Vom kurzen Weg von Bayreuth nach Auschwitz

Laibach "Wir sind das Volk" hieß das aufklärerische Musical, das die Band aus Jugoslawien in Berlin im HAU vorführte.

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Es war das ungewöhnliches Ende eins Theaterabends. Nur wenige wollten nach der 90-minütigen Darbietung des Musicals „Wir sind ein Volk“im Hebbel am Ufer applaudieren. Das lagallerdings keineswegs daran, dass die künstlerischen Leistungenvon Laibach keine Würdigung verdient hätten. Das lag vielmehr an dem Epilog, als der Philosoph Peter Mlakar, wohl einer der theoretischen Berater von Laibach, auf der Bühne am Ende „Es lebe Deutschland“ rief. Was auf Bier- und Fanmeilen überall in Deutschland zum Schwarz-rot-goldenen Fahnenschwenken motiviert hätte, sorgte im subkulturell-postnationalen Milieu des HAU für Schweigen. Mlakar hatte auch vorher schon erklärt, dass er keinen Applaus wünscht. Zudem war sein Bekenntnis zu Deutschland nicht das letzte Wort an diesen im positiven Sinne irritierenden Theaterabend. Danach wurde noch ein Song gespielt, mit die US-Army 1945 den Tod Hitlers und den Sieg über den NS feierten. Bei diesen beschwingten Melodien leerte sich langsam der bis auf den letzten Platz ausverkaufte Saal des HAU. Zuvor hattedie Band Laibach und die SchauspieleinnenAgnes Mann und Susanne Sachse es verstanden, das Publikum immer wieder zu Irritieren. 90 Minuten hieltenSchnipsel aus Textkollagen, Videos und Gesang geboten das Publikum im Bann. Da wurde aus den Kindheitserinnerungen von Heiner Müller zitiert, wo er sich als Zugezogener in Mecklenburg als Fremder fühlte. Zuvor berichtete er, wie er als Kinder durch das Schlüssen miterleben musste, wie sein in der SPD aktiver Vater von den Nazis verhaftet wurde.

Dazwischen kommen wiederEinsprengsel, wo man sich als Linker ganz direkt fragen muss, darf man darüber heute unbefangen lachen? Da wurde der Song „Flieger, grüß mehr die Sterne“ dargeboten, mit dem Hans Albers die deutsche Volksgemeinschaft im NS unterhält. Dazu wurde das damalige Netz des deutschen Volksempfänger genannten Radios in den Theatersaal gebeamt. Da wurden dievon der Wehrmacht besetzten europäischen Städte gezeigt, die Albers mit seinenGassenhauern bei Laune hielt. Auch„das Lied vom Einsamen Mädchen“ war Labsal für die etwas anspruchsvolleren Volksgenossen.

Seife in Bayreuth

Daneben gab es Schnipsel an dem Theaterabend, die in bester Tradition aufklärerischen Theaters standen. Dazu gehört „Seife in Bayreuth, wo der Zusammenhang zwischen Reinlichkeitswahn und Vernichtungspolitik gezogen wird. Da wird der Weg von Bayreuth nach Auschwitz auf den Punkt gebracht, ohne Richard Wagner und seinen Kult auch nur direkt zu erwähnen. In einer anderen Szene ruft eine Frau die Namen bekannter deutscher Firmennamen in den Saal, die Logos werden in den Saal gebeamt. Von Bosch über Siemens bis zur Deutschen Bank sind sie alle dabei und sie alle haben den Nationalsozialismus unterstützt. Es war einTheaterabend, der vielleicht mehr Aufklärung über die verheerenden Konsequenzen vermittelt, die der Volksbegriff in der Politik bisher hervorgerufen hat, als es ein politisch korrekter Kulturabend könnte. Laibach hatte schließlich in den 1980er Jahren in der Linken für manche Irritationen, ja für Unmut gesorgt, mit ihrer Darstellung von NS-Aufmärschen. Allerdings ist von der alten Bandbesatzung heute niemand mehr dabei. Zudem sind sie längst Teil der slowenischen Nationalkultur geworden und haben in einer Etage des neuen slowenischen Museums für moderne Kunst in Ljubjana eine ganze Etage bekommen. Die HAU-Aufführungen zeigten auch. Die Linken regen sich nicht mehr Laibach auf sondern besuchen deren Vorstellung. Eine gute Umorientierung: Die Stärke des Abend waren die Szenen, wo sich der Linke selber hinterfragen muss und nicht nur auf die „Bösen" anderen zeigen kann.

Peter Nowak

Laibach

Wir sind das Volk – ein Musical

Nach Texten von Heiner Müller

Stab

Konzept: Anja Quickert, Internationale Heiner Müller Gesellschaft, Laibach / Performance: Laibach featuring Agnes Mann, Susanne Sachsse, Cveto Kobal, Vier Personen Quartet, The Stroj / Special guest: Peter Mlakar / Musik, Komposition, Arrangement: Matevž Kolenc für Laibach / Weitere Arrangements: Alenja Pivko Kneževič, Simon Penšek, Sašo Vollmaier / Szenographie: Janina Audick, Helene Scheithe, Louis Caspar Schmitt / Video-Szenographie: Komposter / Kostüm: Petra Jurjec, Janina Audick / Kostümassistenz: Daniela Zorrozua / Produktion: Aminata Ölßner, Isa Schulz / Soundtechnik: Matej Gobec / Lichttechnik: Tomaž Čubej / Videotechnik: Komposter & Tomislav Gangl / Stage- & Monitortechnik: Marko Turel / Agent: Sonora

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Geschrieben von

Peter Nowak

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