Vom Sklaven-Händel und dem König der Sonne

kainkollektiv+ OTHNI, Die beiden Künstler_innenkollektive aus Kamerum und Deutschland bringen am Berliner Theatertreffen eine aufklärerische Geschichte über den Kolonialilsmus auf die Bühne.

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In diesen Tagen wird an Hermann von Pückler Muskau erinnern. In Potsdam-Babelsberg kann unter dem Titel „Der grüne Fürst und die Kaiserin“ eine Ausstellung besichtigt werden. Ausgerichtet wird die Ausstellung von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, die das feudale Preußen touristisch vermarkten will Da wird natürlich nicht über den Gewaltstaat berichtet, der für die Demokrat_innen der damaligen Zeit und auch viele der Untertan_innen ein einziger Schrecken war. Preußen wird verkitscht. Von Pückler Muskau erfahren wird nur beiläufig in einem Taz-Artikel, dass er auf dem Sklavenmarkt in Ägypten eine 12jährige Schwarze kaufte, sie mit nach Preußen verschleppte, wo sie bald starb. Machuba, immerhin kennen wir ihren Namen wurde als Mätresse, Pflegekind und Dienerin des Grafen gehandelt. Auch in der doch so gender- und racesensliblen Taz wird dieser Abschnitt nur kurz erwähnt, dann geht es weiter über das Leben des Grafen. Dass er sich der n Kindesentführung, sexuelle Gewalt gegen eine Minderjährung schuldig gemacht hat und seine Rolle beim Tod Machubas untersucht werden müsste, wird nicht weiter verfolgt.

Hermann von Pückler Muskau wäre ein gutes Exempel für die Performance Fin de Mission/ Ohne Auftrag leben, die im Rahmen des Berliner Theatertreffens gezeigt wurde. Es ist eine kamerunisch –deutsche Kooperation der Künstler_innenkollektiv kainkollektiv und OTHNI.

Das eminent politische und dabei doch kurzweilige Stück macht deutlich, wie tief der Kolonialismus in die sogenannte europäische Hochkultur eingeschrieben ist.

Die Bewohner_innen ganzer Dörfer wurden verschleppt

Da ist jener Georg Friedrich Händel, der im 18 Jahrhundert die Herrschaft begeisterte, mit Kolonialhandelsgesellschaften verbunden war und den Spitznamen Sklaven-Händel erhielt, erfahren wir im Laufe des Abends ebenso, wie die kolonialen Phantasien, des Königs der Sonne, der noch heute als wichtiger Gründer der europäischen Zivilisation gefeiert wird. Auch Francis Bacon und Victor Hugo, die Afrika als kulturlosen Kontinent bezeichneten, den ideal für die Eroberung durch die Europäer_innen hielt, werden in der 90 minütigen Performance genannt. Und dass Shakespeare Seemansgarn aus Kolonialkneipen gesammelt und in Literatur gebannt hat, konnten nur Leser_innen des Buches „Die vielköpfige Hydra" schon wissen. Dort wird aufgezeigt, dass das berühmte Stück „Der Sturm“ auch eine Kolonialperspektive aus europäischer Perspektive ist.

Kurz werden Figuren aus der Gegenwart eingeblendet, Michele Obama und Angela Merkel haben kurze Gastspiele per Video. Derweil werden eine Menge Plastikstühle auf der Bühne hin- und her bewegt, auf und umgeschichtet. Exportgut aus Kamerun, wie wir erfahren. Die ehemalige deutsche Kolonie spielt bald die Hauptrolle in dem Stück. Es geht um zwei Orte auf dem Territorium von Kameruns, die für den transatlantischen Sklavenhandel eine hohe Bedeutung hatten. „Das Tor ohne Wiederkehr wurde der Platz genannt, von dem die Menschen auf die Schiffe getrieben wurden, die sie dann in die von den europäischen Kolonialherren eroberten Kontinente brachte. Wie die Entführer_innen vorgingen, wird gut beschrieben. „Erst wurden einige jungen Männer eingefangen. Als sie nicht zurückkamen, gingen die Dorfbewohner_innen zu den Weißen und sie wurden ebenfalls eingesperrt. Dann kamen die Dorfchefs und wollten sehen, was geschieht. Auch sie wurden zu Sklav_innen gemacht.“ Millionen Menschen wurden verschleppt. Viele kamen schon auf der Überfahrt ums Leben. Es handelt sich um einen Genozid, dessen Auswirkungen bis heute auf der Erde spürbar sind. Der globale Süden wurde vom globalen Norden kolonisiert, die Länder wurden erobert und verwüstet, die Eroberer_innen eigneten sich die Bodenschätze des Landes, aber auch alles an, was sie den versklavten Menschen wegnahmen. Ihr Geschirr, ihr Schmuck, ihre religiösen Gegenstände, ihre Musikinstrumente. Manches davon wurde dann zu Kunstgegenständen in den Museen und Galerien der ersten Welt.

Selbst die Toten wurden in die erste Welt verschleppt

Nicht nur die Lebenden wurden ausgeraubt, versklavt und wenn sie tot waren, ging die Aneignung des globalen Nordens weiter. Tausende Totenschädel lagern heute noch in irgendwelchen wissenschaftlichen und kulturellen Instituten, auch daran wird in dem Theaterstück erinnert. Der Kolonialismus ist nicht vorbei, er ist nicht einmal vergangen. Die Entkolonisierung des globalen Nordens hat noch nicht einmal begonnen. Aber Schwarze Menschen in aller Welt, sind heute selbstbewusst. Sie forderten Entschuldigung und Entschädigung und sie kennen mit dazu beitragen, dass die überfällige Entkolonisierung beginnt. Dabei kann das im besten Sinne aufklärerische Stück helfen. Wer Fin de Mission/ Ohne Auftrag leben gesehen hat, hat vielleicht genug Wut und Entschlossenheit bekommen, um in der Potsdamer Ausstellung an den Kindesentführer und sexuellen Gewalttäter Hermann von Pückler Muskau zu erinnern.

Peter Nowak

Fin de Mission / Ohne Auftrag leben

Performance

Von und mit
OTHNI Laboratoire de Théâtre de Yaoundé (Kamerun) und kainkollektiv (Deutschland)

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Geschrieben von

Peter Nowak

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