkeit. Nun istja auch in Deutschland bekannt, dasses bei Briefwahlen viele Möglichkeiten gibt, auch unbeabsichtigt ungültig zu stimmen. Da braucht jemand nur die Unterschrift auf den falschen Formular anbringen, das Kreuz nicht direkt im vorgesehenenOrt platzieren und vieles mehr. Es muss dann jeweils individuell entschieden werden, ob die Unterschrift gültig ist oder nicht. Und das vor einer Kulisse, wo klar ist, dass es die entscheidenden Stimmen sein können, die über die Präsidentschaft von Biden oder Trump entscheiden. Da wird eine Menge Druck auf dieaufgebaut, die über die Gültigkeit der Stimmen entscheiden sollen.Betrugsvorwürfe sind dann nur folgerichtig. Doch da wäre doch ein Wahlsystem zu hinterfragen, das ein solches Prozedere zulässt. Dabei wäre zumindest in diesen Fall ohne große Probleme Abhilfe zu schaffen. Der Abgabetermin für die Briefwahlstimmen müsste deutlich vor den Wahltermin liegen, damit sie vorher ausgezählt und das Ergebnis sicher gespeichert wird. Es müsste dann zu den Ergebnissen der Urnenwahl hinzugerechnet werden. Dann würde verhindern, dass der Druck entsteht,in Swing-Staaten, in denen es um hauchdünne Vorsprünge geht, über die Gültigkeit von Briefwahlstimmen für die eine oder andere Seite zu entschieden. Das ist nur eines von vielen Beispielen, wo der Wahlprozess einer Reform bedürfte. Doch diese Diskussion wird überlagert durch die Konfrontation Trump versus Biden, derauch in vielen linken und liberalen Kreisen als Kampf zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen Gut und Böse gelabelt wird.

Nicht nur alte Weiße wählen Trump

Genau diese Zuspitzung führt auch zu einer Mythenbildung im Vorfeld der US-Wahlen. Da wurde oft ein Bild gezeichnet, dass Trumpeigentlich nur bei den abgehängten Weißen Stimmen holen kann. Dann gab es das große Erstaunen, dass offenbar in Florida und anderen Swing-Staaten auch viele Latinos und Schwarze den gegenwärtigen Präsidenten gewählt haben. Es war fast eine Stunde der Ehrlichkeit, als in der Wahlnacht im Deutschlandfunk nach 2 Uhr morgens die verschiedenen Korrespondenten selbstkritisch erklärten, dass man selber wohl auch einen Mythos aufgesessen hätte, dass Trump für Schwarze und Latinos unwählbar sei. Es war die Zeit, als sich abzeichnete, dass der von einigen Seiten prognostizierte Erdrutschsieg für Biden auch deshalbnicht eingetreten ist, weil beispielsweise in Staaten wie Florida auch viele Schwarze und Latinos Trump wählten.

Dahinter stecken oft essentialistische Vorstellungen der Linken, die auch lange Zeit nicht wahrhaben wollten, dass Arbeiter Nazis und andere rechte Bewegungen nicht nur wählen sondern aktiv unterstützen. Man konnte sich ein solches Verhalten nur als Folge von Betrug oder Manipulation erklären. Dahinter steht das falsche Verständnis, dass Arbeiter schon aus ihrer Klassenlage heraus linke Parteien wählen müssten oder in linken Parteien aktiv sein müssten. Da irgendwann klar war, dass die Realität anders aussieht, wurde dann mit dem Konzept der objektiven Klassenlage gearbeitet, die durch bestimmte politische Organisationen wie den Kommunistischen Parteien den Betroffenen klargemacht werden müssten. Modernere linke Gesellschaftstheorien kritisierten mit Recht solche essentialistische Vorstellungen, die bestimmen Personengruppenauf ihrer Klassenlage oder gesellschaftlichen Stellung ein bestimmten politisches Bewusstsein und Verhalten zusprechen wollen. Dabei wird übersehen, dass nicht die Klassenlage oder die gesellschaftliche Stellung über die politischen Einstellung entscheiden, sondern die Vorstellung, die sich Menschen von der Gesellschaft und ihrer Stellung darin machen. Das gilt für die Arbeiter ebenso wie für gesellschaftliche Minderheiten wie den Latinos und den Schwarzen in den USA. Da wurde immer unterstellt, dass alle hinter der Bewegung Black Lives Matter stehen und vergessen, dass es eben für bestimmte Gruppen in bestimmten Bundesstaaten galt. Daraus abereine politische Präferenz von bestimmten Bevölkerungsgruppen abzuleiten, nach dem Motto, Schwarze und Latinos wählen Biden, ist eben der Ausdruck eines politischen Essentialismus. In der Wahlnacht erklärten Korrespondenten, dass manche Latinos Trump als Antikommunist wählen und durchaus nichts gegen eine Mauer an der mexikanische Grenze haben. Sie sind ja bereits auf der sicheren Seite undsehen die Menschen, die jetzt dorthin gelangen wollen, als Konkurrenz.

Corona und die US-Wahlen

Mit Erstaunen registrierten die Korrespondent*innen in der Wahlnacht auch, dass bei Corona bei Nachwahlbefragungen nicht an den ersten Stellen genannt wurde. Dabei wurde vor allem in Deutschland suggeriert, dass Trump durch seine Corona-Politik seine Wahlniederlage sicher hat. Oft wurde auch suggeriert, dass Trump für alle an oder mit dem Corona-Virus in den USA verstorbenen verantwortlich ist. Dabei wird eben übersehen, dass in der heterogenen US-Gesellschaft der Umgang mit Corona sehr divers ist, um hier mal bewusst diese Vokabel des modernen Kapitalismus zu gebrauchen. Es gibt Menschen, die vor allem Angst vor Corona haben und sich schützen. Sie sind vor allem in linksliberalen Kreisen beispielsweise der US-Metropolen zu finden. Sie fordern daher mehr gesellschaftliche Isolation gegen Corona. Ganz anders sieht es bei vielen Bewohnern in ländlichen Gebietenvor allem der Südstaaten aus. Die haben mehr Angst vor den Maßnahmen gegen Corona und haben sich lautstark dagegen gewandt. Bei ihnen findet Trump Rückhalt, wenn er noch kurz vor den Wahlen ankündigte, es werde in den USA keinen zweiten Lockdown geben. Dabei hat er natürlich wieder mal unterschlagen, dass er das gar nicht entscheiden kann, weil dafür die Bundesländer zuständig sind. Doch auch hier zeigt sich, dass man einen Mythos aufgesessen ist,wenn fast zwangsläufig unterstellt, dass Trumpwegen seiner Corona-Politik die Wahlen verliert. Auch hier geht es darum, wie sich die Menschen Corona und die Folgen erklären.

Mythos von der Präsidentschaft Trumps als Bruch mit der US-Demokratie

Ein weiterer Mythos, der die Wahlberichterstattung in Deutschland prägte, ist die Erzählung, dass die Amtszeit von Trump ein Bruch mit der US-Geschichte gewesen sei, die angeblich immer von Freiheit und Demokratie geprägt gewesen sei. Man muss nun gar nicht bis nicht in US-Bashing verfallen und der USA eine imperialistische Außenpolitik vorwerfen. Denn damit unterscheidet sie sich nicht von anderen kapitalistischen Staaten. Dass die USA in den letzten Jahrhundert vielleicht öfter in anderen Staaten intervenierte, lag an ihrer Stellung im imperialistischen System. So hat sie den Krieg gegen in Vietnam von Frankreich geerbt. Natürlich hat die Außenpolitik in der Ära Trump eine besondere Färbung durch die erratische Persönlichkeit von Trump.Im Grunde aber wird sie wie bei seinen Vorgängen von der Stellung der sich verändernden Position der USA im kapitalistischen Weltgefüge bestimmt. Daher würde sich auch die Außenpolitik der USA nicht grundsätzlich ändern, wenn Biden Präsident wird, wie die Wochenzeitung „Die Zeit“ kürzlich berechtigterweise feststellte . Allerdings könnte es wieder mehr militaristische Einsätze geben, ein Mittel, das der rechte Isolationist Trump eher weniger einsetzte. Doch um den Mythos von der US-Demokratie, mit der durch Trump gebrochen wurde, zu dekonstruieren, muss man nur in die jüngere Geschichte der USA gehen.Dazu muss man nur die noch in der ARD-Mediathek verfügbaren zwei Folgen der Geschichte der Black Panthers (https://www.arte.tv/de/videos/098427-001-A/black-panthers-1-2/) sehen. Vor allem im zweiten Teil wird mit Belegen berichtet, wie diese linke Partei, die von politisch bewussten Schwarzen gegründet wurde, systematisch von Geheimdiensten und anderen Repressionsorganen zerschlagen wurde. Dabei schreckte der faschistoide FBI-Präsident Edgar Hoover, der Juden, Linke und Schwarze hasste und Faschisten protegierte,auch nicht davor zurück, mit einen Killerkommando zu verhindern, dass ein Schwarzer linker Messias entsteht.

Die Frankfurter Rundschau schrieb dazu (https://www.fr.de/kultur/tv-kino/black-panthers-arte-tv-kritik-dokumenation-law-and-order-usa-donald-trump-richard-nixon-90075048.html):

„Am 4. Dezember 1969 wurde Fred Hampton, ein lokaler Exponent derPanthers in Chicago, von einem Mordkommando der Polizei erschossen. Natürlich war die offizielle Sprachregelung, das sei in Notwehr geschehen. Die Tatort-Analyse aber zeigte, dass alle Einschusslöcher von außen nach innen gingen, außer einem einzigen ungezielten Schuss, der sich aus dem Schrotgewehr von Hamptons Leibwächter löste, als dieser erschossen wurde.“

Frankfurter Rundschau

Die Morde wurden von Nixon gedeckt. Für das politische Etablissement wurden die Black Panther in dem Augenblick am Gefährlichsten, als sie sich von den ethnonationalistischen Posen der Anfangszeit lösten und eine breite linke Bewegung der vom Kapitalismus Ausgebeuteten anstrebte. Ihr Frühstücksprogramm für Kinder aus armen Familien sah das politische Etablissement als eine größere Gefahr als eine Gruppe mit Waffen posender Schwarzer. Auch hier erkennt die Frankfurter Rundschau sehr gut:

„Immerhin zeigt der Rückblick, dass diePantherin mehrfacher Hinsicht einige Schritte weiter waren als die gegenwärtige Black-Lives-Matter-Bewegung Sie hatten ein breites Problembewusstsein entwickelt und in ihren Communities Fuß gefasst. Und sie waren offenbar zu einer echten Bedrohung für den rassistischen Konsens der damaligen weißen Mehrheitsgesellschaft geworden.“

Frankfurter Rundschau

Man könnte noch als Pluspunkt für die gesellschaftliche Reife der Black Panthers anfügen, dass sie nicht den Mythos teilten, dass grundlegende Änderungen durch Wahlen durchzusetzen sind.

Nicht nur die Black Panther sondern die gesamte kritische Gegenkultur stand im Visier von Nixon und den repressiven Staatsorganen der USA. Darüber informiert der Film kürzlich angelaufene Film The Trial of the Chicago 7 (https://www.freitag.de/autoren/barbara-schweizerhof/gestern-wird-heute). Es ging um 7 politische Aktivisten unterschiedlicher linker Gruppen, die vor 50 Jahren der Verschwörung gegen die USA angeklagt waren, darunter waren so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Abbie Hoffmann David Dellinger Jerry Rubin oder Bobby Seale. Er wurde noch besonderen rassistischen Schikanen unterworfen.Nun könnten diese historischen Erinnerungen über die repressive Verfolgung von Oppositionellen in den USA noch mühelos erweitert werden. Wenn heute davon gesprochen wird, dass diePräsidentschaft von Trump ein Bruch mit der US-Demokratie war, gibt es dafür nur zwei Erklärungen. Es ist sicher historische Amnesie bei denen, die die Geschichte nicht kennen. Andere sehen diese repressiven Praktiken als Teil der US-Demokratie und haben daran nichts auszusetzen.Diese Politik soll nur nicht Trump, sondern anderen Kapitalfraktionen ausgeübt werden. Wer sich bei den aktuellen Wahlen auch durchsetze wird, ob Biden oder Trump, sie stehen beide in der Tradition der repressiven Geschichte derUS-Demokratie.

Peter Nowak

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Peter Nowak

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